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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Der nordamerikanische Farmer und der deutsche Landwirt.

fahrungen nicht erfreulich, denn ein jedes Experiment dieser Art hat mannichfache
Schädigungen des Volkswohls im Gefolge. Aber wenn einmal die Einsicht reif
ist -- und sie ist es bereits in den weitesten Schichten der Bevölkerung --,
dann sollte auch uicht länger gezögert werden, die abschüssige Bahn zu verlassei?.

Das sind etwa die Betrachtungen, welche uns bei Gelegenheit der Stöckcr-
scheu Prozesse wieder besonders lebendig geworden sind. In der Sache selbst
wollen wir absichtlich unser Urteil zurückhalten; die Parteilcideuschaftcu sind noch
nicht geklärt, um hier zu einer unbefangnen Auffassung zu gelangen. Wir
können es nur beklagen, daß auch unsre Gerichte in den Kampf der Parteien
hineingezogen worden sind, und wiederholen, daß, wie wir selbst keinen Zweifel
an ihrer Unparteilichkeit hegen, es das schwerste Unrecht ist, wenn in einzelnen
Tagesblättern in mehr oder minder offner, zum Teil strafbarer Weise die er-
gangnen Richtersprüche eine Kritik erfahren haben, welche das Ansehen der Recht¬
sprechung untergraben muß. Gerade der konservative Mann muß in den Zeiten
der Not das Vertrauen zu seiner Obrigkeit sich wahren, auch wenn er die Ge¬
setze, welche von ihr gehandhabt werden, mißbilligt.

Wir haben des äußern Ruhmes genug, und wir können nur wie dereinst
Scipio Africanus bitten, nicht daß das Reich erweitert, sondern erhalten werde
dnrch Reinheit der Sitten, durch gute Gesetze und durch den gesetzlichen Sinn
seiner Bürger.




Der nordamerikanische Farmer und der deutsche
Landwirt.

cum man von Newyork nach dem Westen reisend den Weg durch
die mittlern und nördlichen Teile von Ohio, Indiana und Illinois
nimmt, bietet die ebne Landschaft oft für hunderte von Meilen
denselben eintönigen Charakter dar. Der Urwald, den der Europäer
so gern und doch so irrtümlich in den Vereinigten Staaten von
Nordamerika vermutet, ist hier schon seit vielen Jahrzehnten verschwunden. Was
mau vou Wald sieht, ist jung, dünn und verwahrlost. Nirgends ein Stück
jungfräulicher Natur, alles ist längst durchwühlt und geplündert, und selbst da,
wo sich endlose Sümpfe hinziehen, ragen tausende von Baumleichcn ans dem
Moraste heraus, die ihrer Rinde beraubt, kreuz und quer liegend, ihre stachligen


Grenzboten III. 188.?. 32
Der nordamerikanische Farmer und der deutsche Landwirt.

fahrungen nicht erfreulich, denn ein jedes Experiment dieser Art hat mannichfache
Schädigungen des Volkswohls im Gefolge. Aber wenn einmal die Einsicht reif
ist — und sie ist es bereits in den weitesten Schichten der Bevölkerung —,
dann sollte auch uicht länger gezögert werden, die abschüssige Bahn zu verlassei?.

Das sind etwa die Betrachtungen, welche uns bei Gelegenheit der Stöckcr-
scheu Prozesse wieder besonders lebendig geworden sind. In der Sache selbst
wollen wir absichtlich unser Urteil zurückhalten; die Parteilcideuschaftcu sind noch
nicht geklärt, um hier zu einer unbefangnen Auffassung zu gelangen. Wir
können es nur beklagen, daß auch unsre Gerichte in den Kampf der Parteien
hineingezogen worden sind, und wiederholen, daß, wie wir selbst keinen Zweifel
an ihrer Unparteilichkeit hegen, es das schwerste Unrecht ist, wenn in einzelnen
Tagesblättern in mehr oder minder offner, zum Teil strafbarer Weise die er-
gangnen Richtersprüche eine Kritik erfahren haben, welche das Ansehen der Recht¬
sprechung untergraben muß. Gerade der konservative Mann muß in den Zeiten
der Not das Vertrauen zu seiner Obrigkeit sich wahren, auch wenn er die Ge¬
setze, welche von ihr gehandhabt werden, mißbilligt.

Wir haben des äußern Ruhmes genug, und wir können nur wie dereinst
Scipio Africanus bitten, nicht daß das Reich erweitert, sondern erhalten werde
dnrch Reinheit der Sitten, durch gute Gesetze und durch den gesetzlichen Sinn
seiner Bürger.




Der nordamerikanische Farmer und der deutsche
Landwirt.

cum man von Newyork nach dem Westen reisend den Weg durch
die mittlern und nördlichen Teile von Ohio, Indiana und Illinois
nimmt, bietet die ebne Landschaft oft für hunderte von Meilen
denselben eintönigen Charakter dar. Der Urwald, den der Europäer
so gern und doch so irrtümlich in den Vereinigten Staaten von
Nordamerika vermutet, ist hier schon seit vielen Jahrzehnten verschwunden. Was
mau vou Wald sieht, ist jung, dünn und verwahrlost. Nirgends ein Stück
jungfräulicher Natur, alles ist längst durchwühlt und geplündert, und selbst da,
wo sich endlose Sümpfe hinziehen, ragen tausende von Baumleichcn ans dem
Moraste heraus, die ihrer Rinde beraubt, kreuz und quer liegend, ihre stachligen


Grenzboten III. 188.?. 32
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[0257] Der nordamerikanische Farmer und der deutsche Landwirt. fahrungen nicht erfreulich, denn ein jedes Experiment dieser Art hat mannichfache Schädigungen des Volkswohls im Gefolge. Aber wenn einmal die Einsicht reif ist — und sie ist es bereits in den weitesten Schichten der Bevölkerung —, dann sollte auch uicht länger gezögert werden, die abschüssige Bahn zu verlassei?. Das sind etwa die Betrachtungen, welche uns bei Gelegenheit der Stöckcr- scheu Prozesse wieder besonders lebendig geworden sind. In der Sache selbst wollen wir absichtlich unser Urteil zurückhalten; die Parteilcideuschaftcu sind noch nicht geklärt, um hier zu einer unbefangnen Auffassung zu gelangen. Wir können es nur beklagen, daß auch unsre Gerichte in den Kampf der Parteien hineingezogen worden sind, und wiederholen, daß, wie wir selbst keinen Zweifel an ihrer Unparteilichkeit hegen, es das schwerste Unrecht ist, wenn in einzelnen Tagesblättern in mehr oder minder offner, zum Teil strafbarer Weise die er- gangnen Richtersprüche eine Kritik erfahren haben, welche das Ansehen der Recht¬ sprechung untergraben muß. Gerade der konservative Mann muß in den Zeiten der Not das Vertrauen zu seiner Obrigkeit sich wahren, auch wenn er die Ge¬ setze, welche von ihr gehandhabt werden, mißbilligt. Wir haben des äußern Ruhmes genug, und wir können nur wie dereinst Scipio Africanus bitten, nicht daß das Reich erweitert, sondern erhalten werde dnrch Reinheit der Sitten, durch gute Gesetze und durch den gesetzlichen Sinn seiner Bürger. Der nordamerikanische Farmer und der deutsche Landwirt. cum man von Newyork nach dem Westen reisend den Weg durch die mittlern und nördlichen Teile von Ohio, Indiana und Illinois nimmt, bietet die ebne Landschaft oft für hunderte von Meilen denselben eintönigen Charakter dar. Der Urwald, den der Europäer so gern und doch so irrtümlich in den Vereinigten Staaten von Nordamerika vermutet, ist hier schon seit vielen Jahrzehnten verschwunden. Was mau vou Wald sieht, ist jung, dünn und verwahrlost. Nirgends ein Stück jungfräulicher Natur, alles ist längst durchwühlt und geplündert, und selbst da, wo sich endlose Sümpfe hinziehen, ragen tausende von Baumleichcn ans dem Moraste heraus, die ihrer Rinde beraubt, kreuz und quer liegend, ihre stachligen Grenzboten III. 188.?. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/257>, abgerufen am 30.04.2024.