Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutsches Künstlerleben
im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert.
von Richard Mulder.

/T^iH^
ßW5le seit mehreren Jahren, so benutzte ich anch diesmal die Pfingst-
ferien zu einem Streifzüge durch die süddeutschen Sammlungen
und Archive. Zwar ist es an sich nur ein geringes Vergnügen,
mit zweifelhafter Aussicht ans Erfolg die alten Maler- und Znnft-
bücher, Steuer- und Bürgerlisten zu durchsuchen, aber mitunter
hat es doch seinen Reiz. Neben den zahllosen der Vergessenheit überlieferten
Namen, über die das Auge gleichgiltig hinschweift, treten uns auf den vergilbten
Blättern auch die großen Namen der Kunstgeschichte, die Namen eines Herlin
und Zeitblom, eines Dürer und Holbein, eines Burglmair und Schänfelein ent¬
gegen. Man lernt die Männer, die man sonst nur als Künstler zu betrachten
pflegt, als Menschen kennen; man erhält Aufschluß über ihren Bildungsgang,
ihren Verkehr untereinander, ihr Verhältnis zu Auftraggebern und Gönnern,
ihre Vermögensverhältnisse, ihre gesellschaftliche Stellung, man beobachtet den
großen Gegensatz des deutschen Kunstlebens zum italienischen; man versteht,
warum erst so spät in Deutschland ein eigentlicher Künstlerstand sich entwickeln
konnte.

Bekanntlich hat man in der neueren Künstlergeschichte drei Perioden zu
unterscheiden. Die Künstler des frühen Mittelalters waren Klostergeistliche, die
nicht für ihren Leben snnterhalt zu sorgen hatten, sondern ausschließlich zur
Ehre Gottes arbeiteten. Einen Stand, der dnrch die Kunst sich ernährte, gab
es erst seit dem dreizehnten Jahrhundert. An die Stelle der geistlichen Künstler
traten damals die Laienmeister, die städtischen Steinmetzen, Rotgießer und Maler,
schlichte Handwerker, die uns nur dnrch ihre Werke, nicht durch ihre persön¬
lichen Erlebnisse fesseln. Und aus diesem weltlichen Handwerkerstande erst ent¬
wickelte sich im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert der eigentliche Kllnstler-
stand.

Am frühesten ging diese Entwicklung in Italien vor sich, und sie ist im
fünfzehnten Jahrhundert schon beinahe abgeschlossen. Obwohl noch in Zünften
vereinigt, erfreuten sich die italienischen Meister damals doch schon aller Ehren,
wie sie nur der wirkliche Künstler genießt. Die Medici in Florenz, die Esthc
in Ferrara, die Gonzaga in Mantua, die Sforza in Mailand waren mit ihnen


Deutsches Künstlerleben
im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert.
von Richard Mulder.

/T^iH^
ßW5le seit mehreren Jahren, so benutzte ich anch diesmal die Pfingst-
ferien zu einem Streifzüge durch die süddeutschen Sammlungen
und Archive. Zwar ist es an sich nur ein geringes Vergnügen,
mit zweifelhafter Aussicht ans Erfolg die alten Maler- und Znnft-
bücher, Steuer- und Bürgerlisten zu durchsuchen, aber mitunter
hat es doch seinen Reiz. Neben den zahllosen der Vergessenheit überlieferten
Namen, über die das Auge gleichgiltig hinschweift, treten uns auf den vergilbten
Blättern auch die großen Namen der Kunstgeschichte, die Namen eines Herlin
und Zeitblom, eines Dürer und Holbein, eines Burglmair und Schänfelein ent¬
gegen. Man lernt die Männer, die man sonst nur als Künstler zu betrachten
pflegt, als Menschen kennen; man erhält Aufschluß über ihren Bildungsgang,
ihren Verkehr untereinander, ihr Verhältnis zu Auftraggebern und Gönnern,
ihre Vermögensverhältnisse, ihre gesellschaftliche Stellung, man beobachtet den
großen Gegensatz des deutschen Kunstlebens zum italienischen; man versteht,
warum erst so spät in Deutschland ein eigentlicher Künstlerstand sich entwickeln
konnte.

Bekanntlich hat man in der neueren Künstlergeschichte drei Perioden zu
unterscheiden. Die Künstler des frühen Mittelalters waren Klostergeistliche, die
nicht für ihren Leben snnterhalt zu sorgen hatten, sondern ausschließlich zur
Ehre Gottes arbeiteten. Einen Stand, der dnrch die Kunst sich ernährte, gab
es erst seit dem dreizehnten Jahrhundert. An die Stelle der geistlichen Künstler
traten damals die Laienmeister, die städtischen Steinmetzen, Rotgießer und Maler,
schlichte Handwerker, die uns nur dnrch ihre Werke, nicht durch ihre persön¬
lichen Erlebnisse fesseln. Und aus diesem weltlichen Handwerkerstande erst ent¬
wickelte sich im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert der eigentliche Kllnstler-
stand.

Am frühesten ging diese Entwicklung in Italien vor sich, und sie ist im
fünfzehnten Jahrhundert schon beinahe abgeschlossen. Obwohl noch in Zünften
vereinigt, erfreuten sich die italienischen Meister damals doch schon aller Ehren,
wie sie nur der wirkliche Künstler genießt. Die Medici in Florenz, die Esthc
in Ferrara, die Gonzaga in Mantua, die Sforza in Mailand waren mit ihnen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0023" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196123"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Deutsches Künstlerleben<lb/>
im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert.<lb/><note type="byline"> von Richard Mulder.</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_49"> /T^iH^<lb/>
ßW5le seit mehreren Jahren, so benutzte ich anch diesmal die Pfingst-<lb/>
ferien zu einem Streifzüge durch die süddeutschen Sammlungen<lb/>
und Archive. Zwar ist es an sich nur ein geringes Vergnügen,<lb/>
mit zweifelhafter Aussicht ans Erfolg die alten Maler- und Znnft-<lb/>
bücher, Steuer- und Bürgerlisten zu durchsuchen, aber mitunter<lb/>
hat es doch seinen Reiz. Neben den zahllosen der Vergessenheit überlieferten<lb/>
Namen, über die das Auge gleichgiltig hinschweift, treten uns auf den vergilbten<lb/>
Blättern auch die großen Namen der Kunstgeschichte, die Namen eines Herlin<lb/>
und Zeitblom, eines Dürer und Holbein, eines Burglmair und Schänfelein ent¬<lb/>
gegen. Man lernt die Männer, die man sonst nur als Künstler zu betrachten<lb/>
pflegt, als Menschen kennen; man erhält Aufschluß über ihren Bildungsgang,<lb/>
ihren Verkehr untereinander, ihr Verhältnis zu Auftraggebern und Gönnern,<lb/>
ihre Vermögensverhältnisse, ihre gesellschaftliche Stellung, man beobachtet den<lb/>
großen Gegensatz des deutschen Kunstlebens zum italienischen; man versteht,<lb/>
warum erst so spät in Deutschland ein eigentlicher Künstlerstand sich entwickeln<lb/>
konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_50"> Bekanntlich hat man in der neueren Künstlergeschichte drei Perioden zu<lb/>
unterscheiden. Die Künstler des frühen Mittelalters waren Klostergeistliche, die<lb/>
nicht für ihren Leben snnterhalt zu sorgen hatten, sondern ausschließlich zur<lb/>
Ehre Gottes arbeiteten. Einen Stand, der dnrch die Kunst sich ernährte, gab<lb/>
es erst seit dem dreizehnten Jahrhundert. An die Stelle der geistlichen Künstler<lb/>
traten damals die Laienmeister, die städtischen Steinmetzen, Rotgießer und Maler,<lb/>
schlichte Handwerker, die uns nur dnrch ihre Werke, nicht durch ihre persön¬<lb/>
lichen Erlebnisse fesseln. Und aus diesem weltlichen Handwerkerstande erst ent¬<lb/>
wickelte sich im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert der eigentliche Kllnstler-<lb/>
stand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_51" next="#ID_52"> Am frühesten ging diese Entwicklung in Italien vor sich, und sie ist im<lb/>
fünfzehnten Jahrhundert schon beinahe abgeschlossen. Obwohl noch in Zünften<lb/>
vereinigt, erfreuten sich die italienischen Meister damals doch schon aller Ehren,<lb/>
wie sie nur der wirkliche Künstler genießt. Die Medici in Florenz, die Esthc<lb/>
in Ferrara, die Gonzaga in Mantua, die Sforza in Mailand waren mit ihnen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0023] Deutsches Künstlerleben im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert. von Richard Mulder. /T^iH^ ßW5le seit mehreren Jahren, so benutzte ich anch diesmal die Pfingst- ferien zu einem Streifzüge durch die süddeutschen Sammlungen und Archive. Zwar ist es an sich nur ein geringes Vergnügen, mit zweifelhafter Aussicht ans Erfolg die alten Maler- und Znnft- bücher, Steuer- und Bürgerlisten zu durchsuchen, aber mitunter hat es doch seinen Reiz. Neben den zahllosen der Vergessenheit überlieferten Namen, über die das Auge gleichgiltig hinschweift, treten uns auf den vergilbten Blättern auch die großen Namen der Kunstgeschichte, die Namen eines Herlin und Zeitblom, eines Dürer und Holbein, eines Burglmair und Schänfelein ent¬ gegen. Man lernt die Männer, die man sonst nur als Künstler zu betrachten pflegt, als Menschen kennen; man erhält Aufschluß über ihren Bildungsgang, ihren Verkehr untereinander, ihr Verhältnis zu Auftraggebern und Gönnern, ihre Vermögensverhältnisse, ihre gesellschaftliche Stellung, man beobachtet den großen Gegensatz des deutschen Kunstlebens zum italienischen; man versteht, warum erst so spät in Deutschland ein eigentlicher Künstlerstand sich entwickeln konnte. Bekanntlich hat man in der neueren Künstlergeschichte drei Perioden zu unterscheiden. Die Künstler des frühen Mittelalters waren Klostergeistliche, die nicht für ihren Leben snnterhalt zu sorgen hatten, sondern ausschließlich zur Ehre Gottes arbeiteten. Einen Stand, der dnrch die Kunst sich ernährte, gab es erst seit dem dreizehnten Jahrhundert. An die Stelle der geistlichen Künstler traten damals die Laienmeister, die städtischen Steinmetzen, Rotgießer und Maler, schlichte Handwerker, die uns nur dnrch ihre Werke, nicht durch ihre persön¬ lichen Erlebnisse fesseln. Und aus diesem weltlichen Handwerkerstande erst ent¬ wickelte sich im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert der eigentliche Kllnstler- stand. Am frühesten ging diese Entwicklung in Italien vor sich, und sie ist im fünfzehnten Jahrhundert schon beinahe abgeschlossen. Obwohl noch in Zünften vereinigt, erfreuten sich die italienischen Meister damals doch schon aller Ehren, wie sie nur der wirkliche Künstler genießt. Die Medici in Florenz, die Esthc in Ferrara, die Gonzaga in Mantua, die Sforza in Mailand waren mit ihnen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/23
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/23>, abgerufen am 30.04.2024.