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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Illusion hervorzurufen, drittens das weise Maß in den Darstellungsmitteln.
Das sind freilich Dinge, welche man sich nicht von heute auf morgen aneignen
kann, aber sie zu erreichen, ist wohl ernster Anstrengung und des Zeitaufwandes
wert. Und dabei können wir bleiben, was wir sind, können auch in der Kunst
reden, wie uns der Schnabel gewachsen ist, und brauchen keine verzweifelten
Anläufe zu machen, japanisch zu sprechen, was uns doch niemals gelingen würde.




Die großgriechische Idee.

on den drei Fragen, welche in den letzten fünf Monaten von
der Vatkanhalbiusel her den Frieden Europas bedrohten, gehen
jetzt zwei einer raschen Lösung entgegen: die Pforte hat sich mit den
Bulgaren über eine Art Union verständigt, Rußland, das anfangs
fürchtete, das betreffende Übereinkommen könnte einst zu seinem
Nachteil angerufen werden, ist jetzt befriedigt, indem es erlangt, daß dieser nun
der Genehmigung der Großmächte unterliegende Vertrag der Defensivallianz
zwischen der Türkei und Bulgarien nicht gedenkt und dem Sultan nicht die
Befugnis erteilt, dem Fürsten des letztern Staates aus eigner Machtvollkommen¬
heit nach fünf Jahren das Amt eines Generalgouverneurs von Ostrumelien
weiter zu lassen; endlich steht jetzt fest, daß die Serben nicht mehr daran denken,
gegen die bulgarischen Nachbarn von neuem das Schwert zu ziehen. Es bleibt
somit nur Griechenland noch übrig. Es kann nicht mehr auf sein Ofscnsiv-
bündnis mit den Serben rechnen, es sieht den Fürsten Alexander mit dem Sultan
ausgesöhnt, die festländischen Kabinette runzeln die Stirn über seine kriegerischen
Pläne, sogar das Gladstvnesche will ihm nicht beistehen, Kriegsschiffe der ver¬
schiedensten Flaggen bedrohen seine Flotte, falls sie an der Küste Kretas Unfug
zu stiften versuchen sollte, mit einem kleinen Navarino. Nicht einmal die
öffentliche Meinung steht seineu Velleitciten zur Seite. Zwar hat der Berliner
Professor Kiepert, wie die "Akropolis" meldet, in einer Zuschrift ausgesprochen,
daß er "hofft und von ganzer Seele wünscht, die Befreiung eines weiteren
Teiles altklassischer Bodens zu erleben, auf welcher trotz aller Völlcrmischungen
und trotz jahrhundertelanger barbarischer Unterdrückung das Hellenentum die
dauernde Kulturmacht geblieben ist." Desgleichen hat Kollege Virchow, wie in
demselben Blatte zu lesen, den Griechen geschrieben: "Wer wie ich den Hellenen
Bhzanz wünscht, kann nicht umhin, ihnen anch Mazedonien zu wünschen." Ähn-


Grenzlwtcn I. 1886 53

Illusion hervorzurufen, drittens das weise Maß in den Darstellungsmitteln.
Das sind freilich Dinge, welche man sich nicht von heute auf morgen aneignen
kann, aber sie zu erreichen, ist wohl ernster Anstrengung und des Zeitaufwandes
wert. Und dabei können wir bleiben, was wir sind, können auch in der Kunst
reden, wie uns der Schnabel gewachsen ist, und brauchen keine verzweifelten
Anläufe zu machen, japanisch zu sprechen, was uns doch niemals gelingen würde.




Die großgriechische Idee.

on den drei Fragen, welche in den letzten fünf Monaten von
der Vatkanhalbiusel her den Frieden Europas bedrohten, gehen
jetzt zwei einer raschen Lösung entgegen: die Pforte hat sich mit den
Bulgaren über eine Art Union verständigt, Rußland, das anfangs
fürchtete, das betreffende Übereinkommen könnte einst zu seinem
Nachteil angerufen werden, ist jetzt befriedigt, indem es erlangt, daß dieser nun
der Genehmigung der Großmächte unterliegende Vertrag der Defensivallianz
zwischen der Türkei und Bulgarien nicht gedenkt und dem Sultan nicht die
Befugnis erteilt, dem Fürsten des letztern Staates aus eigner Machtvollkommen¬
heit nach fünf Jahren das Amt eines Generalgouverneurs von Ostrumelien
weiter zu lassen; endlich steht jetzt fest, daß die Serben nicht mehr daran denken,
gegen die bulgarischen Nachbarn von neuem das Schwert zu ziehen. Es bleibt
somit nur Griechenland noch übrig. Es kann nicht mehr auf sein Ofscnsiv-
bündnis mit den Serben rechnen, es sieht den Fürsten Alexander mit dem Sultan
ausgesöhnt, die festländischen Kabinette runzeln die Stirn über seine kriegerischen
Pläne, sogar das Gladstvnesche will ihm nicht beistehen, Kriegsschiffe der ver¬
schiedensten Flaggen bedrohen seine Flotte, falls sie an der Küste Kretas Unfug
zu stiften versuchen sollte, mit einem kleinen Navarino. Nicht einmal die
öffentliche Meinung steht seineu Velleitciten zur Seite. Zwar hat der Berliner
Professor Kiepert, wie die „Akropolis" meldet, in einer Zuschrift ausgesprochen,
daß er „hofft und von ganzer Seele wünscht, die Befreiung eines weiteren
Teiles altklassischer Bodens zu erleben, auf welcher trotz aller Völlcrmischungen
und trotz jahrhundertelanger barbarischer Unterdrückung das Hellenentum die
dauernde Kulturmacht geblieben ist." Desgleichen hat Kollege Virchow, wie in
demselben Blatte zu lesen, den Griechen geschrieben: „Wer wie ich den Hellenen
Bhzanz wünscht, kann nicht umhin, ihnen anch Mazedonien zu wünschen." Ähn-


Grenzlwtcn I. 1886 53
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[0425] Illusion hervorzurufen, drittens das weise Maß in den Darstellungsmitteln. Das sind freilich Dinge, welche man sich nicht von heute auf morgen aneignen kann, aber sie zu erreichen, ist wohl ernster Anstrengung und des Zeitaufwandes wert. Und dabei können wir bleiben, was wir sind, können auch in der Kunst reden, wie uns der Schnabel gewachsen ist, und brauchen keine verzweifelten Anläufe zu machen, japanisch zu sprechen, was uns doch niemals gelingen würde. Die großgriechische Idee. on den drei Fragen, welche in den letzten fünf Monaten von der Vatkanhalbiusel her den Frieden Europas bedrohten, gehen jetzt zwei einer raschen Lösung entgegen: die Pforte hat sich mit den Bulgaren über eine Art Union verständigt, Rußland, das anfangs fürchtete, das betreffende Übereinkommen könnte einst zu seinem Nachteil angerufen werden, ist jetzt befriedigt, indem es erlangt, daß dieser nun der Genehmigung der Großmächte unterliegende Vertrag der Defensivallianz zwischen der Türkei und Bulgarien nicht gedenkt und dem Sultan nicht die Befugnis erteilt, dem Fürsten des letztern Staates aus eigner Machtvollkommen¬ heit nach fünf Jahren das Amt eines Generalgouverneurs von Ostrumelien weiter zu lassen; endlich steht jetzt fest, daß die Serben nicht mehr daran denken, gegen die bulgarischen Nachbarn von neuem das Schwert zu ziehen. Es bleibt somit nur Griechenland noch übrig. Es kann nicht mehr auf sein Ofscnsiv- bündnis mit den Serben rechnen, es sieht den Fürsten Alexander mit dem Sultan ausgesöhnt, die festländischen Kabinette runzeln die Stirn über seine kriegerischen Pläne, sogar das Gladstvnesche will ihm nicht beistehen, Kriegsschiffe der ver¬ schiedensten Flaggen bedrohen seine Flotte, falls sie an der Küste Kretas Unfug zu stiften versuchen sollte, mit einem kleinen Navarino. Nicht einmal die öffentliche Meinung steht seineu Velleitciten zur Seite. Zwar hat der Berliner Professor Kiepert, wie die „Akropolis" meldet, in einer Zuschrift ausgesprochen, daß er „hofft und von ganzer Seele wünscht, die Befreiung eines weiteren Teiles altklassischer Bodens zu erleben, auf welcher trotz aller Völlcrmischungen und trotz jahrhundertelanger barbarischer Unterdrückung das Hellenentum die dauernde Kulturmacht geblieben ist." Desgleichen hat Kollege Virchow, wie in demselben Blatte zu lesen, den Griechen geschrieben: „Wer wie ich den Hellenen Bhzanz wünscht, kann nicht umhin, ihnen anch Mazedonien zu wünschen." Ähn- Grenzlwtcn I. 1886 53

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/425>, abgerufen am 19.05.2024.