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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Um amo jperle.
Aebenundvierzigstes Aapitel.

Wieder ist es März, Jahre sind verstrichen. Die Eichen des Klostergartens
haben gelichtet werden müssen, eine hinderte das Wachstum der andern. Auch
die Festungswerke Mantuas sind nicht mehr die frühern. Die militärischen Be¬
rater Karls des Erste" hatten schon vieles für veraltet erklärt und geändert,
diejenigen Karls des Dritten, seines Enkels, haben auch an jenen Änderungen,
angesichts der weitertragenden Belagerungsgeschütze, wiederum zu tadeln gefunden,
und jetzt sind die Berater Karls deS Vierten am Nuder. Sie lassen alle
Schleusen, von deren Unzerstörbarkeit die Sicherheit der Wasserfestung Mantua
abhangt, mit dicken steirischen Eisenplatten belegen und behaupten, nun endlich
sei Mantua uneinnehmbar.

Dazu gehört freilich, daß der Feind es nicht aushungere, und um dem
vorzubeugen, müssen auch die Apostelmühlen gepanzert werden.

Das wird den ganzen Märzmonat in Anspruch nehmen. Wie werden die
armen Müller, ohne taub zu werden, bei dem ohrzerreißenden Getöse ihren
Dienst verrichten können?

Einer von ihnen hat seine Räder bereits abgestellt: die Mühle des heiligen
Petrus hat Ferien, und ihr Herr ist zu seiner Erholung von dem Pochen und
Hämmern, das den ganzen Mühlendamm umtost, auf einige Wochen in das Fran-
ziskanerkloster übergesiedelt, in welchem er zu Lebzeiten seiner Mutter nach
Landesbrauch gleich andern hin und wieder der Sammlung bedürftigen schon
manchesmal sich auf das heilige Osterfest vorbereitete.

Der Sammlung bedürftig ist er zwar nun freilich nicht. Wie er als
Blinder still vor sich hin lebte, als der Gedanke an die arme Cesarina sein
tägliches Brot war, so hat er neben der gebrechlich gewordnen Matrone in
Frieden sortgewerkelt, während die Welt draußen voll Kriegslärm war; so hat
er es auch geschehen lassen müssen, daß der heilige Petrus trotz aller An¬
rufungen die ihm geweihte Mühle nicht gegen das schwarze Sterben zu schützen
vermochte und daß man eines Tages ohne Sang und Klang, vermutlich auch ohne
Sarg -- er konnte es glücklicherweise nicht sehen -- die gute, alte Mutter aus
dem Bett und der Stube, wo sie ihn geboren hatte, fort und über den Steg aufs
Land geschafft hat, wohin? das konnte ihm nie ordentlich nachgewiesen werden.

Seitdem ist Cesarina nicht mehr sein alleiniger Gedanke gewesen, die Mutter
hat sich in seinem Geiste ihr zugesellt, und dabei ist er allmählich ins Grübeln
gekommen, ins Grübeln über die ewigen Dinge, an denen sich ja Gelehrte wie
Ungelehrte seit Jahrtausenden müde gedacht haben; aber er ist dabei nicht müde
geworden, ganz im Gegenteil, und der Franziskaner-Prior, der darüber bereits
müde geworden war, wird wieder aufgelegt für das unergründliche Thema, so
oft der blinde Gervasiv ihm seine Ideen mit sanftem Lächeln und noch sanfterer
Stimme austrank, denn die Ideen des blinden Greises sind poetisch, und den
ewigen Dingen läßt sich ja nicht anders beikommen.


Um amo jperle.
Aebenundvierzigstes Aapitel.

Wieder ist es März, Jahre sind verstrichen. Die Eichen des Klostergartens
haben gelichtet werden müssen, eine hinderte das Wachstum der andern. Auch
die Festungswerke Mantuas sind nicht mehr die frühern. Die militärischen Be¬
rater Karls des Erste» hatten schon vieles für veraltet erklärt und geändert,
diejenigen Karls des Dritten, seines Enkels, haben auch an jenen Änderungen,
angesichts der weitertragenden Belagerungsgeschütze, wiederum zu tadeln gefunden,
und jetzt sind die Berater Karls deS Vierten am Nuder. Sie lassen alle
Schleusen, von deren Unzerstörbarkeit die Sicherheit der Wasserfestung Mantua
abhangt, mit dicken steirischen Eisenplatten belegen und behaupten, nun endlich
sei Mantua uneinnehmbar.

Dazu gehört freilich, daß der Feind es nicht aushungere, und um dem
vorzubeugen, müssen auch die Apostelmühlen gepanzert werden.

Das wird den ganzen Märzmonat in Anspruch nehmen. Wie werden die
armen Müller, ohne taub zu werden, bei dem ohrzerreißenden Getöse ihren
Dienst verrichten können?

Einer von ihnen hat seine Räder bereits abgestellt: die Mühle des heiligen
Petrus hat Ferien, und ihr Herr ist zu seiner Erholung von dem Pochen und
Hämmern, das den ganzen Mühlendamm umtost, auf einige Wochen in das Fran-
ziskanerkloster übergesiedelt, in welchem er zu Lebzeiten seiner Mutter nach
Landesbrauch gleich andern hin und wieder der Sammlung bedürftigen schon
manchesmal sich auf das heilige Osterfest vorbereitete.

Der Sammlung bedürftig ist er zwar nun freilich nicht. Wie er als
Blinder still vor sich hin lebte, als der Gedanke an die arme Cesarina sein
tägliches Brot war, so hat er neben der gebrechlich gewordnen Matrone in
Frieden sortgewerkelt, während die Welt draußen voll Kriegslärm war; so hat
er es auch geschehen lassen müssen, daß der heilige Petrus trotz aller An¬
rufungen die ihm geweihte Mühle nicht gegen das schwarze Sterben zu schützen
vermochte und daß man eines Tages ohne Sang und Klang, vermutlich auch ohne
Sarg — er konnte es glücklicherweise nicht sehen — die gute, alte Mutter aus
dem Bett und der Stube, wo sie ihn geboren hatte, fort und über den Steg aufs
Land geschafft hat, wohin? das konnte ihm nie ordentlich nachgewiesen werden.

Seitdem ist Cesarina nicht mehr sein alleiniger Gedanke gewesen, die Mutter
hat sich in seinem Geiste ihr zugesellt, und dabei ist er allmählich ins Grübeln
gekommen, ins Grübeln über die ewigen Dinge, an denen sich ja Gelehrte wie
Ungelehrte seit Jahrtausenden müde gedacht haben; aber er ist dabei nicht müde
geworden, ganz im Gegenteil, und der Franziskaner-Prior, der darüber bereits
müde geworden war, wird wieder aufgelegt für das unergründliche Thema, so
oft der blinde Gervasiv ihm seine Ideen mit sanftem Lächeln und noch sanfterer
Stimme austrank, denn die Ideen des blinden Greises sind poetisch, und den
ewigen Dingen läßt sich ja nicht anders beikommen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/485>, abgerufen am 30.04.2024.