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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Handlung bezeichnen. Es ist Hobrecht nicht so wie Imsen gelungen, die Kultur¬
geschichte poetisch zu beherrschen. Am wärmsten berührt der Lvkalpatriotismus
des Autors für seine ostpreußische Heimat. Den schweren Konflikt aber aus¬
zugleichen, die Gegensätze zwischen Macht und Recht in einer höhern Stimmung
zu versöhnen, wie es die poetische Pflicht schließlich bei diesem Stoffe gewesen
wäre, hat Hobrecht nicht vermocht. Seine engern Landsleute werden nichts¬
destoweniger mit Freude dieses bis in Kleinigkeiten des alltäglichen Lebens ge¬
treue Kulturgemälde Ostpreußens genießen können.


Moritz Reck er.


Herbstzeitlose hüben und drüben.

le alte bewährte Taktik, hundertmal widerlegte Behauptungen zum
Hundertersteumale wie unangefochtene und unanfechtbare That-
snchen zu verkünden, hat in einer der letzten Sitzungen des deutschen
Reichstages der Abgeordnete Bamberger mit Beziehung auf das
Verhältnis des Fürsten Bismarck zu den Deutschen in Österreich
zur Anwendung gebracht. Der Reichskanzler trage eine Hauptschuld an unsrer
gegenwärtigen Bedrängnis, weil er sich abfällig über die politische Haltung der
Verfassungspartei ausgesprochen und einen Witz über deren "verehrten Führer,"
deu Abgeordneten Herbst, gemacht habe -- so sagte der Oppositionsredner bei
Gelegenheit der Ausweisungen aus Preußen.

Die Geschichte wird dadurch allerdings nicht gefälscht werden, weil der
Historiker nicht nach dem Räsonnement in Kammern und Zeitungen, sondern
nach deu Dokumenten urteilt. Aber für die Deutschöstcrreicher liegt eine Gefahr
in dergleichen falschen Darstellungen. Denn diese Darstellungen werden von den
liberalen Organen mit Begierde aufgegriffen und mit durchschossenen Lettern
wiedergegeben. Bamberger hat es gesagt -- wer wagt uoch zu zweifeln? Und es
ist ja nicht nur unsre Schwäche, die Schuld des Ungemachs andern aufzubürden.
Allein es siud unsre schlechtesten Freunde, die der ohnehin so starken Neigung
zur Beschönigung unsrer Schwächen und Fehler noch Nahrung geben; nur
Selbsterkenntnis und ernstes Wollen können uns wieder emporbringen. Deshalb
will ich mich die Mühe nicht verdrießen lassen, noch einmal zu berichten, was
eigentlich noch jedermann in Erinnerung sein könnte.


Handlung bezeichnen. Es ist Hobrecht nicht so wie Imsen gelungen, die Kultur¬
geschichte poetisch zu beherrschen. Am wärmsten berührt der Lvkalpatriotismus
des Autors für seine ostpreußische Heimat. Den schweren Konflikt aber aus¬
zugleichen, die Gegensätze zwischen Macht und Recht in einer höhern Stimmung
zu versöhnen, wie es die poetische Pflicht schließlich bei diesem Stoffe gewesen
wäre, hat Hobrecht nicht vermocht. Seine engern Landsleute werden nichts¬
destoweniger mit Freude dieses bis in Kleinigkeiten des alltäglichen Lebens ge¬
treue Kulturgemälde Ostpreußens genießen können.


Moritz Reck er.


Herbstzeitlose hüben und drüben.

le alte bewährte Taktik, hundertmal widerlegte Behauptungen zum
Hundertersteumale wie unangefochtene und unanfechtbare That-
snchen zu verkünden, hat in einer der letzten Sitzungen des deutschen
Reichstages der Abgeordnete Bamberger mit Beziehung auf das
Verhältnis des Fürsten Bismarck zu den Deutschen in Österreich
zur Anwendung gebracht. Der Reichskanzler trage eine Hauptschuld an unsrer
gegenwärtigen Bedrängnis, weil er sich abfällig über die politische Haltung der
Verfassungspartei ausgesprochen und einen Witz über deren „verehrten Führer,"
deu Abgeordneten Herbst, gemacht habe — so sagte der Oppositionsredner bei
Gelegenheit der Ausweisungen aus Preußen.

Die Geschichte wird dadurch allerdings nicht gefälscht werden, weil der
Historiker nicht nach dem Räsonnement in Kammern und Zeitungen, sondern
nach deu Dokumenten urteilt. Aber für die Deutschöstcrreicher liegt eine Gefahr
in dergleichen falschen Darstellungen. Denn diese Darstellungen werden von den
liberalen Organen mit Begierde aufgegriffen und mit durchschossenen Lettern
wiedergegeben. Bamberger hat es gesagt — wer wagt uoch zu zweifeln? Und es
ist ja nicht nur unsre Schwäche, die Schuld des Ungemachs andern aufzubürden.
Allein es siud unsre schlechtesten Freunde, die der ohnehin so starken Neigung
zur Beschönigung unsrer Schwächen und Fehler noch Nahrung geben; nur
Selbsterkenntnis und ernstes Wollen können uns wieder emporbringen. Deshalb
will ich mich die Mühe nicht verdrießen lassen, noch einmal zu berichten, was
eigentlich noch jedermann in Erinnerung sein könnte.


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[0237] Handlung bezeichnen. Es ist Hobrecht nicht so wie Imsen gelungen, die Kultur¬ geschichte poetisch zu beherrschen. Am wärmsten berührt der Lvkalpatriotismus des Autors für seine ostpreußische Heimat. Den schweren Konflikt aber aus¬ zugleichen, die Gegensätze zwischen Macht und Recht in einer höhern Stimmung zu versöhnen, wie es die poetische Pflicht schließlich bei diesem Stoffe gewesen wäre, hat Hobrecht nicht vermocht. Seine engern Landsleute werden nichts¬ destoweniger mit Freude dieses bis in Kleinigkeiten des alltäglichen Lebens ge¬ treue Kulturgemälde Ostpreußens genießen können. Moritz Reck er. Herbstzeitlose hüben und drüben. le alte bewährte Taktik, hundertmal widerlegte Behauptungen zum Hundertersteumale wie unangefochtene und unanfechtbare That- snchen zu verkünden, hat in einer der letzten Sitzungen des deutschen Reichstages der Abgeordnete Bamberger mit Beziehung auf das Verhältnis des Fürsten Bismarck zu den Deutschen in Österreich zur Anwendung gebracht. Der Reichskanzler trage eine Hauptschuld an unsrer gegenwärtigen Bedrängnis, weil er sich abfällig über die politische Haltung der Verfassungspartei ausgesprochen und einen Witz über deren „verehrten Führer," deu Abgeordneten Herbst, gemacht habe — so sagte der Oppositionsredner bei Gelegenheit der Ausweisungen aus Preußen. Die Geschichte wird dadurch allerdings nicht gefälscht werden, weil der Historiker nicht nach dem Räsonnement in Kammern und Zeitungen, sondern nach deu Dokumenten urteilt. Aber für die Deutschöstcrreicher liegt eine Gefahr in dergleichen falschen Darstellungen. Denn diese Darstellungen werden von den liberalen Organen mit Begierde aufgegriffen und mit durchschossenen Lettern wiedergegeben. Bamberger hat es gesagt — wer wagt uoch zu zweifeln? Und es ist ja nicht nur unsre Schwäche, die Schuld des Ungemachs andern aufzubürden. Allein es siud unsre schlechtesten Freunde, die der ohnehin so starken Neigung zur Beschönigung unsrer Schwächen und Fehler noch Nahrung geben; nur Selbsterkenntnis und ernstes Wollen können uns wieder emporbringen. Deshalb will ich mich die Mühe nicht verdrießen lassen, noch einmal zu berichten, was eigentlich noch jedermann in Erinnerung sein könnte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/237>, abgerufen am 19.05.2024.