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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Ein deutscher Tngonroinan und sein Verfasser.

andrer Seite mit gleicher Bestimmtheit bemerkt worden. Selbst Leute, die sonst
stark in philhcllenischen Sympathien arbeiten und vergnügt den größten Brand
im Südosten aufgehe" sahen, wenn er Verwirklichung ihrer Träume verspräche,
haben Herrn Delhannis ans Herz gelegt, daß er klug thun würde, sich so schleimig
als irgend möglich den Forderungen der Mächte zu beugen. Er hat den guten
Rat Gladstones bisher nicht befolgt, Wohl weil er ihn vor den Demagogen
nicht zu befolgen können glaubte. Ist dies der Fall, so werden ihm die Gro߬
mächte ermöglichen müssen, sich ihrem Willen zu fügen. Das aber wird die
Würde Griechenlands nicht erhöhen und den Schein seiner Selbständigkeit nicht
Heller leuchten lasse". Mau wird sich unterwerfen, aber man hätte es eher
thun sollen. Zögern gegenüber einer vernünftigen Forderung endigt in der Negel
mit Demütigung, und kein Volk, besonders kein kleines, darf sich herausnehmen,
ein Ärgernis für alle andern zu sein und zu bleiben. Griechenland hat dies
im gröbsten Stile gewagt, und wir glauben, daß ihm das nicht so bald ver¬
gessen und vergeben werden wird.




Gin deutscher Lügenroman und sein Verfasser.
von H. A. Lier.

meer allen menschlichen Schwächen fordert wohl kaum eine andre
so sehr unsern Witz und Spott heraus, wie die Neigung aufzu¬
schneiden und zu renommiren. An und für sich unschädlich, eignet
sie sich vortrefflich zu humoristischer Behandlung. Die Dichter
aller Zeiten und Völker haben sich diese Erfahrung zu Nutze
gemacht, vor allen aber haben die Deutschen von jeher mit großem Behagen
die Lügenpvesie gehandhabt. Die Schwanklitcrawr des fünfzehnten und des
sechzehnten Jahrhunderts enthält hierfür eine überreiche Fülle der ergötzlichsten
Belege.

Unter allen Lügengcschichten ist aber keine bekannter und volkstümlicher
geworden als die Zusammenstellung der "wunderbaren Reisen und Abenteuer"
des Freiherrn von Münchhausen. Von dem ehemaligen Hessen-kassclscheu
Bibliothekar Rudolph Erich Nnspe ursprünglich englisch bearbeitet, hat sich das
Büchlein in Bürgers Übertragung rasch in Deutschland eingeführt und ist nach
Form und Inhalt aufs mannichfciltigste umgestaltet und erweitert worden.
Längst ist dem Bewußtsein des Volkes die Erinnerung entschwunden, daß es


Ein deutscher Tngonroinan und sein Verfasser.

andrer Seite mit gleicher Bestimmtheit bemerkt worden. Selbst Leute, die sonst
stark in philhcllenischen Sympathien arbeiten und vergnügt den größten Brand
im Südosten aufgehe» sahen, wenn er Verwirklichung ihrer Träume verspräche,
haben Herrn Delhannis ans Herz gelegt, daß er klug thun würde, sich so schleimig
als irgend möglich den Forderungen der Mächte zu beugen. Er hat den guten
Rat Gladstones bisher nicht befolgt, Wohl weil er ihn vor den Demagogen
nicht zu befolgen können glaubte. Ist dies der Fall, so werden ihm die Gro߬
mächte ermöglichen müssen, sich ihrem Willen zu fügen. Das aber wird die
Würde Griechenlands nicht erhöhen und den Schein seiner Selbständigkeit nicht
Heller leuchten lasse«. Mau wird sich unterwerfen, aber man hätte es eher
thun sollen. Zögern gegenüber einer vernünftigen Forderung endigt in der Negel
mit Demütigung, und kein Volk, besonders kein kleines, darf sich herausnehmen,
ein Ärgernis für alle andern zu sein und zu bleiben. Griechenland hat dies
im gröbsten Stile gewagt, und wir glauben, daß ihm das nicht so bald ver¬
gessen und vergeben werden wird.




Gin deutscher Lügenroman und sein Verfasser.
von H. A. Lier.

meer allen menschlichen Schwächen fordert wohl kaum eine andre
so sehr unsern Witz und Spott heraus, wie die Neigung aufzu¬
schneiden und zu renommiren. An und für sich unschädlich, eignet
sie sich vortrefflich zu humoristischer Behandlung. Die Dichter
aller Zeiten und Völker haben sich diese Erfahrung zu Nutze
gemacht, vor allen aber haben die Deutschen von jeher mit großem Behagen
die Lügenpvesie gehandhabt. Die Schwanklitcrawr des fünfzehnten und des
sechzehnten Jahrhunderts enthält hierfür eine überreiche Fülle der ergötzlichsten
Belege.

Unter allen Lügengcschichten ist aber keine bekannter und volkstümlicher
geworden als die Zusammenstellung der „wunderbaren Reisen und Abenteuer"
des Freiherrn von Münchhausen. Von dem ehemaligen Hessen-kassclscheu
Bibliothekar Rudolph Erich Nnspe ursprünglich englisch bearbeitet, hat sich das
Büchlein in Bürgers Übertragung rasch in Deutschland eingeführt und ist nach
Form und Inhalt aufs mannichfciltigste umgestaltet und erweitert worden.
Längst ist dem Bewußtsein des Volkes die Erinnerung entschwunden, daß es


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[0542] Ein deutscher Tngonroinan und sein Verfasser. andrer Seite mit gleicher Bestimmtheit bemerkt worden. Selbst Leute, die sonst stark in philhcllenischen Sympathien arbeiten und vergnügt den größten Brand im Südosten aufgehe» sahen, wenn er Verwirklichung ihrer Träume verspräche, haben Herrn Delhannis ans Herz gelegt, daß er klug thun würde, sich so schleimig als irgend möglich den Forderungen der Mächte zu beugen. Er hat den guten Rat Gladstones bisher nicht befolgt, Wohl weil er ihn vor den Demagogen nicht zu befolgen können glaubte. Ist dies der Fall, so werden ihm die Gro߬ mächte ermöglichen müssen, sich ihrem Willen zu fügen. Das aber wird die Würde Griechenlands nicht erhöhen und den Schein seiner Selbständigkeit nicht Heller leuchten lasse«. Mau wird sich unterwerfen, aber man hätte es eher thun sollen. Zögern gegenüber einer vernünftigen Forderung endigt in der Negel mit Demütigung, und kein Volk, besonders kein kleines, darf sich herausnehmen, ein Ärgernis für alle andern zu sein und zu bleiben. Griechenland hat dies im gröbsten Stile gewagt, und wir glauben, daß ihm das nicht so bald ver¬ gessen und vergeben werden wird. Gin deutscher Lügenroman und sein Verfasser. von H. A. Lier. meer allen menschlichen Schwächen fordert wohl kaum eine andre so sehr unsern Witz und Spott heraus, wie die Neigung aufzu¬ schneiden und zu renommiren. An und für sich unschädlich, eignet sie sich vortrefflich zu humoristischer Behandlung. Die Dichter aller Zeiten und Völker haben sich diese Erfahrung zu Nutze gemacht, vor allen aber haben die Deutschen von jeher mit großem Behagen die Lügenpvesie gehandhabt. Die Schwanklitcrawr des fünfzehnten und des sechzehnten Jahrhunderts enthält hierfür eine überreiche Fülle der ergötzlichsten Belege. Unter allen Lügengcschichten ist aber keine bekannter und volkstümlicher geworden als die Zusammenstellung der „wunderbaren Reisen und Abenteuer" des Freiherrn von Münchhausen. Von dem ehemaligen Hessen-kassclscheu Bibliothekar Rudolph Erich Nnspe ursprünglich englisch bearbeitet, hat sich das Büchlein in Bürgers Übertragung rasch in Deutschland eingeführt und ist nach Form und Inhalt aufs mannichfciltigste umgestaltet und erweitert worden. Längst ist dem Bewußtsein des Volkes die Erinnerung entschwunden, daß es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/542>, abgerufen am 19.05.2024.