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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal.

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Lin Grundproblem des Kunstgewerbes.

wollte -- nach vorgängiger Änderung der betreffenden gesetzlichen Vorschriften --,
wieder zur Einführung öffentlicher Häuser zurückzukehren. Die dagegen erhobenen
Einwände erkennen wir vollständig an, wir verschließen uns durchaus uicht den
Nachteilen einer solchen Institution, insbesondre auch uicht dein Umstände, daß
eine solche mit der Idee eines christlichen Staates schwer vereinbar ist. So¬
lange aber ein solcher überhaupt sich nicht völlig durchführen und solange ins¬
besondre die Prostitution selbst sich nicht aus der Welt schaffen läßt, halten
wir dafür, daß jenes Auskunftsmittel am zweckentsprechendsten sei.


-de.


Gin Grundproblem des Kunstgewerbes.
von Veit Valentin.

iter Orten regt es sich, das Kunstgewerbe nen zu beleben, und
Deutschland steht auch hierbei in der vordersten Reihe. Es liegt
dieser Thatsache sicherlich überall die Erkenntnis zugrunde, daß
die Arbeit umso gewinnreicher sein kann, eine je bedeutendere
menschliche Thätigkeit sie darstellt, sowie die andre, daß bei wach¬
sender Menschenzahl an Stelle der das Rohmaterial produzireuden Thätigkeit mehr
und mehr die dieses Material verarbeitende Thätigkeit treten müsse: ein neues
und zugleich höheres Gebiet muß der arbeitenden Menschheit erworben werden.
Auffallend ist dabei nur, das; nicht nur in frühern Zeiten, in Deutschland be¬
sonders im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert, eine solche höhere Be¬
thätigung der Menschenkraft bereits vorhanden war, und zwar, ohne daß ihr
eine volkswirtschaftliche Erkenntnis zugrunde gelegen hätte, fondern daß das
Handwerk zum Kunstgewerbe sich aufgeschwungen hatte, ohne daß ihm die hilf¬
reiche Hand der Kunstgewcrbeschulen zur Seite stand. Und andrerseits ertönt
immer und immer wieder die Klage, daß trotz solcher Anstalten das Kunstgewerbe
heute dennoch das nicht leiste, was es in jenen Zeiten geleistet hat, zu denen
das kunstgeübte Auge sehnsüchtig zurückschaut.

Schon die Thatsache, daß wir durch Lehre erreichen wollen, was sich sonst
aus der schaffenden Thätigkeit selbst gestaltete, weist auf den Grundunterschied
unsrer Epoche von jener frühern hin: es ist uns die naive schöpferische Kraft
abhanden gekommen, und wir betrachten es als die Aufgabe der Wissenschaft,
den versiegten Born wieder aufsprudeln zu lassen. Das Mittel wäre falsch


Lin Grundproblem des Kunstgewerbes.

wollte — nach vorgängiger Änderung der betreffenden gesetzlichen Vorschriften —,
wieder zur Einführung öffentlicher Häuser zurückzukehren. Die dagegen erhobenen
Einwände erkennen wir vollständig an, wir verschließen uns durchaus uicht den
Nachteilen einer solchen Institution, insbesondre auch uicht dein Umstände, daß
eine solche mit der Idee eines christlichen Staates schwer vereinbar ist. So¬
lange aber ein solcher überhaupt sich nicht völlig durchführen und solange ins¬
besondre die Prostitution selbst sich nicht aus der Welt schaffen läßt, halten
wir dafür, daß jenes Auskunftsmittel am zweckentsprechendsten sei.


-de.


Gin Grundproblem des Kunstgewerbes.
von Veit Valentin.

iter Orten regt es sich, das Kunstgewerbe nen zu beleben, und
Deutschland steht auch hierbei in der vordersten Reihe. Es liegt
dieser Thatsache sicherlich überall die Erkenntnis zugrunde, daß
die Arbeit umso gewinnreicher sein kann, eine je bedeutendere
menschliche Thätigkeit sie darstellt, sowie die andre, daß bei wach¬
sender Menschenzahl an Stelle der das Rohmaterial produzireuden Thätigkeit mehr
und mehr die dieses Material verarbeitende Thätigkeit treten müsse: ein neues
und zugleich höheres Gebiet muß der arbeitenden Menschheit erworben werden.
Auffallend ist dabei nur, das; nicht nur in frühern Zeiten, in Deutschland be¬
sonders im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert, eine solche höhere Be¬
thätigung der Menschenkraft bereits vorhanden war, und zwar, ohne daß ihr
eine volkswirtschaftliche Erkenntnis zugrunde gelegen hätte, fondern daß das
Handwerk zum Kunstgewerbe sich aufgeschwungen hatte, ohne daß ihm die hilf¬
reiche Hand der Kunstgewcrbeschulen zur Seite stand. Und andrerseits ertönt
immer und immer wieder die Klage, daß trotz solcher Anstalten das Kunstgewerbe
heute dennoch das nicht leiste, was es in jenen Zeiten geleistet hat, zu denen
das kunstgeübte Auge sehnsüchtig zurückschaut.

Schon die Thatsache, daß wir durch Lehre erreichen wollen, was sich sonst
aus der schaffenden Thätigkeit selbst gestaltete, weist auf den Grundunterschied
unsrer Epoche von jener frühern hin: es ist uns die naive schöpferische Kraft
abhanden gekommen, und wir betrachten es als die Aufgabe der Wissenschaft,
den versiegten Born wieder aufsprudeln zu lassen. Das Mittel wäre falsch


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[0072] Lin Grundproblem des Kunstgewerbes. wollte — nach vorgängiger Änderung der betreffenden gesetzlichen Vorschriften —, wieder zur Einführung öffentlicher Häuser zurückzukehren. Die dagegen erhobenen Einwände erkennen wir vollständig an, wir verschließen uns durchaus uicht den Nachteilen einer solchen Institution, insbesondre auch uicht dein Umstände, daß eine solche mit der Idee eines christlichen Staates schwer vereinbar ist. So¬ lange aber ein solcher überhaupt sich nicht völlig durchführen und solange ins¬ besondre die Prostitution selbst sich nicht aus der Welt schaffen läßt, halten wir dafür, daß jenes Auskunftsmittel am zweckentsprechendsten sei. -de. Gin Grundproblem des Kunstgewerbes. von Veit Valentin. iter Orten regt es sich, das Kunstgewerbe nen zu beleben, und Deutschland steht auch hierbei in der vordersten Reihe. Es liegt dieser Thatsache sicherlich überall die Erkenntnis zugrunde, daß die Arbeit umso gewinnreicher sein kann, eine je bedeutendere menschliche Thätigkeit sie darstellt, sowie die andre, daß bei wach¬ sender Menschenzahl an Stelle der das Rohmaterial produzireuden Thätigkeit mehr und mehr die dieses Material verarbeitende Thätigkeit treten müsse: ein neues und zugleich höheres Gebiet muß der arbeitenden Menschheit erworben werden. Auffallend ist dabei nur, das; nicht nur in frühern Zeiten, in Deutschland be¬ sonders im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert, eine solche höhere Be¬ thätigung der Menschenkraft bereits vorhanden war, und zwar, ohne daß ihr eine volkswirtschaftliche Erkenntnis zugrunde gelegen hätte, fondern daß das Handwerk zum Kunstgewerbe sich aufgeschwungen hatte, ohne daß ihm die hilf¬ reiche Hand der Kunstgewcrbeschulen zur Seite stand. Und andrerseits ertönt immer und immer wieder die Klage, daß trotz solcher Anstalten das Kunstgewerbe heute dennoch das nicht leiste, was es in jenen Zeiten geleistet hat, zu denen das kunstgeübte Auge sehnsüchtig zurückschaut. Schon die Thatsache, daß wir durch Lehre erreichen wollen, was sich sonst aus der schaffenden Thätigkeit selbst gestaltete, weist auf den Grundunterschied unsrer Epoche von jener frühern hin: es ist uns die naive schöpferische Kraft abhanden gekommen, und wir betrachten es als die Aufgabe der Wissenschaft, den versiegten Born wieder aufsprudeln zu lassen. Das Mittel wäre falsch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196099/72>, abgerufen am 30.04.2024.