Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Populäre Schriftstoller.

im Augenblick wenden könnte, insbesondre du ich infolge jenes teuern und recht
überflüssigen Mvrgenkleides und meines billigen, aber mich überflüssigen Chiffonuiers
und sonstiger halbjährlicher Rechnungen nur bis zum Juni auskommen kann.

Wäre ich ein Mann, so würde ich der Gesellschaft den Fehdehandschuh Hin-
Werfen, mich mit ein Paar mutigen Kerlen zusammenthun und einen Postwagen
berauben. Aber mein Geschlecht erlaubt mir das doch kaum. Guter Gott! Wenn
man denkt, daß es Frauen giebt -- deine Freundin Lady A. zum Beispiel (Ge-
murmel und Aufregung) --> ich sage zum Beispiel, die nicht nur die Paar Pfund
Zuschuß, um deretwillen ich soviel Umstände macheu muß, sondern viermal mehr als
mein Gesamteinkommen auf deu Ball einer Nacht verwenden und damit weder
jemand schaden noch nützen, so kommt einem das, ans Ehre, sonderbar vor. Aber
ebensogut konnte Fran Freeman sagen: "Wenn man bedenkt, daß es Frauen giebt,
Frau Carlyle zum Beispiel, die drei Pfund vierzehn Schilling und sechs Pence
für einen einzigen Mvrgenrvck ausgeben, während ich mit zwei Laib Brot und
achtzehn Pence Gemeindennterstütznug die ganze Woche hindurch auskommen muß,
was soll man da sagen?" Solche Betrachtungen sind bodenlos. Eins ist völlig
gewiß: daß schließlich alles auf eins herauskommt; und ich kann nicht behaupten,
daß ich den Verlust meiner eignen Person bedauern werde. Ich füge nichts weiter
hinzu, sondern zeichne, geehrter Herr,


als derv gehorsame, demütige Dienerin
Jane Welsh Carlyle.

Der arme Carlyle, der sich eines Vergehens durchaus nicht bewußt war
und dessen gelegentliche Heftigkeit in seinen körperlichen Leiden und der großen
Anstrengung, die ihm seine Arbeiten verursachten, ihren Grund fand, nahm diese
Züchtigung seiner Fran geduldig hin. Er freute sich über das geistreiche Schrift¬
stück und schrieb ans Ende desselben: "Vortrefflich, mein liebes, gescheites Herzchen,
Sparsamste, witzigste und geistreichste aller Frauen! Natürlich werde ich dir
wieder aufhelfen. Deine dreißig Pfund sollen dir gewährt, deine kleinen Schulden
bezahlt werden, und dein Wille soll geschehen.


T. C."


populäre Schriftsteller.

or kurzem fiel mir ein Buch in die Hände, welches in Jahresfrist
fünfzehn Auflagen erlebt hat: Buchholzcns in Italien. Reise¬
abenteuer von Wilhelmine Buchholz. Herausgegeben von Julius
Stinte. Nach wenigen Seiten wollte ich es wieder weglegen,
aber die Neugier veranlaßte mich zum Weiterlesen. Hier war ja
unzweifelhaft zu erkunden, welche Eigenschaften ein Vues haben müsst, um rasch
Populär zu werden. Der Verfasser war als Humorist bezeichnet worden. Nun,
ein Humorist ist ja wohl Gottfried Keller, aber Leute seiner Art haben sich von


Populäre Schriftstoller.

im Augenblick wenden könnte, insbesondre du ich infolge jenes teuern und recht
überflüssigen Mvrgenkleides und meines billigen, aber mich überflüssigen Chiffonuiers
und sonstiger halbjährlicher Rechnungen nur bis zum Juni auskommen kann.

Wäre ich ein Mann, so würde ich der Gesellschaft den Fehdehandschuh Hin-
Werfen, mich mit ein Paar mutigen Kerlen zusammenthun und einen Postwagen
berauben. Aber mein Geschlecht erlaubt mir das doch kaum. Guter Gott! Wenn
man denkt, daß es Frauen giebt — deine Freundin Lady A. zum Beispiel (Ge-
murmel und Aufregung) —> ich sage zum Beispiel, die nicht nur die Paar Pfund
Zuschuß, um deretwillen ich soviel Umstände macheu muß, sondern viermal mehr als
mein Gesamteinkommen auf deu Ball einer Nacht verwenden und damit weder
jemand schaden noch nützen, so kommt einem das, ans Ehre, sonderbar vor. Aber
ebensogut konnte Fran Freeman sagen: „Wenn man bedenkt, daß es Frauen giebt,
Frau Carlyle zum Beispiel, die drei Pfund vierzehn Schilling und sechs Pence
für einen einzigen Mvrgenrvck ausgeben, während ich mit zwei Laib Brot und
achtzehn Pence Gemeindennterstütznug die ganze Woche hindurch auskommen muß,
was soll man da sagen?" Solche Betrachtungen sind bodenlos. Eins ist völlig
gewiß: daß schließlich alles auf eins herauskommt; und ich kann nicht behaupten,
daß ich den Verlust meiner eignen Person bedauern werde. Ich füge nichts weiter
hinzu, sondern zeichne, geehrter Herr,


als derv gehorsame, demütige Dienerin
Jane Welsh Carlyle.

Der arme Carlyle, der sich eines Vergehens durchaus nicht bewußt war
und dessen gelegentliche Heftigkeit in seinen körperlichen Leiden und der großen
Anstrengung, die ihm seine Arbeiten verursachten, ihren Grund fand, nahm diese
Züchtigung seiner Fran geduldig hin. Er freute sich über das geistreiche Schrift¬
stück und schrieb ans Ende desselben: „Vortrefflich, mein liebes, gescheites Herzchen,
Sparsamste, witzigste und geistreichste aller Frauen! Natürlich werde ich dir
wieder aufhelfen. Deine dreißig Pfund sollen dir gewährt, deine kleinen Schulden
bezahlt werden, und dein Wille soll geschehen.


T. C."


populäre Schriftsteller.

or kurzem fiel mir ein Buch in die Hände, welches in Jahresfrist
fünfzehn Auflagen erlebt hat: Buchholzcns in Italien. Reise¬
abenteuer von Wilhelmine Buchholz. Herausgegeben von Julius
Stinte. Nach wenigen Seiten wollte ich es wieder weglegen,
aber die Neugier veranlaßte mich zum Weiterlesen. Hier war ja
unzweifelhaft zu erkunden, welche Eigenschaften ein Vues haben müsst, um rasch
Populär zu werden. Der Verfasser war als Humorist bezeichnet worden. Nun,
ein Humorist ist ja wohl Gottfried Keller, aber Leute seiner Art haben sich von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0475" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196575"/>
          <fw type="header" place="top"> Populäre Schriftstoller.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1851" prev="#ID_1850"> im Augenblick wenden könnte, insbesondre du ich infolge jenes teuern und recht<lb/>
überflüssigen Mvrgenkleides und meines billigen, aber mich überflüssigen Chiffonuiers<lb/>
und sonstiger halbjährlicher Rechnungen nur bis zum Juni auskommen kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1852"> Wäre ich ein Mann, so würde ich der Gesellschaft den Fehdehandschuh Hin-<lb/>
Werfen, mich mit ein Paar mutigen Kerlen zusammenthun und einen Postwagen<lb/>
berauben. Aber mein Geschlecht erlaubt mir das doch kaum. Guter Gott! Wenn<lb/>
man denkt, daß es Frauen giebt &#x2014; deine Freundin Lady A. zum Beispiel (Ge-<lb/>
murmel und Aufregung) &#x2014;&gt; ich sage zum Beispiel, die nicht nur die Paar Pfund<lb/>
Zuschuß, um deretwillen ich soviel Umstände macheu muß, sondern viermal mehr als<lb/>
mein Gesamteinkommen auf deu Ball einer Nacht verwenden und damit weder<lb/>
jemand schaden noch nützen, so kommt einem das, ans Ehre, sonderbar vor. Aber<lb/>
ebensogut konnte Fran Freeman sagen: &#x201E;Wenn man bedenkt, daß es Frauen giebt,<lb/>
Frau Carlyle zum Beispiel, die drei Pfund vierzehn Schilling und sechs Pence<lb/>
für einen einzigen Mvrgenrvck ausgeben, während ich mit zwei Laib Brot und<lb/>
achtzehn Pence Gemeindennterstütznug die ganze Woche hindurch auskommen muß,<lb/>
was soll man da sagen?" Solche Betrachtungen sind bodenlos. Eins ist völlig<lb/>
gewiß: daß schließlich alles auf eins herauskommt; und ich kann nicht behaupten,<lb/>
daß ich den Verlust meiner eignen Person bedauern werde. Ich füge nichts weiter<lb/>
hinzu, sondern zeichne, geehrter Herr,</p><lb/>
          <note type="closer"> als derv gehorsame, demütige Dienerin<lb/><quote><lg xml:id="POEMID_38" type="poem"><l> Jane Welsh Carlyle.</l></lg></quote></note><lb/>
          <p xml:id="ID_1853"> Der arme Carlyle, der sich eines Vergehens durchaus nicht bewußt war<lb/>
und dessen gelegentliche Heftigkeit in seinen körperlichen Leiden und der großen<lb/>
Anstrengung, die ihm seine Arbeiten verursachten, ihren Grund fand, nahm diese<lb/>
Züchtigung seiner Fran geduldig hin. Er freute sich über das geistreiche Schrift¬<lb/>
stück und schrieb ans Ende desselben: &#x201E;Vortrefflich, mein liebes, gescheites Herzchen,<lb/>
Sparsamste, witzigste und geistreichste aller Frauen! Natürlich werde ich dir<lb/>
wieder aufhelfen. Deine dreißig Pfund sollen dir gewährt, deine kleinen Schulden<lb/>
bezahlt werden, und dein Wille soll geschehen.</p><lb/>
          <note type="bibl"> T. C."</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> populäre Schriftsteller.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1854" next="#ID_1855"> or kurzem fiel mir ein Buch in die Hände, welches in Jahresfrist<lb/>
fünfzehn Auflagen erlebt hat: Buchholzcns in Italien. Reise¬<lb/>
abenteuer von Wilhelmine Buchholz. Herausgegeben von Julius<lb/>
Stinte. Nach wenigen Seiten wollte ich es wieder weglegen,<lb/>
aber die Neugier veranlaßte mich zum Weiterlesen. Hier war ja<lb/>
unzweifelhaft zu erkunden, welche Eigenschaften ein Vues haben müsst, um rasch<lb/>
Populär zu werden. Der Verfasser war als Humorist bezeichnet worden. Nun,<lb/>
ein Humorist ist ja wohl Gottfried Keller, aber Leute seiner Art haben sich von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0475] Populäre Schriftstoller. im Augenblick wenden könnte, insbesondre du ich infolge jenes teuern und recht überflüssigen Mvrgenkleides und meines billigen, aber mich überflüssigen Chiffonuiers und sonstiger halbjährlicher Rechnungen nur bis zum Juni auskommen kann. Wäre ich ein Mann, so würde ich der Gesellschaft den Fehdehandschuh Hin- Werfen, mich mit ein Paar mutigen Kerlen zusammenthun und einen Postwagen berauben. Aber mein Geschlecht erlaubt mir das doch kaum. Guter Gott! Wenn man denkt, daß es Frauen giebt — deine Freundin Lady A. zum Beispiel (Ge- murmel und Aufregung) —> ich sage zum Beispiel, die nicht nur die Paar Pfund Zuschuß, um deretwillen ich soviel Umstände macheu muß, sondern viermal mehr als mein Gesamteinkommen auf deu Ball einer Nacht verwenden und damit weder jemand schaden noch nützen, so kommt einem das, ans Ehre, sonderbar vor. Aber ebensogut konnte Fran Freeman sagen: „Wenn man bedenkt, daß es Frauen giebt, Frau Carlyle zum Beispiel, die drei Pfund vierzehn Schilling und sechs Pence für einen einzigen Mvrgenrvck ausgeben, während ich mit zwei Laib Brot und achtzehn Pence Gemeindennterstütznug die ganze Woche hindurch auskommen muß, was soll man da sagen?" Solche Betrachtungen sind bodenlos. Eins ist völlig gewiß: daß schließlich alles auf eins herauskommt; und ich kann nicht behaupten, daß ich den Verlust meiner eignen Person bedauern werde. Ich füge nichts weiter hinzu, sondern zeichne, geehrter Herr, als derv gehorsame, demütige Dienerin Jane Welsh Carlyle. Der arme Carlyle, der sich eines Vergehens durchaus nicht bewußt war und dessen gelegentliche Heftigkeit in seinen körperlichen Leiden und der großen Anstrengung, die ihm seine Arbeiten verursachten, ihren Grund fand, nahm diese Züchtigung seiner Fran geduldig hin. Er freute sich über das geistreiche Schrift¬ stück und schrieb ans Ende desselben: „Vortrefflich, mein liebes, gescheites Herzchen, Sparsamste, witzigste und geistreichste aller Frauen! Natürlich werde ich dir wieder aufhelfen. Deine dreißig Pfund sollen dir gewährt, deine kleinen Schulden bezahlt werden, und dein Wille soll geschehen. T. C." populäre Schriftsteller. or kurzem fiel mir ein Buch in die Hände, welches in Jahresfrist fünfzehn Auflagen erlebt hat: Buchholzcns in Italien. Reise¬ abenteuer von Wilhelmine Buchholz. Herausgegeben von Julius Stinte. Nach wenigen Seiten wollte ich es wieder weglegen, aber die Neugier veranlaßte mich zum Weiterlesen. Hier war ja unzweifelhaft zu erkunden, welche Eigenschaften ein Vues haben müsst, um rasch Populär zu werden. Der Verfasser war als Humorist bezeichnet worden. Nun, ein Humorist ist ja wohl Gottfried Keller, aber Leute seiner Art haben sich von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/475
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/475>, abgerufen am 30.04.2024.