Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Iuristenstand und das öffentliche Recht.

s ist ein Zeichen des politischen Niederganges eines Volkes, wenn
in ihm das Studium des Privatrechts überwuchert. Der Jnristen-
stand, der vermöge seines Vernfes vor allen andern dazu bestimmt
ist, für die leitenden Gedanken seines Volkes die nötige Formu-
lirung zu finden, verliert, indem er sich lediglich den Kontroversen
des Privatrechtes zuwendet, den Zusammenhang mit der Nation. Versinke diese
wiederum in Knechtschaft, wird das öffentliche Leben in ihr getötet, so fehlt es
den höher gebildeten Klassen an einem entsprechenden Felde der Thätigkeit, und
dann ist es die richterliche Magistratur und die juristische Professur, welche
auf dem Gebiete des Privatrechts die Geister in Anspruch nimmt, für welche
es sonst an Entfaltung gebricht. Jedenfalls ist es eine eigentümliche Erschei¬
nung, daß in Rom die Blüte der Ziviljnrisprndcnz mit dem Niedergange des
Staatslebens zusammenfällt, und daß in demselben Maße, in welchem das
Interesse des Volkes an seinen Geschicken und dem Schicksale des Staatsganzen
abnimmt, das Privatrecht sich einer regeren Pflege erfreut. Unter dem jammer¬
vollsten Regiments der römischen Cäsaren findet das Zivilrecht die höchste Ent¬
wicklung, der Stand der Ziviljuristen nimmt überHand und wird die Pflanzstätte
des gesamten Beamtentums; Proviuzialstatthaltcr, Generale und Premierminister
gehen aus der Schule des Privatrechts hervor, und gerade ein Monarch, dessen
Regierung und Leben die geringste Achtung und Liebe bei Mit- und Nachwelt
erhalten hat, vermag es, in dem (üorxus suris civilis ein Privatrechtsbuch zu
schaffen, welches bis auf den heutigen Tag bei alle" gebildeten Nationen, mit
Ausnahme der Engländer, die Grundlage der privaten Rechtswissenschaft und
Gesetzgebung geblieben ist. Bei den Engländern war schon frühzeitig und ins¬
besondre seit der Nassirg. (zliartg. Johanns ohne Land das gesamte Volk ein den
öffentlichen Interessen beteiligt; diese behalten in dem Leben der Nation bis
auf die Gegenwart die Oberhand, und während das öffentliche Recht Englands,
wenn auch vielfach mißverstanden und falsch angewendet, mustergiltig sür die
politische Entwicklung Europas geworden ist, befindet sich das englische Privat¬
recht bekanntlich in einem chaotischen und unentwirrbaren Zustande, sodaß es
für deu Außenstehenden wunderbar erscheint, wie ein Volk mit so lebendigem
Handelsverkehr sich so wenig in der Regelung seiner Privatrechtsverhältnisse
helfen kann. Wiewenig mich ein solches Extrem sich zur Nachahmung empfiehlt,
so wird man doch zugeben müssen, daß die Pflege des öffentlichen Rechtes das
Volk zu Wohlstand lind Zufriedenheit gebracht hat, und man darf deshalb


Der Iuristenstand und das öffentliche Recht.

s ist ein Zeichen des politischen Niederganges eines Volkes, wenn
in ihm das Studium des Privatrechts überwuchert. Der Jnristen-
stand, der vermöge seines Vernfes vor allen andern dazu bestimmt
ist, für die leitenden Gedanken seines Volkes die nötige Formu-
lirung zu finden, verliert, indem er sich lediglich den Kontroversen
des Privatrechtes zuwendet, den Zusammenhang mit der Nation. Versinke diese
wiederum in Knechtschaft, wird das öffentliche Leben in ihr getötet, so fehlt es
den höher gebildeten Klassen an einem entsprechenden Felde der Thätigkeit, und
dann ist es die richterliche Magistratur und die juristische Professur, welche
auf dem Gebiete des Privatrechts die Geister in Anspruch nimmt, für welche
es sonst an Entfaltung gebricht. Jedenfalls ist es eine eigentümliche Erschei¬
nung, daß in Rom die Blüte der Ziviljnrisprndcnz mit dem Niedergange des
Staatslebens zusammenfällt, und daß in demselben Maße, in welchem das
Interesse des Volkes an seinen Geschicken und dem Schicksale des Staatsganzen
abnimmt, das Privatrecht sich einer regeren Pflege erfreut. Unter dem jammer¬
vollsten Regiments der römischen Cäsaren findet das Zivilrecht die höchste Ent¬
wicklung, der Stand der Ziviljuristen nimmt überHand und wird die Pflanzstätte
des gesamten Beamtentums; Proviuzialstatthaltcr, Generale und Premierminister
gehen aus der Schule des Privatrechts hervor, und gerade ein Monarch, dessen
Regierung und Leben die geringste Achtung und Liebe bei Mit- und Nachwelt
erhalten hat, vermag es, in dem (üorxus suris civilis ein Privatrechtsbuch zu
schaffen, welches bis auf den heutigen Tag bei alle» gebildeten Nationen, mit
Ausnahme der Engländer, die Grundlage der privaten Rechtswissenschaft und
Gesetzgebung geblieben ist. Bei den Engländern war schon frühzeitig und ins¬
besondre seit der Nassirg. (zliartg. Johanns ohne Land das gesamte Volk ein den
öffentlichen Interessen beteiligt; diese behalten in dem Leben der Nation bis
auf die Gegenwart die Oberhand, und während das öffentliche Recht Englands,
wenn auch vielfach mißverstanden und falsch angewendet, mustergiltig sür die
politische Entwicklung Europas geworden ist, befindet sich das englische Privat¬
recht bekanntlich in einem chaotischen und unentwirrbaren Zustande, sodaß es
für deu Außenstehenden wunderbar erscheint, wie ein Volk mit so lebendigem
Handelsverkehr sich so wenig in der Regelung seiner Privatrechtsverhältnisse
helfen kann. Wiewenig mich ein solches Extrem sich zur Nachahmung empfiehlt,
so wird man doch zugeben müssen, daß die Pflege des öffentlichen Rechtes das
Volk zu Wohlstand lind Zufriedenheit gebracht hat, und man darf deshalb


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0112" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197536"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Iuristenstand und das öffentliche Recht.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_332" next="#ID_333"> s ist ein Zeichen des politischen Niederganges eines Volkes, wenn<lb/>
in ihm das Studium des Privatrechts überwuchert. Der Jnristen-<lb/>
stand, der vermöge seines Vernfes vor allen andern dazu bestimmt<lb/>
ist, für die leitenden Gedanken seines Volkes die nötige Formu-<lb/>
lirung zu finden, verliert, indem er sich lediglich den Kontroversen<lb/>
des Privatrechtes zuwendet, den Zusammenhang mit der Nation. Versinke diese<lb/>
wiederum in Knechtschaft, wird das öffentliche Leben in ihr getötet, so fehlt es<lb/>
den höher gebildeten Klassen an einem entsprechenden Felde der Thätigkeit, und<lb/>
dann ist es die richterliche Magistratur und die juristische Professur, welche<lb/>
auf dem Gebiete des Privatrechts die Geister in Anspruch nimmt, für welche<lb/>
es sonst an Entfaltung gebricht. Jedenfalls ist es eine eigentümliche Erschei¬<lb/>
nung, daß in Rom die Blüte der Ziviljnrisprndcnz mit dem Niedergange des<lb/>
Staatslebens zusammenfällt, und daß in demselben Maße, in welchem das<lb/>
Interesse des Volkes an seinen Geschicken und dem Schicksale des Staatsganzen<lb/>
abnimmt, das Privatrecht sich einer regeren Pflege erfreut. Unter dem jammer¬<lb/>
vollsten Regiments der römischen Cäsaren findet das Zivilrecht die höchste Ent¬<lb/>
wicklung, der Stand der Ziviljuristen nimmt überHand und wird die Pflanzstätte<lb/>
des gesamten Beamtentums; Proviuzialstatthaltcr, Generale und Premierminister<lb/>
gehen aus der Schule des Privatrechts hervor, und gerade ein Monarch, dessen<lb/>
Regierung und Leben die geringste Achtung und Liebe bei Mit- und Nachwelt<lb/>
erhalten hat, vermag es, in dem (üorxus suris civilis ein Privatrechtsbuch zu<lb/>
schaffen, welches bis auf den heutigen Tag bei alle» gebildeten Nationen, mit<lb/>
Ausnahme der Engländer, die Grundlage der privaten Rechtswissenschaft und<lb/>
Gesetzgebung geblieben ist. Bei den Engländern war schon frühzeitig und ins¬<lb/>
besondre seit der Nassirg. (zliartg. Johanns ohne Land das gesamte Volk ein den<lb/>
öffentlichen Interessen beteiligt; diese behalten in dem Leben der Nation bis<lb/>
auf die Gegenwart die Oberhand, und während das öffentliche Recht Englands,<lb/>
wenn auch vielfach mißverstanden und falsch angewendet, mustergiltig sür die<lb/>
politische Entwicklung Europas geworden ist, befindet sich das englische Privat¬<lb/>
recht bekanntlich in einem chaotischen und unentwirrbaren Zustande, sodaß es<lb/>
für deu Außenstehenden wunderbar erscheint, wie ein Volk mit so lebendigem<lb/>
Handelsverkehr sich so wenig in der Regelung seiner Privatrechtsverhältnisse<lb/>
helfen kann. Wiewenig mich ein solches Extrem sich zur Nachahmung empfiehlt,<lb/>
so wird man doch zugeben müssen, daß die Pflege des öffentlichen Rechtes das<lb/>
Volk zu Wohlstand lind Zufriedenheit gebracht hat, und man darf deshalb</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0112] Der Iuristenstand und das öffentliche Recht. s ist ein Zeichen des politischen Niederganges eines Volkes, wenn in ihm das Studium des Privatrechts überwuchert. Der Jnristen- stand, der vermöge seines Vernfes vor allen andern dazu bestimmt ist, für die leitenden Gedanken seines Volkes die nötige Formu- lirung zu finden, verliert, indem er sich lediglich den Kontroversen des Privatrechtes zuwendet, den Zusammenhang mit der Nation. Versinke diese wiederum in Knechtschaft, wird das öffentliche Leben in ihr getötet, so fehlt es den höher gebildeten Klassen an einem entsprechenden Felde der Thätigkeit, und dann ist es die richterliche Magistratur und die juristische Professur, welche auf dem Gebiete des Privatrechts die Geister in Anspruch nimmt, für welche es sonst an Entfaltung gebricht. Jedenfalls ist es eine eigentümliche Erschei¬ nung, daß in Rom die Blüte der Ziviljnrisprndcnz mit dem Niedergange des Staatslebens zusammenfällt, und daß in demselben Maße, in welchem das Interesse des Volkes an seinen Geschicken und dem Schicksale des Staatsganzen abnimmt, das Privatrecht sich einer regeren Pflege erfreut. Unter dem jammer¬ vollsten Regiments der römischen Cäsaren findet das Zivilrecht die höchste Ent¬ wicklung, der Stand der Ziviljuristen nimmt überHand und wird die Pflanzstätte des gesamten Beamtentums; Proviuzialstatthaltcr, Generale und Premierminister gehen aus der Schule des Privatrechts hervor, und gerade ein Monarch, dessen Regierung und Leben die geringste Achtung und Liebe bei Mit- und Nachwelt erhalten hat, vermag es, in dem (üorxus suris civilis ein Privatrechtsbuch zu schaffen, welches bis auf den heutigen Tag bei alle» gebildeten Nationen, mit Ausnahme der Engländer, die Grundlage der privaten Rechtswissenschaft und Gesetzgebung geblieben ist. Bei den Engländern war schon frühzeitig und ins¬ besondre seit der Nassirg. (zliartg. Johanns ohne Land das gesamte Volk ein den öffentlichen Interessen beteiligt; diese behalten in dem Leben der Nation bis auf die Gegenwart die Oberhand, und während das öffentliche Recht Englands, wenn auch vielfach mißverstanden und falsch angewendet, mustergiltig sür die politische Entwicklung Europas geworden ist, befindet sich das englische Privat¬ recht bekanntlich in einem chaotischen und unentwirrbaren Zustande, sodaß es für deu Außenstehenden wunderbar erscheint, wie ein Volk mit so lebendigem Handelsverkehr sich so wenig in der Regelung seiner Privatrechtsverhältnisse helfen kann. Wiewenig mich ein solches Extrem sich zur Nachahmung empfiehlt, so wird man doch zugeben müssen, daß die Pflege des öffentlichen Rechtes das Volk zu Wohlstand lind Zufriedenheit gebracht hat, und man darf deshalb

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/112
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/112>, abgerufen am 19.05.2024.