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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Um eine Perle.

Und ich werde sie nicht wiederholen, nun Ihr aus den Klauen des Her¬
zogs heraus seid, nun ich mit der Waffe in der Hand hier für Euch eintreten
kann, Vater, nun werde ich sie nicht wiederholen, diese Lüge, das schwöre ich
hier; mag man mich niederschlagen, mehr als mein Leben für Euch hinzugeben,
vermag ich nicht.

Was ist über mein sanftes Kind gekommen? rief der Greis und zog Flo-
ridas Hand angstvoll an seine Lippen.
Florida machte sich los.

Gott! Gott! rief sie; ich war so demütig, so ruhig, so gefaßt geworden!
Die ganze Nacht habe ich so fest wie in meiner Kindheit geschlafen. Ich glaubte,
die himmlische Güte müsse, müsse Einspruch erheben gegen die Schrecknisse, mit
denen die argen Menschen mich auch selbst noch in meiner Gebrochenheit be¬
drohten! Aber nein, nun man Euch herausgegeben hat, Vater, verflüchtigt sich
das nebelhafte Hirngespinnst, mit dem ich mir die harte Wirklichkeit verschleiert
hatte. Hier ist der gefangen gewesene Feind des grausamen Francesco; man
wird das versprochene Lösegeld, verlaßt Euch darauf, von mir fordern, denn
man hat der Tochter den Vater herausgegeben, und man wird in diesem Augen¬
blicke schon das Gerüst zimmern, vor dem sie in Sack und Asche im Angesicht
von ganz Mantua geloben soll, nur mit Abscheu -- seiner -- als eines bösen
Zauberers gedenken zu wollen ^

Wessen?

Seiner -- Ihr wißt, wen ich meine.

Sie vermochte sich nicht aufrecht zu halten. Draußen begann das Jubi-
liren, von dem die Frühstunden dieses bewegten Tages erfüllt bleiben sollten,
bis um die Mittagsstunde ganz Mantua nur noch ein Bild der Angst und des
Schreckens war. Florida lauschte entsetzt. Auf mich wartet Mantua! rief sie,
und sie sank ohnmächtig in die Arme der zur Hilfeleistung herbeigeeilten
Fricinlerin.




Vierzigstes Aapitel.

Stunden verstrichen, ehe das Bewußtsein Floridas zurückkehrte. Was half
es, daß der Greis bei den letzten Worten seiner Tochter sich über die Absage,
von der sie als einer Lüge geredet hatte, klar geworden war; daß ihm alles
wieder aufdämmerte, was Primaticcio ihm gestern in kurzen Zügen über Ab-
bvudio Buouacolsis Tod, über Veppos Aussagen, über die dadurch herbeigeführte
Umstimmung des Herzogs und dessen Verzicht auf jene vom herzoglichen Ge¬
richt verlangt gewesene Absage mitgeteilt hatte. Was half es, daß der alte
Marcello den beiden rasch herbeigerufenen und jetzt um Florida bemühten Ärzten
dies alles wieder und wieder erzählte und ihnen immer von neuem sagte, er
habe solcherart schon die Mittel in der Hand, sein Töchterchen auf der Stelle


Grenzboten III. 1386. SO
Um eine Perle.

Und ich werde sie nicht wiederholen, nun Ihr aus den Klauen des Her¬
zogs heraus seid, nun ich mit der Waffe in der Hand hier für Euch eintreten
kann, Vater, nun werde ich sie nicht wiederholen, diese Lüge, das schwöre ich
hier; mag man mich niederschlagen, mehr als mein Leben für Euch hinzugeben,
vermag ich nicht.

Was ist über mein sanftes Kind gekommen? rief der Greis und zog Flo-
ridas Hand angstvoll an seine Lippen.
Florida machte sich los.

Gott! Gott! rief sie; ich war so demütig, so ruhig, so gefaßt geworden!
Die ganze Nacht habe ich so fest wie in meiner Kindheit geschlafen. Ich glaubte,
die himmlische Güte müsse, müsse Einspruch erheben gegen die Schrecknisse, mit
denen die argen Menschen mich auch selbst noch in meiner Gebrochenheit be¬
drohten! Aber nein, nun man Euch herausgegeben hat, Vater, verflüchtigt sich
das nebelhafte Hirngespinnst, mit dem ich mir die harte Wirklichkeit verschleiert
hatte. Hier ist der gefangen gewesene Feind des grausamen Francesco; man
wird das versprochene Lösegeld, verlaßt Euch darauf, von mir fordern, denn
man hat der Tochter den Vater herausgegeben, und man wird in diesem Augen¬
blicke schon das Gerüst zimmern, vor dem sie in Sack und Asche im Angesicht
von ganz Mantua geloben soll, nur mit Abscheu — seiner — als eines bösen
Zauberers gedenken zu wollen ^

Wessen?

Seiner — Ihr wißt, wen ich meine.

Sie vermochte sich nicht aufrecht zu halten. Draußen begann das Jubi-
liren, von dem die Frühstunden dieses bewegten Tages erfüllt bleiben sollten,
bis um die Mittagsstunde ganz Mantua nur noch ein Bild der Angst und des
Schreckens war. Florida lauschte entsetzt. Auf mich wartet Mantua! rief sie,
und sie sank ohnmächtig in die Arme der zur Hilfeleistung herbeigeeilten
Fricinlerin.




Vierzigstes Aapitel.

Stunden verstrichen, ehe das Bewußtsein Floridas zurückkehrte. Was half
es, daß der Greis bei den letzten Worten seiner Tochter sich über die Absage,
von der sie als einer Lüge geredet hatte, klar geworden war; daß ihm alles
wieder aufdämmerte, was Primaticcio ihm gestern in kurzen Zügen über Ab-
bvudio Buouacolsis Tod, über Veppos Aussagen, über die dadurch herbeigeführte
Umstimmung des Herzogs und dessen Verzicht auf jene vom herzoglichen Ge¬
richt verlangt gewesene Absage mitgeteilt hatte. Was half es, daß der alte
Marcello den beiden rasch herbeigerufenen und jetzt um Florida bemühten Ärzten
dies alles wieder und wieder erzählte und ihnen immer von neuem sagte, er
habe solcherart schon die Mittel in der Hand, sein Töchterchen auf der Stelle


Grenzboten III. 1386. SO
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[0241] Um eine Perle. Und ich werde sie nicht wiederholen, nun Ihr aus den Klauen des Her¬ zogs heraus seid, nun ich mit der Waffe in der Hand hier für Euch eintreten kann, Vater, nun werde ich sie nicht wiederholen, diese Lüge, das schwöre ich hier; mag man mich niederschlagen, mehr als mein Leben für Euch hinzugeben, vermag ich nicht. Was ist über mein sanftes Kind gekommen? rief der Greis und zog Flo- ridas Hand angstvoll an seine Lippen. Florida machte sich los. Gott! Gott! rief sie; ich war so demütig, so ruhig, so gefaßt geworden! Die ganze Nacht habe ich so fest wie in meiner Kindheit geschlafen. Ich glaubte, die himmlische Güte müsse, müsse Einspruch erheben gegen die Schrecknisse, mit denen die argen Menschen mich auch selbst noch in meiner Gebrochenheit be¬ drohten! Aber nein, nun man Euch herausgegeben hat, Vater, verflüchtigt sich das nebelhafte Hirngespinnst, mit dem ich mir die harte Wirklichkeit verschleiert hatte. Hier ist der gefangen gewesene Feind des grausamen Francesco; man wird das versprochene Lösegeld, verlaßt Euch darauf, von mir fordern, denn man hat der Tochter den Vater herausgegeben, und man wird in diesem Augen¬ blicke schon das Gerüst zimmern, vor dem sie in Sack und Asche im Angesicht von ganz Mantua geloben soll, nur mit Abscheu — seiner — als eines bösen Zauberers gedenken zu wollen ^ Wessen? Seiner — Ihr wißt, wen ich meine. Sie vermochte sich nicht aufrecht zu halten. Draußen begann das Jubi- liren, von dem die Frühstunden dieses bewegten Tages erfüllt bleiben sollten, bis um die Mittagsstunde ganz Mantua nur noch ein Bild der Angst und des Schreckens war. Florida lauschte entsetzt. Auf mich wartet Mantua! rief sie, und sie sank ohnmächtig in die Arme der zur Hilfeleistung herbeigeeilten Fricinlerin. Vierzigstes Aapitel. Stunden verstrichen, ehe das Bewußtsein Floridas zurückkehrte. Was half es, daß der Greis bei den letzten Worten seiner Tochter sich über die Absage, von der sie als einer Lüge geredet hatte, klar geworden war; daß ihm alles wieder aufdämmerte, was Primaticcio ihm gestern in kurzen Zügen über Ab- bvudio Buouacolsis Tod, über Veppos Aussagen, über die dadurch herbeigeführte Umstimmung des Herzogs und dessen Verzicht auf jene vom herzoglichen Ge¬ richt verlangt gewesene Absage mitgeteilt hatte. Was half es, daß der alte Marcello den beiden rasch herbeigerufenen und jetzt um Florida bemühten Ärzten dies alles wieder und wieder erzählte und ihnen immer von neuem sagte, er habe solcherart schon die Mittel in der Hand, sein Töchterchen auf der Stelle Grenzboten III. 1386. SO

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/241>, abgerufen am 30.04.2024.