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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Der Streit über die Karolinen.

Schwäche und Laster. Canon hätte also dem heiligen Ehebunde auf der rechten
Seite das Bild von Wollust und Begier auf der linken, hätte der Erwerbslust
die Habsucht, der Arbeit Trägheit und Schwelgerei, der Wißbegier frevelnde
Zmeifelsucht und Unglauben entgegenstellen können: dann erst wäre der Kreis¬
lauf des Völkerlebens erschöpfend vorgeführt gewesen. So aber hat sich Canon
eine Fülle des herrlichsten Materials dadurch entgehen lassen, daß er seinen
philosophischen Hausgeist, den er so wacker heraufbeschworen, zu früh wieder
entlassen hat, anstatt ihn festzuhalten und bis ans Ende seiner Arbeit i" seinem
Dienste zu verwenden; daß er der Phantasie Thiir und Thor geöffnet hat,
bevor der Gedanke mit seiner Arbeit fertig war.




Der streit über die Karolinen.

ir ergänzen heute zunächst unsern neulichen Bericht über diese Frage
dnrch einige geschichtliche und geographische Zusätze, welche die
spanischen Ansprüche ans die Karolinen genauer zu beleuchten
geeignet sind. Die Entscheidung Papst Alexanders des Sechsten
von 1494, die der Krone Spanien alle etwa nen zu entdeckenden
Länder zusprach, welche 370 Seemeilen westlich von den Azoren lägen, konnte
nur für die Mächte Geltung behalten, welche den Papst als Oberhaupt der
Christenheit auch in weltlichen Angelegenheiten anerkannten. Die andern haben
jenen Ausspruch stets als nicht vorhanden angesehen.

Der Umstand ferner, daß der Führer eines Schiffes ein neues Land ge¬
sehen hatte, begründete schon in sehr alter Zeit für die Nation desselben so wenig
ein Recht ans den Besitz dieses Landes, daß es für erforderlich galt, das Sehen
durch symbolische Handlungen, Landen, Einschneiden des Wappens oder des
Namens des betreffenden Souveräns in einen Baum, Errichtung eines Kreuzes
oder eines Altars u. dergl. zu ergänzen. Noch später hielt man eine förmliche
notarielle Urkunde für nötig zur Sicherung des Besitzrechtes. Von dem allen
ist bei der Entdeckung der Karolinen durchaus nichts geschehen.

Allmählich genügten auch solche symbolische Besitzergreifungen nicht mehr,
und es bildete sich der Grundsatz aus, daß ein überseeisches Land von Ange¬
hörigen einer europäischen Macht besiedelt und irgendwie benutzt sein müsse,
wenn es als ihr gehörig betrachtet werden solle. Hiervon ist aber, soweit eS
Spanien und die Karolinen betrifft, erst recht keine Rede. Die Spanier haben


Der Streit über die Karolinen.

Schwäche und Laster. Canon hätte also dem heiligen Ehebunde auf der rechten
Seite das Bild von Wollust und Begier auf der linken, hätte der Erwerbslust
die Habsucht, der Arbeit Trägheit und Schwelgerei, der Wißbegier frevelnde
Zmeifelsucht und Unglauben entgegenstellen können: dann erst wäre der Kreis¬
lauf des Völkerlebens erschöpfend vorgeführt gewesen. So aber hat sich Canon
eine Fülle des herrlichsten Materials dadurch entgehen lassen, daß er seinen
philosophischen Hausgeist, den er so wacker heraufbeschworen, zu früh wieder
entlassen hat, anstatt ihn festzuhalten und bis ans Ende seiner Arbeit i» seinem
Dienste zu verwenden; daß er der Phantasie Thiir und Thor geöffnet hat,
bevor der Gedanke mit seiner Arbeit fertig war.




Der streit über die Karolinen.

ir ergänzen heute zunächst unsern neulichen Bericht über diese Frage
dnrch einige geschichtliche und geographische Zusätze, welche die
spanischen Ansprüche ans die Karolinen genauer zu beleuchten
geeignet sind. Die Entscheidung Papst Alexanders des Sechsten
von 1494, die der Krone Spanien alle etwa nen zu entdeckenden
Länder zusprach, welche 370 Seemeilen westlich von den Azoren lägen, konnte
nur für die Mächte Geltung behalten, welche den Papst als Oberhaupt der
Christenheit auch in weltlichen Angelegenheiten anerkannten. Die andern haben
jenen Ausspruch stets als nicht vorhanden angesehen.

Der Umstand ferner, daß der Führer eines Schiffes ein neues Land ge¬
sehen hatte, begründete schon in sehr alter Zeit für die Nation desselben so wenig
ein Recht ans den Besitz dieses Landes, daß es für erforderlich galt, das Sehen
durch symbolische Handlungen, Landen, Einschneiden des Wappens oder des
Namens des betreffenden Souveräns in einen Baum, Errichtung eines Kreuzes
oder eines Altars u. dergl. zu ergänzen. Noch später hielt man eine förmliche
notarielle Urkunde für nötig zur Sicherung des Besitzrechtes. Von dem allen
ist bei der Entdeckung der Karolinen durchaus nichts geschehen.

Allmählich genügten auch solche symbolische Besitzergreifungen nicht mehr,
und es bildete sich der Grundsatz aus, daß ein überseeisches Land von Ange¬
hörigen einer europäischen Macht besiedelt und irgendwie benutzt sein müsse,
wenn es als ihr gehörig betrachtet werden solle. Hiervon ist aber, soweit eS
Spanien und die Karolinen betrifft, erst recht keine Rede. Die Spanier haben


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[0616] Der Streit über die Karolinen. Schwäche und Laster. Canon hätte also dem heiligen Ehebunde auf der rechten Seite das Bild von Wollust und Begier auf der linken, hätte der Erwerbslust die Habsucht, der Arbeit Trägheit und Schwelgerei, der Wißbegier frevelnde Zmeifelsucht und Unglauben entgegenstellen können: dann erst wäre der Kreis¬ lauf des Völkerlebens erschöpfend vorgeführt gewesen. So aber hat sich Canon eine Fülle des herrlichsten Materials dadurch entgehen lassen, daß er seinen philosophischen Hausgeist, den er so wacker heraufbeschworen, zu früh wieder entlassen hat, anstatt ihn festzuhalten und bis ans Ende seiner Arbeit i» seinem Dienste zu verwenden; daß er der Phantasie Thiir und Thor geöffnet hat, bevor der Gedanke mit seiner Arbeit fertig war. Der streit über die Karolinen. ir ergänzen heute zunächst unsern neulichen Bericht über diese Frage dnrch einige geschichtliche und geographische Zusätze, welche die spanischen Ansprüche ans die Karolinen genauer zu beleuchten geeignet sind. Die Entscheidung Papst Alexanders des Sechsten von 1494, die der Krone Spanien alle etwa nen zu entdeckenden Länder zusprach, welche 370 Seemeilen westlich von den Azoren lägen, konnte nur für die Mächte Geltung behalten, welche den Papst als Oberhaupt der Christenheit auch in weltlichen Angelegenheiten anerkannten. Die andern haben jenen Ausspruch stets als nicht vorhanden angesehen. Der Umstand ferner, daß der Führer eines Schiffes ein neues Land ge¬ sehen hatte, begründete schon in sehr alter Zeit für die Nation desselben so wenig ein Recht ans den Besitz dieses Landes, daß es für erforderlich galt, das Sehen durch symbolische Handlungen, Landen, Einschneiden des Wappens oder des Namens des betreffenden Souveräns in einen Baum, Errichtung eines Kreuzes oder eines Altars u. dergl. zu ergänzen. Noch später hielt man eine förmliche notarielle Urkunde für nötig zur Sicherung des Besitzrechtes. Von dem allen ist bei der Entdeckung der Karolinen durchaus nichts geschehen. Allmählich genügten auch solche symbolische Besitzergreifungen nicht mehr, und es bildete sich der Grundsatz aus, daß ein überseeisches Land von Ange¬ hörigen einer europäischen Macht besiedelt und irgendwie benutzt sein müsse, wenn es als ihr gehörig betrachtet werden solle. Hiervon ist aber, soweit eS Spanien und die Karolinen betrifft, erst recht keine Rede. Die Spanier haben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/616>, abgerufen am 30.04.2024.