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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Ostpreußische Skizzen.
6. Politisches.

em Verfasser dieser Aufsätze hat einmal el" im Lande einheimischer, in
vielen Verhältnissen desselben wohlerfahrener Gutsbesitzer (aller¬
dings war er fanatisch konservativ) gesagt: Wenn nur bei Frei¬
gebung des Erwerbes von Rittergütern durch Bürgerliche den
letztern gleichzeitig das Prädikat "Hochwohlgeboren" und ihren
Frauen das Recht auf die Anrede "gnädige Frau" gewährt worden wäre, so
würden wir in Ostpreußen nie eine demokratische Bewegung gehabt haben. Das
klingt ungeheuerlich, aber nicht nur ist uns dnrch gute und unbefangene Be¬
obachter bestätigt worden, daß etwas Wahres an der Sache sei, sondern bei
näherer Bekanntschaft mit der politischen Entwicklung Ostpreußens und mit
den ganz eigentümlichen Formen, welche der Parteigegensatz hier annimmt, fühlt
man sich mehr und mehr zu der Ansicht hingedrängt, daß recht viel Wahres
darin stecke.

So unglaublich es scheint, so ist es doch eine einfache Thatsache, daß selbst
heute noch der Kern des ostpreußischen Fortschrittlertums in der Landbevöl¬
kerung, und zwar nicht etwa in mißtrauischen, zähen Kleinbauern, sondern in
Rittergutsbesitzern, sowie in Gutsbesitzern von ähnlicher Qualität steckt. In den
Städten würde es natürlich unter allen Umständen hier wie überall eine liberale
Partei gegeben, und in den Seestädten würde dieselbe bei deren natürlicher srei-
händlerischer Färbung stark nach links tendirt haben; aber bei einheitlicher
Haltung der Landbevölkerung hätte dies kaum ins Gewicht fallen können. Nur
die gewaltige Stütze, welche seit der Gründung " Jung - Lithauens" der vor¬
geschrittene Liberalismus in den maßgebenden ländlichen Kreisen fand, hat ihm


Grmzb"den III. 188S- 7


Ostpreußische Skizzen.
6. Politisches.

em Verfasser dieser Aufsätze hat einmal el» im Lande einheimischer, in
vielen Verhältnissen desselben wohlerfahrener Gutsbesitzer (aller¬
dings war er fanatisch konservativ) gesagt: Wenn nur bei Frei¬
gebung des Erwerbes von Rittergütern durch Bürgerliche den
letztern gleichzeitig das Prädikat „Hochwohlgeboren" und ihren
Frauen das Recht auf die Anrede „gnädige Frau" gewährt worden wäre, so
würden wir in Ostpreußen nie eine demokratische Bewegung gehabt haben. Das
klingt ungeheuerlich, aber nicht nur ist uns dnrch gute und unbefangene Be¬
obachter bestätigt worden, daß etwas Wahres an der Sache sei, sondern bei
näherer Bekanntschaft mit der politischen Entwicklung Ostpreußens und mit
den ganz eigentümlichen Formen, welche der Parteigegensatz hier annimmt, fühlt
man sich mehr und mehr zu der Ansicht hingedrängt, daß recht viel Wahres
darin stecke.

So unglaublich es scheint, so ist es doch eine einfache Thatsache, daß selbst
heute noch der Kern des ostpreußischen Fortschrittlertums in der Landbevöl¬
kerung, und zwar nicht etwa in mißtrauischen, zähen Kleinbauern, sondern in
Rittergutsbesitzern, sowie in Gutsbesitzern von ähnlicher Qualität steckt. In den
Städten würde es natürlich unter allen Umständen hier wie überall eine liberale
Partei gegeben, und in den Seestädten würde dieselbe bei deren natürlicher srei-
händlerischer Färbung stark nach links tendirt haben; aber bei einheitlicher
Haltung der Landbevölkerung hätte dies kaum ins Gewicht fallen können. Nur
die gewaltige Stütze, welche seit der Gründung „ Jung - Lithauens" der vor¬
geschrittene Liberalismus in den maßgebenden ländlichen Kreisen fand, hat ihm


Grmzb»den III. 188S- 7
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[0057] [Abbildung] Ostpreußische Skizzen. 6. Politisches. em Verfasser dieser Aufsätze hat einmal el» im Lande einheimischer, in vielen Verhältnissen desselben wohlerfahrener Gutsbesitzer (aller¬ dings war er fanatisch konservativ) gesagt: Wenn nur bei Frei¬ gebung des Erwerbes von Rittergütern durch Bürgerliche den letztern gleichzeitig das Prädikat „Hochwohlgeboren" und ihren Frauen das Recht auf die Anrede „gnädige Frau" gewährt worden wäre, so würden wir in Ostpreußen nie eine demokratische Bewegung gehabt haben. Das klingt ungeheuerlich, aber nicht nur ist uns dnrch gute und unbefangene Be¬ obachter bestätigt worden, daß etwas Wahres an der Sache sei, sondern bei näherer Bekanntschaft mit der politischen Entwicklung Ostpreußens und mit den ganz eigentümlichen Formen, welche der Parteigegensatz hier annimmt, fühlt man sich mehr und mehr zu der Ansicht hingedrängt, daß recht viel Wahres darin stecke. So unglaublich es scheint, so ist es doch eine einfache Thatsache, daß selbst heute noch der Kern des ostpreußischen Fortschrittlertums in der Landbevöl¬ kerung, und zwar nicht etwa in mißtrauischen, zähen Kleinbauern, sondern in Rittergutsbesitzern, sowie in Gutsbesitzern von ähnlicher Qualität steckt. In den Städten würde es natürlich unter allen Umständen hier wie überall eine liberale Partei gegeben, und in den Seestädten würde dieselbe bei deren natürlicher srei- händlerischer Färbung stark nach links tendirt haben; aber bei einheitlicher Haltung der Landbevölkerung hätte dies kaum ins Gewicht fallen können. Nur die gewaltige Stütze, welche seit der Gründung „ Jung - Lithauens" der vor¬ geschrittene Liberalismus in den maßgebenden ländlichen Kreisen fand, hat ihm Grmzb»den III. 188S- 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/57>, abgerufen am 30.04.2024.