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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Reisebriefe aus Italien vom Jahre
Aus dem Nachlasse von W. Roß manu. (Schluß.)

ni Mittag kamen wir in Bologna an. Nach kurzer Erfrischung suchten
wir gleich die Akademie der schönen Künste mit der Gemäldegalerie
auf, in der sowohl die alte Bvlognesische Schule (Simone da Bol¬
ogna) und Francesco Raibolini genannt Francia, wie die neue der
Eklektiker, der Carracci, Domenichino, Guido Nein gut verteten ist.
Frnncia ist durch die uinbrische Schule beeinflußt und hat seinem
Freunde Raffael viel zu danken. Er ist überhaupt nicht sehr selbständig, daher
er denu auch schwer zu charakterisiren ist. Vortrefflich ist ein Bild, welches die
Adoration des Christkindes durch Hieronymus und andre Heilige darstellt. Von
den Carraccis, Guercino, Guido Nein u. s. w. sind die größten und schönsten
Werke hier und sie weisen alle viel Schönes im einzelnen auf; aber sie lassen doch
fast alle sehr gleichgiltig und keines will sich recht dem Gedächtnisse einprägen. Diese
Künstler schöpften weder den Inhalt aus sich, noch die Form aus der Natur, sondern
entlehnten den erstern der Mode, dem allgemeinen Bewußtsein, der Tradition, ohne
eigne kräftige Empfindung, die letztere den Meistern der Blütezeit, deren verschie¬
dene Vorzüge sie mit einander zu verschmelzen gedachten. Darüber ist der Reiz
der subjektiven Ausfassung sowohl wie der fein individualisirten nennr verloren
gegangen. Die nämlichen Köpfe, die nämlichen allgemeinen Gefühle, die nämlichen
Stellungen kehren immer wieder. Alles ist im allgemeinen stecken geblieben.

Die Perle der Sammlung ist Raffnels heilige Cäcilia, wie sie den Engel¬
chören entzückt lauscht und darüber ihr eignes Instrument sinken läßt. Paulus,
Magdalene neben ihr. Aber ach! wie hat das herrliche Bild gelitten. Nicht nur,
daß es abscheulich übermalt und dadurch um die Geistigkeit der Farbe gebracht ist,
sondern man läßt es auch so austrocknen, daß viele Partien grau und stumpf aus¬
sehen. Es ist überhaupt ein Jammer, wie wenig in Italien auf die Kouservirung
der Bilder gegeben wird.

Wir besuchten noch die größte Kirche der Stadt, San Petronio, das größte
gothische Bauwerk Italiens, obschon nur das Langhaus steht und Querschiff wie
Chor weggelassen sind. Die Kirche ist fünfschiffig, doch sind die beiden Außenschiffe
in Kapellen zerlegt. Der Eindruck im ganzen ist etwas schwer und nüchtern;
es fehlt zu sehr der plastische und farbige Schmuck.

Ein Gang durch die Stadt gewährte ein ganz neues Bild, wie denn jede
dieser italienischen Städte ihren bestimmten eigenartigen Charakter hat. Bologna
hat insofern Aehnlichkeit mit Turin, als überall neben den Straßen Arkaden hin¬
laufen, aber während dieselben in Turin durch massige Pfeiler gestützt sind, er¬
scheinen hier meist Säulen, sodaß man von der Straße aus weithin in die Bogen¬
gänge hineinsieht. Und dann ist Turm durchaus modern, während sich hier überall
das Mittelalter fühlbar macht. Namentlich um den Hauptmarkt her stehen mächtige
alte Gebäude, das Rathaus, der Palazzo del Podesta, die Petroninskirche --
ähnlich wie an der Piazza della Signoria in Florenz. Das Ganze macht einen


Reisebriefe aus Italien vom Jahre
Aus dem Nachlasse von W. Roß manu. (Schluß.)

ni Mittag kamen wir in Bologna an. Nach kurzer Erfrischung suchten
wir gleich die Akademie der schönen Künste mit der Gemäldegalerie
auf, in der sowohl die alte Bvlognesische Schule (Simone da Bol¬
ogna) und Francesco Raibolini genannt Francia, wie die neue der
Eklektiker, der Carracci, Domenichino, Guido Nein gut verteten ist.
Frnncia ist durch die uinbrische Schule beeinflußt und hat seinem
Freunde Raffael viel zu danken. Er ist überhaupt nicht sehr selbständig, daher
er denu auch schwer zu charakterisiren ist. Vortrefflich ist ein Bild, welches die
Adoration des Christkindes durch Hieronymus und andre Heilige darstellt. Von
den Carraccis, Guercino, Guido Nein u. s. w. sind die größten und schönsten
Werke hier und sie weisen alle viel Schönes im einzelnen auf; aber sie lassen doch
fast alle sehr gleichgiltig und keines will sich recht dem Gedächtnisse einprägen. Diese
Künstler schöpften weder den Inhalt aus sich, noch die Form aus der Natur, sondern
entlehnten den erstern der Mode, dem allgemeinen Bewußtsein, der Tradition, ohne
eigne kräftige Empfindung, die letztere den Meistern der Blütezeit, deren verschie¬
dene Vorzüge sie mit einander zu verschmelzen gedachten. Darüber ist der Reiz
der subjektiven Ausfassung sowohl wie der fein individualisirten nennr verloren
gegangen. Die nämlichen Köpfe, die nämlichen allgemeinen Gefühle, die nämlichen
Stellungen kehren immer wieder. Alles ist im allgemeinen stecken geblieben.

Die Perle der Sammlung ist Raffnels heilige Cäcilia, wie sie den Engel¬
chören entzückt lauscht und darüber ihr eignes Instrument sinken läßt. Paulus,
Magdalene neben ihr. Aber ach! wie hat das herrliche Bild gelitten. Nicht nur,
daß es abscheulich übermalt und dadurch um die Geistigkeit der Farbe gebracht ist,
sondern man läßt es auch so austrocknen, daß viele Partien grau und stumpf aus¬
sehen. Es ist überhaupt ein Jammer, wie wenig in Italien auf die Kouservirung
der Bilder gegeben wird.

Wir besuchten noch die größte Kirche der Stadt, San Petronio, das größte
gothische Bauwerk Italiens, obschon nur das Langhaus steht und Querschiff wie
Chor weggelassen sind. Die Kirche ist fünfschiffig, doch sind die beiden Außenschiffe
in Kapellen zerlegt. Der Eindruck im ganzen ist etwas schwer und nüchtern;
es fehlt zu sehr der plastische und farbige Schmuck.

Ein Gang durch die Stadt gewährte ein ganz neues Bild, wie denn jede
dieser italienischen Städte ihren bestimmten eigenartigen Charakter hat. Bologna
hat insofern Aehnlichkeit mit Turin, als überall neben den Straßen Arkaden hin¬
laufen, aber während dieselben in Turin durch massige Pfeiler gestützt sind, er¬
scheinen hier meist Säulen, sodaß man von der Straße aus weithin in die Bogen¬
gänge hineinsieht. Und dann ist Turm durchaus modern, während sich hier überall
das Mittelalter fühlbar macht. Namentlich um den Hauptmarkt her stehen mächtige
alte Gebäude, das Rathaus, der Palazzo del Podesta, die Petroninskirche —
ähnlich wie an der Piazza della Signoria in Florenz. Das Ganze macht einen


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[0277] Reisebriefe aus Italien vom Jahre Aus dem Nachlasse von W. Roß manu. (Schluß.) ni Mittag kamen wir in Bologna an. Nach kurzer Erfrischung suchten wir gleich die Akademie der schönen Künste mit der Gemäldegalerie auf, in der sowohl die alte Bvlognesische Schule (Simone da Bol¬ ogna) und Francesco Raibolini genannt Francia, wie die neue der Eklektiker, der Carracci, Domenichino, Guido Nein gut verteten ist. Frnncia ist durch die uinbrische Schule beeinflußt und hat seinem Freunde Raffael viel zu danken. Er ist überhaupt nicht sehr selbständig, daher er denu auch schwer zu charakterisiren ist. Vortrefflich ist ein Bild, welches die Adoration des Christkindes durch Hieronymus und andre Heilige darstellt. Von den Carraccis, Guercino, Guido Nein u. s. w. sind die größten und schönsten Werke hier und sie weisen alle viel Schönes im einzelnen auf; aber sie lassen doch fast alle sehr gleichgiltig und keines will sich recht dem Gedächtnisse einprägen. Diese Künstler schöpften weder den Inhalt aus sich, noch die Form aus der Natur, sondern entlehnten den erstern der Mode, dem allgemeinen Bewußtsein, der Tradition, ohne eigne kräftige Empfindung, die letztere den Meistern der Blütezeit, deren verschie¬ dene Vorzüge sie mit einander zu verschmelzen gedachten. Darüber ist der Reiz der subjektiven Ausfassung sowohl wie der fein individualisirten nennr verloren gegangen. Die nämlichen Köpfe, die nämlichen allgemeinen Gefühle, die nämlichen Stellungen kehren immer wieder. Alles ist im allgemeinen stecken geblieben. Die Perle der Sammlung ist Raffnels heilige Cäcilia, wie sie den Engel¬ chören entzückt lauscht und darüber ihr eignes Instrument sinken läßt. Paulus, Magdalene neben ihr. Aber ach! wie hat das herrliche Bild gelitten. Nicht nur, daß es abscheulich übermalt und dadurch um die Geistigkeit der Farbe gebracht ist, sondern man läßt es auch so austrocknen, daß viele Partien grau und stumpf aus¬ sehen. Es ist überhaupt ein Jammer, wie wenig in Italien auf die Kouservirung der Bilder gegeben wird. Wir besuchten noch die größte Kirche der Stadt, San Petronio, das größte gothische Bauwerk Italiens, obschon nur das Langhaus steht und Querschiff wie Chor weggelassen sind. Die Kirche ist fünfschiffig, doch sind die beiden Außenschiffe in Kapellen zerlegt. Der Eindruck im ganzen ist etwas schwer und nüchtern; es fehlt zu sehr der plastische und farbige Schmuck. Ein Gang durch die Stadt gewährte ein ganz neues Bild, wie denn jede dieser italienischen Städte ihren bestimmten eigenartigen Charakter hat. Bologna hat insofern Aehnlichkeit mit Turin, als überall neben den Straßen Arkaden hin¬ laufen, aber während dieselben in Turin durch massige Pfeiler gestützt sind, er¬ scheinen hier meist Säulen, sodaß man von der Straße aus weithin in die Bogen¬ gänge hineinsieht. Und dann ist Turm durchaus modern, während sich hier überall das Mittelalter fühlbar macht. Namentlich um den Hauptmarkt her stehen mächtige alte Gebäude, das Rathaus, der Palazzo del Podesta, die Petroninskirche — ähnlich wie an der Piazza della Signoria in Florenz. Das Ganze macht einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/277>, abgerufen am 30.04.2024.