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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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recht zurückgebliebene Gruppen noch einer sehr groben Gcistesnnhrnng bedürfen;
es geht doch stets vorwärts in derselben Richtung, in langsamer Annäherung
an dieselben Kulturziele. Wenn wir dies im Auge behalten, so werden wir in
der Behandlung der augenblicklichen kirchenpolitischen Fragen nie die Billigkeit
verletzen, aber desto energischer die Ziele des ganzen Kampfes beherzigen, Be¬
seitigung des Druckes der Kirche, freie Ehrfurcht vor allem, !pas die christliche
Kultur uus gebracht hat, Liebe zur Nation und zu allen ihren Gliedern.




Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.
17.

eine letzte Rede ist kaum trocken -- das seien meine Reden nie,
sagen Sie, Herr Windthorst? Sehr verbunden! Aber bei der
Notorictät unsrer gegenseitigen Wertschätzung bedarf es zwischen
uns keiner Komplimente. Überhaupt bemerke ich mit Bedauern,
daß in unsern Verhandlungen mitunter ein Hofton einreißt, welcher
der Würde eines Parlamentes nicht entspricht. Unsre Aufgabe ist es, uus und
ganz besonders den Herren Ministern und sonstigen Negicrungsvertretern Un¬
Höflichkeiten zu sagen zum Heile des Vaterlandes. Das vergessen Sie nicht,
meine Herren, dazu sind wir gewählt. Herr Richter ruft mir zu, ich sei gar¬
nicht gewählt. Da hat er sich aber einmal geirrt, es ist unglaublich und doch
wahr. Ich habe mich nämlich gewählt, einstimmig war die Wahl, und ich
bezweifle, daß noch jemand von den Herren sich dessen rühmen kann. Und gerade
gegen Herrn Richter muß ich den Vorwurf erheben, daß er seine allbekannte
Vorliebe für Politesse neuestens etwas zu weit treibt. Er hat dem Feldmarschall
Moltke gesagt, wir, die Opposition, hörten ihm stets mit Aufmerksamkeit zu.
Eine solche Auszeichnung hat dieser Mann in seinem langen Leben noch nie
erfahren. Bedenken Sie doch, ein Richter würdigt einen Moltke seiner Aufmerk¬
samkeit, verpflichtet sich, das immer zu thun: könnte man sich da noch wundern,
wenn der letztere eine zu hohe Meinung von sich bekäme? Hoffentlich besitzt
er Selbsterkenntnis genug, um sich zu sagen, daß das eben nur eine höfliche
Wendung war, eine konventionelle Lüge, wie ein berühmter Schriftsteller gesagt
hat, dessen Name mir im Augenblicke nicht einfällt.

Also, um nicht abermals zu einer Höflichkeit zu provvzircn, sage ich:
meine letzte Rede ist noch feucht vom Drucke, und schon wieder muß ich meine
Stimme gegen den Versuch einer Freiheitsbeschränkung erheben. Ich meine
natürlich deu Fall'des Abgeordneten von Schalschn. Welche Sophismen werden
da zu Markte gebracht! Man sagt, von einem Zeugniszwange sei vorläufig
noch keine Rede, der Abgeordnete sei einfach gefragt worden, woher er seine


recht zurückgebliebene Gruppen noch einer sehr groben Gcistesnnhrnng bedürfen;
es geht doch stets vorwärts in derselben Richtung, in langsamer Annäherung
an dieselben Kulturziele. Wenn wir dies im Auge behalten, so werden wir in
der Behandlung der augenblicklichen kirchenpolitischen Fragen nie die Billigkeit
verletzen, aber desto energischer die Ziele des ganzen Kampfes beherzigen, Be¬
seitigung des Druckes der Kirche, freie Ehrfurcht vor allem, !pas die christliche
Kultur uus gebracht hat, Liebe zur Nation und zu allen ihren Gliedern.




Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.
17.

eine letzte Rede ist kaum trocken — das seien meine Reden nie,
sagen Sie, Herr Windthorst? Sehr verbunden! Aber bei der
Notorictät unsrer gegenseitigen Wertschätzung bedarf es zwischen
uns keiner Komplimente. Überhaupt bemerke ich mit Bedauern,
daß in unsern Verhandlungen mitunter ein Hofton einreißt, welcher
der Würde eines Parlamentes nicht entspricht. Unsre Aufgabe ist es, uus und
ganz besonders den Herren Ministern und sonstigen Negicrungsvertretern Un¬
Höflichkeiten zu sagen zum Heile des Vaterlandes. Das vergessen Sie nicht,
meine Herren, dazu sind wir gewählt. Herr Richter ruft mir zu, ich sei gar¬
nicht gewählt. Da hat er sich aber einmal geirrt, es ist unglaublich und doch
wahr. Ich habe mich nämlich gewählt, einstimmig war die Wahl, und ich
bezweifle, daß noch jemand von den Herren sich dessen rühmen kann. Und gerade
gegen Herrn Richter muß ich den Vorwurf erheben, daß er seine allbekannte
Vorliebe für Politesse neuestens etwas zu weit treibt. Er hat dem Feldmarschall
Moltke gesagt, wir, die Opposition, hörten ihm stets mit Aufmerksamkeit zu.
Eine solche Auszeichnung hat dieser Mann in seinem langen Leben noch nie
erfahren. Bedenken Sie doch, ein Richter würdigt einen Moltke seiner Aufmerk¬
samkeit, verpflichtet sich, das immer zu thun: könnte man sich da noch wundern,
wenn der letztere eine zu hohe Meinung von sich bekäme? Hoffentlich besitzt
er Selbsterkenntnis genug, um sich zu sagen, daß das eben nur eine höfliche
Wendung war, eine konventionelle Lüge, wie ein berühmter Schriftsteller gesagt
hat, dessen Name mir im Augenblicke nicht einfällt.

Also, um nicht abermals zu einer Höflichkeit zu provvzircn, sage ich:
meine letzte Rede ist noch feucht vom Drucke, und schon wieder muß ich meine
Stimme gegen den Versuch einer Freiheitsbeschränkung erheben. Ich meine
natürlich deu Fall'des Abgeordneten von Schalschn. Welche Sophismen werden
da zu Markte gebracht! Man sagt, von einem Zeugniszwange sei vorläufig
noch keine Rede, der Abgeordnete sei einfach gefragt worden, woher er seine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/568>, abgerufen am 19.05.2024.