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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Fremdherrschaft geblieben und der deutsche Bund würde durch den Gehorsam
Preußens gegen ihn verewigt worden sein oder wenigstens noch heute bestehen,
und mit ihm die Zerrissenheit und Ohnmacht der deutschen Nation,




Die hannoversche Gesellschaft.
^, vor der Annexion.

lie Hannoveraner, welche auch andre Gaue und Städte des
deutschen Vaterlandes kennen gelernt haben, stimmen darin über¬
ein, daß sich die Gesellschaft in keinem Teile desselben so ho¬
mogen, so wie ans einem Guß entwickelt habe, wie in dem Ge¬
biete des ehemaligen Königreiches Hannover, Nur hier setzte sie
sich aus ganz bestimmten Kreisen zusammen und bewegte sich nach streng vor-
geschriebnen, von ihren Mitgliedern innegehaltnen Gesetzen, welche dem Fremden
zwar häufig wunderbar, aber dem Hannoveraner, der unter ihrem Zwange auf¬
gewachsen war, so selbstverständlich erschienen, daß er fern von der Heimat
überall die Institution vermißte, welche er unter jenem Namen kannte. Da
aber die festen Schranken, welche die alte hannoversche Gesellschaft zusammen¬
hielten und gegen alle ihr nicht angehörenden Elemente absperrten, infolge des
Eindringens altpreußischcr Anschauungen mehr und mehr zusammenbrechen,
so scheint es um der Zeit, ihrer Organisation und ihres auch jetzt "och nicht
erloschenen Einflusses in Kurze zu gedenken, ihre Vorzüge hervorzuheben, aber
auch ihre Mängel nicht zu verschweigen.

Flüchtige Schriftsteller, aber auch ernste Historiker, haben immer und immer
wieder behauptet, daß der hannoversche Adel während der Zeit, in welcher die
Kurfürsten aus dem jüngern Zweige des welfischen Hauses als Englands
Könige von Windsor Castle ans die halbe Welt beherrschten, das Stammland
derselbe" allein regiert habe. Dieser Anschauung liegt etwas Wahres zu Grunde,
und doch ist sie nur bis zu einem gewissen Punkte richtig. Zwar hatte der
Adel sich in der Justiz, in der Verwaltung, in der Armee die höchsten Stellen,
zumal die Stellen der Minister, der Präsidenten des Oberappellationsgerichts,
der Landdrosten, die des kommandirenden Generals -- des Feldmarschalls,
wie sein Titel lautete --, vorbehalte"; aber dicht hinter ihm standen in zweiter
Linie bei allen Behörden Bürgerliche. Wir treffen sie als Geheime Kanzlei-
Sekretäre (vortragende Räte in den verschiednen Ministerien), als Räte bei den


Fremdherrschaft geblieben und der deutsche Bund würde durch den Gehorsam
Preußens gegen ihn verewigt worden sein oder wenigstens noch heute bestehen,
und mit ihm die Zerrissenheit und Ohnmacht der deutschen Nation,




Die hannoversche Gesellschaft.
^, vor der Annexion.

lie Hannoveraner, welche auch andre Gaue und Städte des
deutschen Vaterlandes kennen gelernt haben, stimmen darin über¬
ein, daß sich die Gesellschaft in keinem Teile desselben so ho¬
mogen, so wie ans einem Guß entwickelt habe, wie in dem Ge¬
biete des ehemaligen Königreiches Hannover, Nur hier setzte sie
sich aus ganz bestimmten Kreisen zusammen und bewegte sich nach streng vor-
geschriebnen, von ihren Mitgliedern innegehaltnen Gesetzen, welche dem Fremden
zwar häufig wunderbar, aber dem Hannoveraner, der unter ihrem Zwange auf¬
gewachsen war, so selbstverständlich erschienen, daß er fern von der Heimat
überall die Institution vermißte, welche er unter jenem Namen kannte. Da
aber die festen Schranken, welche die alte hannoversche Gesellschaft zusammen¬
hielten und gegen alle ihr nicht angehörenden Elemente absperrten, infolge des
Eindringens altpreußischcr Anschauungen mehr und mehr zusammenbrechen,
so scheint es um der Zeit, ihrer Organisation und ihres auch jetzt «och nicht
erloschenen Einflusses in Kurze zu gedenken, ihre Vorzüge hervorzuheben, aber
auch ihre Mängel nicht zu verschweigen.

Flüchtige Schriftsteller, aber auch ernste Historiker, haben immer und immer
wieder behauptet, daß der hannoversche Adel während der Zeit, in welcher die
Kurfürsten aus dem jüngern Zweige des welfischen Hauses als Englands
Könige von Windsor Castle ans die halbe Welt beherrschten, das Stammland
derselbe» allein regiert habe. Dieser Anschauung liegt etwas Wahres zu Grunde,
und doch ist sie nur bis zu einem gewissen Punkte richtig. Zwar hatte der
Adel sich in der Justiz, in der Verwaltung, in der Armee die höchsten Stellen,
zumal die Stellen der Minister, der Präsidenten des Oberappellationsgerichts,
der Landdrosten, die des kommandirenden Generals — des Feldmarschalls,
wie sein Titel lautete —, vorbehalte»; aber dicht hinter ihm standen in zweiter
Linie bei allen Behörden Bürgerliche. Wir treffen sie als Geheime Kanzlei-
Sekretäre (vortragende Räte in den verschiednen Ministerien), als Räte bei den


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[0015] Fremdherrschaft geblieben und der deutsche Bund würde durch den Gehorsam Preußens gegen ihn verewigt worden sein oder wenigstens noch heute bestehen, und mit ihm die Zerrissenheit und Ohnmacht der deutschen Nation, Die hannoversche Gesellschaft. ^, vor der Annexion. lie Hannoveraner, welche auch andre Gaue und Städte des deutschen Vaterlandes kennen gelernt haben, stimmen darin über¬ ein, daß sich die Gesellschaft in keinem Teile desselben so ho¬ mogen, so wie ans einem Guß entwickelt habe, wie in dem Ge¬ biete des ehemaligen Königreiches Hannover, Nur hier setzte sie sich aus ganz bestimmten Kreisen zusammen und bewegte sich nach streng vor- geschriebnen, von ihren Mitgliedern innegehaltnen Gesetzen, welche dem Fremden zwar häufig wunderbar, aber dem Hannoveraner, der unter ihrem Zwange auf¬ gewachsen war, so selbstverständlich erschienen, daß er fern von der Heimat überall die Institution vermißte, welche er unter jenem Namen kannte. Da aber die festen Schranken, welche die alte hannoversche Gesellschaft zusammen¬ hielten und gegen alle ihr nicht angehörenden Elemente absperrten, infolge des Eindringens altpreußischcr Anschauungen mehr und mehr zusammenbrechen, so scheint es um der Zeit, ihrer Organisation und ihres auch jetzt «och nicht erloschenen Einflusses in Kurze zu gedenken, ihre Vorzüge hervorzuheben, aber auch ihre Mängel nicht zu verschweigen. Flüchtige Schriftsteller, aber auch ernste Historiker, haben immer und immer wieder behauptet, daß der hannoversche Adel während der Zeit, in welcher die Kurfürsten aus dem jüngern Zweige des welfischen Hauses als Englands Könige von Windsor Castle ans die halbe Welt beherrschten, das Stammland derselbe» allein regiert habe. Dieser Anschauung liegt etwas Wahres zu Grunde, und doch ist sie nur bis zu einem gewissen Punkte richtig. Zwar hatte der Adel sich in der Justiz, in der Verwaltung, in der Armee die höchsten Stellen, zumal die Stellen der Minister, der Präsidenten des Oberappellationsgerichts, der Landdrosten, die des kommandirenden Generals — des Feldmarschalls, wie sein Titel lautete —, vorbehalte»; aber dicht hinter ihm standen in zweiter Linie bei allen Behörden Bürgerliche. Wir treffen sie als Geheime Kanzlei- Sekretäre (vortragende Räte in den verschiednen Ministerien), als Räte bei den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/15>, abgerufen am 19.05.2024.