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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Agitationen auf dem Gebiete der höheren Schulen.

le auf andern Gebieten die Geister sich scheiden und die ver-
schiednen Grundgedanken sich zu Extremen ausbilden, bevor eine
höhere Einheit zum Bedürfnis wird, so scheint es auch noch ans
dem Gebiete der höheren Schulen weiter auseinander gehen zu
sollen, bevor man ein ausgleicüeudes, gemeinsames Ziel erstreben
kann. Dieser Gedanke drängt sich wenigstens auf, wenn man die Verhandlungen
liest, zu denen die zehnte Generalversammlung des liberalen Schulvereins von
Rheinland und Westfalen, im Oktober zu Bochum gehalten, den Anlaß geboten
hat. Sehr deutliche Erörterungen in populären Blättern hat sie nach sich
gezogen, und es scheint gewiß zu sein, daß die siegreiche Agitation, der die
Mehrzahl der in Bochum versammelten zufiel, auch in der Zeitungswelt und
in den bürgerlichen Klassen der Gesellschaft den Sieg davongetragen hat. Der
nächste Zielpunkt ist nun der Sieg in den Parlamenten und in den Re-
gierungsbürecius.

Die Sache ist diese. Unsre Gymnasien stellten lange Zeit die einzige höhere
Schule der. die zu den Universitäten und zu höhern Staatsämtern, ja zu der
höhern Gesellschaft den Zugang verschaffte. Sie waren auch damals nicht ohne
Beziehung zu dem modernen Leben und verfielen dabei sogar auf lächerliche
Übertreibungen, infofern hie und da Baukunst und Zeitungslesen zum Lehrplan
gehörten. Aber im allgemeinen blieb doch Latein, Griechisch, Geschichte, Religion
und Mathematik der Unterrichtsstoff. Damals war es ein Axiom: ohne
Griechisch kein Gymnasium, und weil die Gymnasien keine ebenbürtige Kon¬
kurrenz hatten, so lautete jenes Axiom, vollständig ausgedrückt: ohne Griechisch
keine höhere Bildung. So stand es in beiden Konfessionen; wenn von Unter¬
schieden in dieser Beziehung die Rede sein kann, so legten die evangelischen
Schulen etwas mehr Nachdruck auf das Griechische, die katholischen etwas mehr
auf das Lateinische, aber es richtete sich doch meist nach alter Überlieferung
und persönlicher Liebhaberei, ob man dies oder jenes betonte.

Inzwischen hatte man begonnen, an solche höhere Schulen zu denken, die
nicht für die Universitäten, sondern für das praktische Leben in seineu vielen
Aufgaben vorbereiteten. Sie hatten den Vorzug, sich frei entwickeln zu können,
und nahmen dafür die mannichfaltigsten Formen an. Bald lehnten sie sich an
das Gymnasium, bald an die Volksschulen an, bald traten sie selbständiger auf.
Man unterschied solche Schulen, die höhere Ziele verfolgten und zwei moderne
Sprachen mit dem Unterrichte in der Mathematik, Physik, Chemie, Naturgeschichte,


Agitationen auf dem Gebiete der höheren Schulen.

le auf andern Gebieten die Geister sich scheiden und die ver-
schiednen Grundgedanken sich zu Extremen ausbilden, bevor eine
höhere Einheit zum Bedürfnis wird, so scheint es auch noch ans
dem Gebiete der höheren Schulen weiter auseinander gehen zu
sollen, bevor man ein ausgleicüeudes, gemeinsames Ziel erstreben
kann. Dieser Gedanke drängt sich wenigstens auf, wenn man die Verhandlungen
liest, zu denen die zehnte Generalversammlung des liberalen Schulvereins von
Rheinland und Westfalen, im Oktober zu Bochum gehalten, den Anlaß geboten
hat. Sehr deutliche Erörterungen in populären Blättern hat sie nach sich
gezogen, und es scheint gewiß zu sein, daß die siegreiche Agitation, der die
Mehrzahl der in Bochum versammelten zufiel, auch in der Zeitungswelt und
in den bürgerlichen Klassen der Gesellschaft den Sieg davongetragen hat. Der
nächste Zielpunkt ist nun der Sieg in den Parlamenten und in den Re-
gierungsbürecius.

Die Sache ist diese. Unsre Gymnasien stellten lange Zeit die einzige höhere
Schule der. die zu den Universitäten und zu höhern Staatsämtern, ja zu der
höhern Gesellschaft den Zugang verschaffte. Sie waren auch damals nicht ohne
Beziehung zu dem modernen Leben und verfielen dabei sogar auf lächerliche
Übertreibungen, infofern hie und da Baukunst und Zeitungslesen zum Lehrplan
gehörten. Aber im allgemeinen blieb doch Latein, Griechisch, Geschichte, Religion
und Mathematik der Unterrichtsstoff. Damals war es ein Axiom: ohne
Griechisch kein Gymnasium, und weil die Gymnasien keine ebenbürtige Kon¬
kurrenz hatten, so lautete jenes Axiom, vollständig ausgedrückt: ohne Griechisch
keine höhere Bildung. So stand es in beiden Konfessionen; wenn von Unter¬
schieden in dieser Beziehung die Rede sein kann, so legten die evangelischen
Schulen etwas mehr Nachdruck auf das Griechische, die katholischen etwas mehr
auf das Lateinische, aber es richtete sich doch meist nach alter Überlieferung
und persönlicher Liebhaberei, ob man dies oder jenes betonte.

Inzwischen hatte man begonnen, an solche höhere Schulen zu denken, die
nicht für die Universitäten, sondern für das praktische Leben in seineu vielen
Aufgaben vorbereiteten. Sie hatten den Vorzug, sich frei entwickeln zu können,
und nahmen dafür die mannichfaltigsten Formen an. Bald lehnten sie sich an
das Gymnasium, bald an die Volksschulen an, bald traten sie selbständiger auf.
Man unterschied solche Schulen, die höhere Ziele verfolgten und zwei moderne
Sprachen mit dem Unterrichte in der Mathematik, Physik, Chemie, Naturgeschichte,


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[0173] Agitationen auf dem Gebiete der höheren Schulen. le auf andern Gebieten die Geister sich scheiden und die ver- schiednen Grundgedanken sich zu Extremen ausbilden, bevor eine höhere Einheit zum Bedürfnis wird, so scheint es auch noch ans dem Gebiete der höheren Schulen weiter auseinander gehen zu sollen, bevor man ein ausgleicüeudes, gemeinsames Ziel erstreben kann. Dieser Gedanke drängt sich wenigstens auf, wenn man die Verhandlungen liest, zu denen die zehnte Generalversammlung des liberalen Schulvereins von Rheinland und Westfalen, im Oktober zu Bochum gehalten, den Anlaß geboten hat. Sehr deutliche Erörterungen in populären Blättern hat sie nach sich gezogen, und es scheint gewiß zu sein, daß die siegreiche Agitation, der die Mehrzahl der in Bochum versammelten zufiel, auch in der Zeitungswelt und in den bürgerlichen Klassen der Gesellschaft den Sieg davongetragen hat. Der nächste Zielpunkt ist nun der Sieg in den Parlamenten und in den Re- gierungsbürecius. Die Sache ist diese. Unsre Gymnasien stellten lange Zeit die einzige höhere Schule der. die zu den Universitäten und zu höhern Staatsämtern, ja zu der höhern Gesellschaft den Zugang verschaffte. Sie waren auch damals nicht ohne Beziehung zu dem modernen Leben und verfielen dabei sogar auf lächerliche Übertreibungen, infofern hie und da Baukunst und Zeitungslesen zum Lehrplan gehörten. Aber im allgemeinen blieb doch Latein, Griechisch, Geschichte, Religion und Mathematik der Unterrichtsstoff. Damals war es ein Axiom: ohne Griechisch kein Gymnasium, und weil die Gymnasien keine ebenbürtige Kon¬ kurrenz hatten, so lautete jenes Axiom, vollständig ausgedrückt: ohne Griechisch keine höhere Bildung. So stand es in beiden Konfessionen; wenn von Unter¬ schieden in dieser Beziehung die Rede sein kann, so legten die evangelischen Schulen etwas mehr Nachdruck auf das Griechische, die katholischen etwas mehr auf das Lateinische, aber es richtete sich doch meist nach alter Überlieferung und persönlicher Liebhaberei, ob man dies oder jenes betonte. Inzwischen hatte man begonnen, an solche höhere Schulen zu denken, die nicht für die Universitäten, sondern für das praktische Leben in seineu vielen Aufgaben vorbereiteten. Sie hatten den Vorzug, sich frei entwickeln zu können, und nahmen dafür die mannichfaltigsten Formen an. Bald lehnten sie sich an das Gymnasium, bald an die Volksschulen an, bald traten sie selbständiger auf. Man unterschied solche Schulen, die höhere Ziele verfolgten und zwei moderne Sprachen mit dem Unterrichte in der Mathematik, Physik, Chemie, Naturgeschichte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/173>, abgerufen am 19.05.2024.