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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Zur Frage der Diätenprozesse,

eitnngen haben berichtet, daß auf Grund einiger Bestimmungen
des preußischen Landrechts (Teil I, Tit. 16, §§ 172, 173, 205,
206) der preußische Fiskus Klage erhoben habe gegen mehrere
Reichstagsabgeordnete der Fortschrittspartei und der sozialdemo¬
kratischen Partei auf Herauözahlung der Beträge, welche sie von
Fraktivnswegcn als Diäten für ihre Neichstagsthätigkeit bezogen haben. Die ge¬
nannten Landrechtsparagraphen besagen, daß dasjenige, was gegen ein ausdrück¬
liches Verbotsgesetz oder zu einem wider die Ehrbarkeit laufenden Zwecke ge¬
geben worden sei, dem Empfänger vom Fiskus abgefordert werden könne. Eine
Vorschrift dieser Art kennt weder das gemeine Recht noch das französische Recht.
Und auch in Altpreußen ist von jener Vorschrift wohl so selten Gebrauch ge¬
macht worden, daß sie fast in Vergessenheit geraten zu sein scheint. Schon
hieraus erklärt sich, daß jene Klnganstellnngen überrascht haben. Wir sind nun
weit entfernt, der Rechtsfrage, welche die Gerichte zu entscheiden haben werden,
mit unserm Urteil vorgreifen zu wollen. Wohl möchten wir aber, den Aus¬
lassungen mancher Blätter gegenüber, die Fragen, um die es sich handelt, etwas
näher ins Auge fassen und klarstellen.

Niemand wird zweifeln, daß es sich bei den fraglichen Prozessen nicht um
einen Geldgewinn für den Preußischen Fiskus handelt, daß vielmehr bei den¬
selben ein hochpolitischer Zweck ins Auge gefaßt ist. Als die Reichsverfassung
geschaffen und in dieser für die Reichstagswahlen das allgemeine Wahlrecht ein¬
geführt wurde, bestand Fürst Bismarck auf der Diätenlosigkeit der Abgeordneten,
weil er in dieser das unentbehrliche Korrektiv für die Gefahren des allgemeinen
Wahlrechts erblickte. Daraus ist der Art. 32 der Reichsverfassung hervorgegangen,
welcher ausspricht, daß Mitglieder des Reichstages als solche keine Besoldung
oder Entschädigung beziehe,, dürfen. Auch zahlreichen spätern Beschlüssen des
Reichstages gegenüber, dessen Mehrheit sich für die Gewährung von Diäten
aussprach, verhielt sich der Reichskanzler stets ablehnend. Man wird nicht be¬
haupte" können, daß dieses Prinzip sich schlecht bewährt habe. In dem ersten
Jahrzehnte seines Bestehens war der Reichstag eine hochangesehene Versamm¬
lung hervorragender Persönlichkeiten. Und auch noch heute würden sicherlich
ausgezeichnete Männer in zureichender Anzahl sich finden, welche sich eine Ehre
daraus machen würden, im deutschen Reichstage zu sitzen, wenn nicht mancherlei
Gründe teils ihnen selbst die Annahme einer Wahl verleideten, teils sie von
den einem wüsten Parteigctriebe verfallenen Wahlen ausschlossen. Für dieses
Parteigetriebe bildet die Diätenlosigkeit ein bedeutendes Hemmnis. Nicht


Grenzboten III. 1385. 50
Zur Frage der Diätenprozesse,

eitnngen haben berichtet, daß auf Grund einiger Bestimmungen
des preußischen Landrechts (Teil I, Tit. 16, §§ 172, 173, 205,
206) der preußische Fiskus Klage erhoben habe gegen mehrere
Reichstagsabgeordnete der Fortschrittspartei und der sozialdemo¬
kratischen Partei auf Herauözahlung der Beträge, welche sie von
Fraktivnswegcn als Diäten für ihre Neichstagsthätigkeit bezogen haben. Die ge¬
nannten Landrechtsparagraphen besagen, daß dasjenige, was gegen ein ausdrück¬
liches Verbotsgesetz oder zu einem wider die Ehrbarkeit laufenden Zwecke ge¬
geben worden sei, dem Empfänger vom Fiskus abgefordert werden könne. Eine
Vorschrift dieser Art kennt weder das gemeine Recht noch das französische Recht.
Und auch in Altpreußen ist von jener Vorschrift wohl so selten Gebrauch ge¬
macht worden, daß sie fast in Vergessenheit geraten zu sein scheint. Schon
hieraus erklärt sich, daß jene Klnganstellnngen überrascht haben. Wir sind nun
weit entfernt, der Rechtsfrage, welche die Gerichte zu entscheiden haben werden,
mit unserm Urteil vorgreifen zu wollen. Wohl möchten wir aber, den Aus¬
lassungen mancher Blätter gegenüber, die Fragen, um die es sich handelt, etwas
näher ins Auge fassen und klarstellen.

Niemand wird zweifeln, daß es sich bei den fraglichen Prozessen nicht um
einen Geldgewinn für den Preußischen Fiskus handelt, daß vielmehr bei den¬
selben ein hochpolitischer Zweck ins Auge gefaßt ist. Als die Reichsverfassung
geschaffen und in dieser für die Reichstagswahlen das allgemeine Wahlrecht ein¬
geführt wurde, bestand Fürst Bismarck auf der Diätenlosigkeit der Abgeordneten,
weil er in dieser das unentbehrliche Korrektiv für die Gefahren des allgemeinen
Wahlrechts erblickte. Daraus ist der Art. 32 der Reichsverfassung hervorgegangen,
welcher ausspricht, daß Mitglieder des Reichstages als solche keine Besoldung
oder Entschädigung beziehe,, dürfen. Auch zahlreichen spätern Beschlüssen des
Reichstages gegenüber, dessen Mehrheit sich für die Gewährung von Diäten
aussprach, verhielt sich der Reichskanzler stets ablehnend. Man wird nicht be¬
haupte» können, daß dieses Prinzip sich schlecht bewährt habe. In dem ersten
Jahrzehnte seines Bestehens war der Reichstag eine hochangesehene Versamm¬
lung hervorragender Persönlichkeiten. Und auch noch heute würden sicherlich
ausgezeichnete Männer in zureichender Anzahl sich finden, welche sich eine Ehre
daraus machen würden, im deutschen Reichstage zu sitzen, wenn nicht mancherlei
Gründe teils ihnen selbst die Annahme einer Wahl verleideten, teils sie von
den einem wüsten Parteigctriebe verfallenen Wahlen ausschlossen. Für dieses
Parteigetriebe bildet die Diätenlosigkeit ein bedeutendes Hemmnis. Nicht


Grenzboten III. 1385. 50
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[0401] Zur Frage der Diätenprozesse, eitnngen haben berichtet, daß auf Grund einiger Bestimmungen des preußischen Landrechts (Teil I, Tit. 16, §§ 172, 173, 205, 206) der preußische Fiskus Klage erhoben habe gegen mehrere Reichstagsabgeordnete der Fortschrittspartei und der sozialdemo¬ kratischen Partei auf Herauözahlung der Beträge, welche sie von Fraktivnswegcn als Diäten für ihre Neichstagsthätigkeit bezogen haben. Die ge¬ nannten Landrechtsparagraphen besagen, daß dasjenige, was gegen ein ausdrück¬ liches Verbotsgesetz oder zu einem wider die Ehrbarkeit laufenden Zwecke ge¬ geben worden sei, dem Empfänger vom Fiskus abgefordert werden könne. Eine Vorschrift dieser Art kennt weder das gemeine Recht noch das französische Recht. Und auch in Altpreußen ist von jener Vorschrift wohl so selten Gebrauch ge¬ macht worden, daß sie fast in Vergessenheit geraten zu sein scheint. Schon hieraus erklärt sich, daß jene Klnganstellnngen überrascht haben. Wir sind nun weit entfernt, der Rechtsfrage, welche die Gerichte zu entscheiden haben werden, mit unserm Urteil vorgreifen zu wollen. Wohl möchten wir aber, den Aus¬ lassungen mancher Blätter gegenüber, die Fragen, um die es sich handelt, etwas näher ins Auge fassen und klarstellen. Niemand wird zweifeln, daß es sich bei den fraglichen Prozessen nicht um einen Geldgewinn für den Preußischen Fiskus handelt, daß vielmehr bei den¬ selben ein hochpolitischer Zweck ins Auge gefaßt ist. Als die Reichsverfassung geschaffen und in dieser für die Reichstagswahlen das allgemeine Wahlrecht ein¬ geführt wurde, bestand Fürst Bismarck auf der Diätenlosigkeit der Abgeordneten, weil er in dieser das unentbehrliche Korrektiv für die Gefahren des allgemeinen Wahlrechts erblickte. Daraus ist der Art. 32 der Reichsverfassung hervorgegangen, welcher ausspricht, daß Mitglieder des Reichstages als solche keine Besoldung oder Entschädigung beziehe,, dürfen. Auch zahlreichen spätern Beschlüssen des Reichstages gegenüber, dessen Mehrheit sich für die Gewährung von Diäten aussprach, verhielt sich der Reichskanzler stets ablehnend. Man wird nicht be¬ haupte» können, daß dieses Prinzip sich schlecht bewährt habe. In dem ersten Jahrzehnte seines Bestehens war der Reichstag eine hochangesehene Versamm¬ lung hervorragender Persönlichkeiten. Und auch noch heute würden sicherlich ausgezeichnete Männer in zureichender Anzahl sich finden, welche sich eine Ehre daraus machen würden, im deutschen Reichstage zu sitzen, wenn nicht mancherlei Gründe teils ihnen selbst die Annahme einer Wahl verleideten, teils sie von den einem wüsten Parteigctriebe verfallenen Wahlen ausschlossen. Für dieses Parteigetriebe bildet die Diätenlosigkeit ein bedeutendes Hemmnis. Nicht Grenzboten III. 1385. 50

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/401>, abgerufen am 30.04.2024.