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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Die dramatische Kunst G. v. Wildenbruchs.
von Arnold Folle. 2.

n der Besprechung des "Harold" hatte ich vorzugsweise das Gesetz
von der Einheit der Handlung als den Gesichtspunkt aufgestellt,
von dem aus über den Wert des Stückes geurteilt werden müsse.
Wenn es im folgenden die "Karolinger" sind, die uns beschäftigen
sollen, so legt zwar der Titel, welchen Wildenbruch diesem Stücke
gegeben hat, von vornherein die Vermutung nahe, als ob es ihm auch hier nicht
sonderlich um das Prinzip der Einheit zu thun gewesen sei. Denn der Name der
Karolinger stellt für die Zeit, in welche die Handlung fällt, nicht weniger als eine
Dreiheit dar, in der die Söhne Ludwigs des Frommen aus erster Ehe die eine,
seine zweite Gemahlin Judith mit ihrem Sohne Karl die andre und der schwache
Kaiser selbst, der zwischen den beiden Gegensätzen hin und her schwankt, die dritte
Partei darstellt. Indessen ein Titel braucht nicht immer ein direkter Fingerzeig
für den Inhalt zu sein, und in den hier auseinanderfallenden Elementen ist
leicht eine dramatische Einheit zu schaffen.

Zwar war es eine geraume Zeit, daß den großen Karl das Grab in Aachen
aufgenommen hatte, aber frisch und unvergeßlich lebte sein Name, und der Ein-
heitsgedauke, der das große Frnnkenreich geschaffen hatte, konnte, wenn auch die
starken Impulse zu wirken aufgehört hatten, leicht in einem Enkel wieder auf¬
leben und die geplante Teilung in Frage stellen. Wenn dies nnn auch nicht
der Fall gewesen ist, so liegt doch darin kein Hindernis, den Gedanken zum
Motive eines Dramas zu machen. Ein Lothar, der nnter dem Vorwande, einen
fuihern TeilungSvertrag zu schützen, in Wahrheit aber um das Ganze für sich
zu nehmen, die Waffen ergreift und in dem von ihm heraufbeschwornen Konflikte
erliegt, ist ein so vortrefflicher Held einer Tragödie, wie man ihn nur wünschen
kann. Oder man könnte einen andern Gesichtspunkt vorziehen. Es ist bekannt,
daß Ludwig der Deutsche sich am längsten gescheut hat, die Waffen gegen den
eignen Vater zu erheben, bis auch er durch die Schwäche desselben gezwungen
ward, gegen die Verringerung seiner Lande zu Protestiren. Für die Notwendigkeit
dieser Auflehnung müßte leicht eine ausreichende Begründung gefunden werden
können. Als der Teilungsgedanke siegte, fiel den Deutschen die Aufgabe zu,
den von Karl dem Großen in ihre Lande gepflanzten Keim des neuen Glaubens
und der alten Kultur nach Osten weiter zu tragen. In der Stellung zu den
heidnischen Slawen, die den vom Westen sich aufdrängenden Einfluß nicht bloß


Die dramatische Kunst G. v. Wildenbruchs.
von Arnold Folle. 2.

n der Besprechung des „Harold" hatte ich vorzugsweise das Gesetz
von der Einheit der Handlung als den Gesichtspunkt aufgestellt,
von dem aus über den Wert des Stückes geurteilt werden müsse.
Wenn es im folgenden die „Karolinger" sind, die uns beschäftigen
sollen, so legt zwar der Titel, welchen Wildenbruch diesem Stücke
gegeben hat, von vornherein die Vermutung nahe, als ob es ihm auch hier nicht
sonderlich um das Prinzip der Einheit zu thun gewesen sei. Denn der Name der
Karolinger stellt für die Zeit, in welche die Handlung fällt, nicht weniger als eine
Dreiheit dar, in der die Söhne Ludwigs des Frommen aus erster Ehe die eine,
seine zweite Gemahlin Judith mit ihrem Sohne Karl die andre und der schwache
Kaiser selbst, der zwischen den beiden Gegensätzen hin und her schwankt, die dritte
Partei darstellt. Indessen ein Titel braucht nicht immer ein direkter Fingerzeig
für den Inhalt zu sein, und in den hier auseinanderfallenden Elementen ist
leicht eine dramatische Einheit zu schaffen.

Zwar war es eine geraume Zeit, daß den großen Karl das Grab in Aachen
aufgenommen hatte, aber frisch und unvergeßlich lebte sein Name, und der Ein-
heitsgedauke, der das große Frnnkenreich geschaffen hatte, konnte, wenn auch die
starken Impulse zu wirken aufgehört hatten, leicht in einem Enkel wieder auf¬
leben und die geplante Teilung in Frage stellen. Wenn dies nnn auch nicht
der Fall gewesen ist, so liegt doch darin kein Hindernis, den Gedanken zum
Motive eines Dramas zu machen. Ein Lothar, der nnter dem Vorwande, einen
fuihern TeilungSvertrag zu schützen, in Wahrheit aber um das Ganze für sich
zu nehmen, die Waffen ergreift und in dem von ihm heraufbeschwornen Konflikte
erliegt, ist ein so vortrefflicher Held einer Tragödie, wie man ihn nur wünschen
kann. Oder man könnte einen andern Gesichtspunkt vorziehen. Es ist bekannt,
daß Ludwig der Deutsche sich am längsten gescheut hat, die Waffen gegen den
eignen Vater zu erheben, bis auch er durch die Schwäche desselben gezwungen
ward, gegen die Verringerung seiner Lande zu Protestiren. Für die Notwendigkeit
dieser Auflehnung müßte leicht eine ausreichende Begründung gefunden werden
können. Als der Teilungsgedanke siegte, fiel den Deutschen die Aufgabe zu,
den von Karl dem Großen in ihre Lande gepflanzten Keim des neuen Glaubens
und der alten Kultur nach Osten weiter zu tragen. In der Stellung zu den
heidnischen Slawen, die den vom Westen sich aufdrängenden Einfluß nicht bloß


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[0373] Die dramatische Kunst G. v. Wildenbruchs. von Arnold Folle. 2. n der Besprechung des „Harold" hatte ich vorzugsweise das Gesetz von der Einheit der Handlung als den Gesichtspunkt aufgestellt, von dem aus über den Wert des Stückes geurteilt werden müsse. Wenn es im folgenden die „Karolinger" sind, die uns beschäftigen sollen, so legt zwar der Titel, welchen Wildenbruch diesem Stücke gegeben hat, von vornherein die Vermutung nahe, als ob es ihm auch hier nicht sonderlich um das Prinzip der Einheit zu thun gewesen sei. Denn der Name der Karolinger stellt für die Zeit, in welche die Handlung fällt, nicht weniger als eine Dreiheit dar, in der die Söhne Ludwigs des Frommen aus erster Ehe die eine, seine zweite Gemahlin Judith mit ihrem Sohne Karl die andre und der schwache Kaiser selbst, der zwischen den beiden Gegensätzen hin und her schwankt, die dritte Partei darstellt. Indessen ein Titel braucht nicht immer ein direkter Fingerzeig für den Inhalt zu sein, und in den hier auseinanderfallenden Elementen ist leicht eine dramatische Einheit zu schaffen. Zwar war es eine geraume Zeit, daß den großen Karl das Grab in Aachen aufgenommen hatte, aber frisch und unvergeßlich lebte sein Name, und der Ein- heitsgedauke, der das große Frnnkenreich geschaffen hatte, konnte, wenn auch die starken Impulse zu wirken aufgehört hatten, leicht in einem Enkel wieder auf¬ leben und die geplante Teilung in Frage stellen. Wenn dies nnn auch nicht der Fall gewesen ist, so liegt doch darin kein Hindernis, den Gedanken zum Motive eines Dramas zu machen. Ein Lothar, der nnter dem Vorwande, einen fuihern TeilungSvertrag zu schützen, in Wahrheit aber um das Ganze für sich zu nehmen, die Waffen ergreift und in dem von ihm heraufbeschwornen Konflikte erliegt, ist ein so vortrefflicher Held einer Tragödie, wie man ihn nur wünschen kann. Oder man könnte einen andern Gesichtspunkt vorziehen. Es ist bekannt, daß Ludwig der Deutsche sich am längsten gescheut hat, die Waffen gegen den eignen Vater zu erheben, bis auch er durch die Schwäche desselben gezwungen ward, gegen die Verringerung seiner Lande zu Protestiren. Für die Notwendigkeit dieser Auflehnung müßte leicht eine ausreichende Begründung gefunden werden können. Als der Teilungsgedanke siegte, fiel den Deutschen die Aufgabe zu, den von Karl dem Großen in ihre Lande gepflanzten Keim des neuen Glaubens und der alten Kultur nach Osten weiter zu tragen. In der Stellung zu den heidnischen Slawen, die den vom Westen sich aufdrängenden Einfluß nicht bloß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/373>, abgerufen am 30.04.2024.