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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Notiz.

Nur eine hohe Mauer trennt den Garten des Franziskanerklosters von dem
der Augustinerinnen. Es soll Zeiten gegeben haben -- unter Vincenzo des
Ersten vergnüglichen Regiment --, wo in dieser Mauer einige Steine fehlten,
sodaß wohl hin und wieder eine Augustinerin einem Franziskaner die Hand
gedrückt haben mag. Seit vielen Jahrzehnten aber ist das Ephengcwebe auf
beiden Seiten so dicht, daß kein Stein mehr von der Stelle gerückt werden kann.
Und so sitzen, ohne daß sie aneinander denken oder auch nur ahnen, daß sie
einander nahe sind, drüben der blinde Greis Gervasio im Gespräch mit dem
ihm freundlich zugethaner Prior, und hüben die greise Domina, allein, mutter¬
seelenallein, aber in der Gesellschaft guter tröstlicher Gedanken. Denn während
der Blinde, von dem Getöse des Mühlendammes erlöst, mit dankbarem Ohre
den gescheiten Worten des Priors lauscht und dabei in vollen Zügen die Frische
des Märzmorgens und den Duft von blühenden Orangen- und Citronenbäumen,
den Lieblingspfleglingen des Priors, einatmet, hat die Domina, im Schatten
der immergrünen Eichen sitzend, ihr Gebetbuch in deu Schoß gelegt und ihre
Blicke in die Ferne schweifen lassen, wo wie eine ?s.es. rnorMUA schneebedeckte
Gebirge in der Luft schwimmen. Näher und deutlicher und mit jüngeren Augen
hat sie diese ewigen Grenzhüter einst von Verona aus gesehen. Und bei dem
Gedanken will ihr anfangs weh ums Herz werden, denn jene alten traurigen
Worte zittern einmal wieder durch ihre Seele, jene Worte, welche ihr Giuseppe
ausgestoßen haben sollte, als -- vltimo! -- Marcello Buvnaeolsis Degen ihn
durchbohrte, die Worte: Hülln" annu'o Lvorä"rs Ael xrinoipio äolvv -- ein
bittres Ende tilgt die Erinnerung an einen süßen Anfang.

Thränen wollen ihren Augen entstürzen; aber nein, sie will nicht klein¬
mütig, sie will nicht undankbar sein, sie will nicht daran glauben, daß Giuseppe,
wenn sich in dem Zusammenbrechen seiner jungen Kräfte auch der Beginn jener
Klage, das Wort vou dem bittern Ende, das alle, auch die süßeste Erinnerung
verbittert, auf seine Lippen drängte, sie will uicht daran glauben, daß je seinem
Gedächtnis die Wonne, geliebt zu haben, geliebt worden zu sein, habe ent¬
schwinden können. Und so heißt es denn von nun an in ihrem Sinne: Kein
noch so bittres Ende vermag die Erinnerung an einen süßen Anfang zu tilgen.




Notiz,

Gemischte Ehen. Ein genau unterrichteter Freund teilt uns folgende That¬
sache mit: Ein katholischer Offizier begehrte für seine Verehelichung mit seiner evan¬
gelischen Braut den Segen des evangelischen Seelsorgers. Unaufgefordert giebt er
die Erklärung ab, daß die etwaigen Kinder in dem Bekenntnis ihrer Mutter er¬
zogen werden sollen. Nachdem er als Beamter in seine römisch-katholische Heimat
zurückgekehrt ist, üben daselbst seine Umgebung und seine Familie ihren Einfluß


Notiz.

Nur eine hohe Mauer trennt den Garten des Franziskanerklosters von dem
der Augustinerinnen. Es soll Zeiten gegeben haben — unter Vincenzo des
Ersten vergnüglichen Regiment —, wo in dieser Mauer einige Steine fehlten,
sodaß wohl hin und wieder eine Augustinerin einem Franziskaner die Hand
gedrückt haben mag. Seit vielen Jahrzehnten aber ist das Ephengcwebe auf
beiden Seiten so dicht, daß kein Stein mehr von der Stelle gerückt werden kann.
Und so sitzen, ohne daß sie aneinander denken oder auch nur ahnen, daß sie
einander nahe sind, drüben der blinde Greis Gervasio im Gespräch mit dem
ihm freundlich zugethaner Prior, und hüben die greise Domina, allein, mutter¬
seelenallein, aber in der Gesellschaft guter tröstlicher Gedanken. Denn während
der Blinde, von dem Getöse des Mühlendammes erlöst, mit dankbarem Ohre
den gescheiten Worten des Priors lauscht und dabei in vollen Zügen die Frische
des Märzmorgens und den Duft von blühenden Orangen- und Citronenbäumen,
den Lieblingspfleglingen des Priors, einatmet, hat die Domina, im Schatten
der immergrünen Eichen sitzend, ihr Gebetbuch in deu Schoß gelegt und ihre
Blicke in die Ferne schweifen lassen, wo wie eine ?s.es. rnorMUA schneebedeckte
Gebirge in der Luft schwimmen. Näher und deutlicher und mit jüngeren Augen
hat sie diese ewigen Grenzhüter einst von Verona aus gesehen. Und bei dem
Gedanken will ihr anfangs weh ums Herz werden, denn jene alten traurigen
Worte zittern einmal wieder durch ihre Seele, jene Worte, welche ihr Giuseppe
ausgestoßen haben sollte, als — vltimo! — Marcello Buvnaeolsis Degen ihn
durchbohrte, die Worte: Hülln» annu'o Lvorä»rs Ael xrinoipio äolvv — ein
bittres Ende tilgt die Erinnerung an einen süßen Anfang.

Thränen wollen ihren Augen entstürzen; aber nein, sie will nicht klein¬
mütig, sie will nicht undankbar sein, sie will nicht daran glauben, daß Giuseppe,
wenn sich in dem Zusammenbrechen seiner jungen Kräfte auch der Beginn jener
Klage, das Wort vou dem bittern Ende, das alle, auch die süßeste Erinnerung
verbittert, auf seine Lippen drängte, sie will uicht daran glauben, daß je seinem
Gedächtnis die Wonne, geliebt zu haben, geliebt worden zu sein, habe ent¬
schwinden können. Und so heißt es denn von nun an in ihrem Sinne: Kein
noch so bittres Ende vermag die Erinnerung an einen süßen Anfang zu tilgen.




Notiz,

Gemischte Ehen. Ein genau unterrichteter Freund teilt uns folgende That¬
sache mit: Ein katholischer Offizier begehrte für seine Verehelichung mit seiner evan¬
gelischen Braut den Segen des evangelischen Seelsorgers. Unaufgefordert giebt er
die Erklärung ab, daß die etwaigen Kinder in dem Bekenntnis ihrer Mutter er¬
zogen werden sollen. Nachdem er als Beamter in seine römisch-katholische Heimat
zurückgekehrt ist, üben daselbst seine Umgebung und seine Familie ihren Einfluß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/486>, abgerufen am 30.04.2024.