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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Plattdeutsche Erzähler.

der "geschwindeste Maler" gefeiert, und drei Jahre nach seinem Tode wurde
in deu Turmknvpf der Wittenberger Stadtkirche eine vom Magister Gunderam
verfaßte Urkunde eingelegt, die von dem Leben und den Verdiensten des Malers
meldete.

So hatten nach langem Ringen die deutschen Künstler die Stellung er¬
kämpft, die ihre italienischen Genossen schon seit hundert Jahren innehalten.
Leider verblieb sie ihnen mir sehr kurze Zeit. Die Regierung Karls des Fünften
wurde für das deutsche Kunstleben ebenso wie für das gesamte Schicksal Deutsch¬
lands verhängnisvoll. Wie Karls ganzes Wesen durch und durch undeutsch war,
so hatte er anch für die deutsche Kunst nicht das geringste Verständnis. Tizian
und Varcnd van Orley waren seine Günstlinge, an den deutschen Meistern ging
er achtungslos vorüber, wußte Dürer nicht einmal die Ehre einer Audienz zu
gönnen. Und was der Kaiser that, fand bald anch bei den übrigen Fürsten
Nachahmung. Überall finden wir italienische und niederländische Künstler be¬
schäftigt; überall begann jene Bevorzugung der ausländischen, jenes Zurücksetzen
der einheimischen Kräfte, welches die deutschen Meister nötigte, ihre Kunst wie
früher wieder ausschließlich in den Dienst des kleinen Bürgertums zu stellen.
Ans diese Zeit der Erniedrigung folgte im Beginne des siebzehnten Jahrhunderts
der unselige dreißigjährige Krieg, der auf lauge hinaus alle deutsche Kultur im
Keime erstickte, und so vergingen Jahrhunderte, bis unter ganz andern Ver¬
hältnissen wieder ein nationales deutsches Kunst- und Künstlerleben sich ent¬
wickeln konnte.




plattdeutsche (Crzähler.

le Freunde der Poesie haben alle Ursache, den Werken der Dia-
lektliterntur Beachtung zu schenken. Nicht allein die Sprache der
Gebildeten gewinnt durch den stets frisch erhaltenen Zusammen¬
hang mit ihren unzähligen Quellen und Zuflüssen, welche die
ursprünglichen Mundarten des Volkes für sie bilden, wie in
Frankreich beispielsweise jede literarische Neuerung mit einer gesteigerten Auf¬
nahme mnndartlicher Ausdrücke in die Sprache der Kunstdichtung begonnen hat.
Mehr noch ist es die Erinnerung an die ursprüngliche eigne Volksart, das Bild
der nationalen Sitte und Natur, welche der großen Menge der abstrakt und
deshalb international Gebildeten durch die dialektischen Volksdichter heilsam auf-


Plattdeutsche Erzähler.

der „geschwindeste Maler" gefeiert, und drei Jahre nach seinem Tode wurde
in deu Turmknvpf der Wittenberger Stadtkirche eine vom Magister Gunderam
verfaßte Urkunde eingelegt, die von dem Leben und den Verdiensten des Malers
meldete.

So hatten nach langem Ringen die deutschen Künstler die Stellung er¬
kämpft, die ihre italienischen Genossen schon seit hundert Jahren innehalten.
Leider verblieb sie ihnen mir sehr kurze Zeit. Die Regierung Karls des Fünften
wurde für das deutsche Kunstleben ebenso wie für das gesamte Schicksal Deutsch¬
lands verhängnisvoll. Wie Karls ganzes Wesen durch und durch undeutsch war,
so hatte er anch für die deutsche Kunst nicht das geringste Verständnis. Tizian
und Varcnd van Orley waren seine Günstlinge, an den deutschen Meistern ging
er achtungslos vorüber, wußte Dürer nicht einmal die Ehre einer Audienz zu
gönnen. Und was der Kaiser that, fand bald anch bei den übrigen Fürsten
Nachahmung. Überall finden wir italienische und niederländische Künstler be¬
schäftigt; überall begann jene Bevorzugung der ausländischen, jenes Zurücksetzen
der einheimischen Kräfte, welches die deutschen Meister nötigte, ihre Kunst wie
früher wieder ausschließlich in den Dienst des kleinen Bürgertums zu stellen.
Ans diese Zeit der Erniedrigung folgte im Beginne des siebzehnten Jahrhunderts
der unselige dreißigjährige Krieg, der auf lauge hinaus alle deutsche Kultur im
Keime erstickte, und so vergingen Jahrhunderte, bis unter ganz andern Ver¬
hältnissen wieder ein nationales deutsches Kunst- und Künstlerleben sich ent¬
wickeln konnte.




plattdeutsche (Crzähler.

le Freunde der Poesie haben alle Ursache, den Werken der Dia-
lektliterntur Beachtung zu schenken. Nicht allein die Sprache der
Gebildeten gewinnt durch den stets frisch erhaltenen Zusammen¬
hang mit ihren unzähligen Quellen und Zuflüssen, welche die
ursprünglichen Mundarten des Volkes für sie bilden, wie in
Frankreich beispielsweise jede literarische Neuerung mit einer gesteigerten Auf¬
nahme mnndartlicher Ausdrücke in die Sprache der Kunstdichtung begonnen hat.
Mehr noch ist es die Erinnerung an die ursprüngliche eigne Volksart, das Bild
der nationalen Sitte und Natur, welche der großen Menge der abstrakt und
deshalb international Gebildeten durch die dialektischen Volksdichter heilsam auf-


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[0037] Plattdeutsche Erzähler. der „geschwindeste Maler" gefeiert, und drei Jahre nach seinem Tode wurde in deu Turmknvpf der Wittenberger Stadtkirche eine vom Magister Gunderam verfaßte Urkunde eingelegt, die von dem Leben und den Verdiensten des Malers meldete. So hatten nach langem Ringen die deutschen Künstler die Stellung er¬ kämpft, die ihre italienischen Genossen schon seit hundert Jahren innehalten. Leider verblieb sie ihnen mir sehr kurze Zeit. Die Regierung Karls des Fünften wurde für das deutsche Kunstleben ebenso wie für das gesamte Schicksal Deutsch¬ lands verhängnisvoll. Wie Karls ganzes Wesen durch und durch undeutsch war, so hatte er anch für die deutsche Kunst nicht das geringste Verständnis. Tizian und Varcnd van Orley waren seine Günstlinge, an den deutschen Meistern ging er achtungslos vorüber, wußte Dürer nicht einmal die Ehre einer Audienz zu gönnen. Und was der Kaiser that, fand bald anch bei den übrigen Fürsten Nachahmung. Überall finden wir italienische und niederländische Künstler be¬ schäftigt; überall begann jene Bevorzugung der ausländischen, jenes Zurücksetzen der einheimischen Kräfte, welches die deutschen Meister nötigte, ihre Kunst wie früher wieder ausschließlich in den Dienst des kleinen Bürgertums zu stellen. Ans diese Zeit der Erniedrigung folgte im Beginne des siebzehnten Jahrhunderts der unselige dreißigjährige Krieg, der auf lauge hinaus alle deutsche Kultur im Keime erstickte, und so vergingen Jahrhunderte, bis unter ganz andern Ver¬ hältnissen wieder ein nationales deutsches Kunst- und Künstlerleben sich ent¬ wickeln konnte. plattdeutsche (Crzähler. le Freunde der Poesie haben alle Ursache, den Werken der Dia- lektliterntur Beachtung zu schenken. Nicht allein die Sprache der Gebildeten gewinnt durch den stets frisch erhaltenen Zusammen¬ hang mit ihren unzähligen Quellen und Zuflüssen, welche die ursprünglichen Mundarten des Volkes für sie bilden, wie in Frankreich beispielsweise jede literarische Neuerung mit einer gesteigerten Auf¬ nahme mnndartlicher Ausdrücke in die Sprache der Kunstdichtung begonnen hat. Mehr noch ist es die Erinnerung an die ursprüngliche eigne Volksart, das Bild der nationalen Sitte und Natur, welche der großen Menge der abstrakt und deshalb international Gebildeten durch die dialektischen Volksdichter heilsam auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/37>, abgerufen am 30.04.2024.