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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Die Krisis in Frankreich.

as republikanische Frankreich oder, wie man auch sagen kann, der
Parlamentarismus in Frankreich macht seit den letzten dortigen
Wahlen eine Krisis durch, die man ohne Übertreibung zu den
gefährlichsten Perioden der neuesten Geschichte dieses unsers
Nachbarlandes zählen darf, und es ist ein eigentümliches Zu¬
sammentreffen, daß, während in Großbritannien das parlamentarische System
die bisher herrschenden Parteien in Not und vor ein bedenkliches Dilemma
gebracht hat, auch den Franzosen ans dieser Methode des Regierens schwere
Verlegenheiten erwachsen sind. Dort ist es die irische Partei, die dnrch ihr
Anwachsen das herkömmliche Schaukeln, bei dem bald die Konservativen, bald
die Liberalen höher schwebten, mit verdrießlicher Störung bedrohte und sie vor
die Wahl stellte, entweder Einwilligung zu Gesetzen zu versprechen, welche eine
Zerspaltung des Reiches zur Folge haben konnten, oder auf die Herrschaft ihrer
Partei wenigstens für die nächste Zeit zu verzichten. Hier, in der französischen
Republik, spielt die monarchische Partei, durch die letzten Wahlen beträchtlich
verstärkt, den beiden republikanischen Fraktionen, den Opportunisten und den
Radikalen, gegenüber eine ähnliche Rolle. Es sah in der That kurz vor
Weihnachten in Paris recht trübe am politischen Himmel aus. D.is Ministerium
Brisson war mit einer Niederlage in der Debatte über Tonking bedroht, und
die letztere endigte mit einer Abstimmung, welche ihm zwar eine Majorität ließ,
aber eine so geringfügige, daß man nach parlamentarischem Brauch mit ihr kaum
weiter regieren konnte. Während infolgedessen das opportunistische Kabinet an
seinen Rücktritt vom Staatsruder denken mußte, lief die Regicrnngsdauer des
Präsidenten Grevy ab, und Senat und Deputirtenkammer hatten, zum Kongreß
znsammentreiend, einen Nachfolger zu ernennen. War eine Wiederwahl Grevhs


Grcnzbown I. 18L6. > 7


Die Krisis in Frankreich.

as republikanische Frankreich oder, wie man auch sagen kann, der
Parlamentarismus in Frankreich macht seit den letzten dortigen
Wahlen eine Krisis durch, die man ohne Übertreibung zu den
gefährlichsten Perioden der neuesten Geschichte dieses unsers
Nachbarlandes zählen darf, und es ist ein eigentümliches Zu¬
sammentreffen, daß, während in Großbritannien das parlamentarische System
die bisher herrschenden Parteien in Not und vor ein bedenkliches Dilemma
gebracht hat, auch den Franzosen ans dieser Methode des Regierens schwere
Verlegenheiten erwachsen sind. Dort ist es die irische Partei, die dnrch ihr
Anwachsen das herkömmliche Schaukeln, bei dem bald die Konservativen, bald
die Liberalen höher schwebten, mit verdrießlicher Störung bedrohte und sie vor
die Wahl stellte, entweder Einwilligung zu Gesetzen zu versprechen, welche eine
Zerspaltung des Reiches zur Folge haben konnten, oder auf die Herrschaft ihrer
Partei wenigstens für die nächste Zeit zu verzichten. Hier, in der französischen
Republik, spielt die monarchische Partei, durch die letzten Wahlen beträchtlich
verstärkt, den beiden republikanischen Fraktionen, den Opportunisten und den
Radikalen, gegenüber eine ähnliche Rolle. Es sah in der That kurz vor
Weihnachten in Paris recht trübe am politischen Himmel aus. D.is Ministerium
Brisson war mit einer Niederlage in der Debatte über Tonking bedroht, und
die letztere endigte mit einer Abstimmung, welche ihm zwar eine Majorität ließ,
aber eine so geringfügige, daß man nach parlamentarischem Brauch mit ihr kaum
weiter regieren konnte. Während infolgedessen das opportunistische Kabinet an
seinen Rücktritt vom Staatsruder denken mußte, lief die Regicrnngsdauer des
Präsidenten Grevy ab, und Senat und Deputirtenkammer hatten, zum Kongreß
znsammentreiend, einen Nachfolger zu ernennen. War eine Wiederwahl Grevhs


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[0057] [Abbildung] Die Krisis in Frankreich. as republikanische Frankreich oder, wie man auch sagen kann, der Parlamentarismus in Frankreich macht seit den letzten dortigen Wahlen eine Krisis durch, die man ohne Übertreibung zu den gefährlichsten Perioden der neuesten Geschichte dieses unsers Nachbarlandes zählen darf, und es ist ein eigentümliches Zu¬ sammentreffen, daß, während in Großbritannien das parlamentarische System die bisher herrschenden Parteien in Not und vor ein bedenkliches Dilemma gebracht hat, auch den Franzosen ans dieser Methode des Regierens schwere Verlegenheiten erwachsen sind. Dort ist es die irische Partei, die dnrch ihr Anwachsen das herkömmliche Schaukeln, bei dem bald die Konservativen, bald die Liberalen höher schwebten, mit verdrießlicher Störung bedrohte und sie vor die Wahl stellte, entweder Einwilligung zu Gesetzen zu versprechen, welche eine Zerspaltung des Reiches zur Folge haben konnten, oder auf die Herrschaft ihrer Partei wenigstens für die nächste Zeit zu verzichten. Hier, in der französischen Republik, spielt die monarchische Partei, durch die letzten Wahlen beträchtlich verstärkt, den beiden republikanischen Fraktionen, den Opportunisten und den Radikalen, gegenüber eine ähnliche Rolle. Es sah in der That kurz vor Weihnachten in Paris recht trübe am politischen Himmel aus. D.is Ministerium Brisson war mit einer Niederlage in der Debatte über Tonking bedroht, und die letztere endigte mit einer Abstimmung, welche ihm zwar eine Majorität ließ, aber eine so geringfügige, daß man nach parlamentarischem Brauch mit ihr kaum weiter regieren konnte. Während infolgedessen das opportunistische Kabinet an seinen Rücktritt vom Staatsruder denken mußte, lief die Regicrnngsdauer des Präsidenten Grevy ab, und Senat und Deputirtenkammer hatten, zum Kongreß znsammentreiend, einen Nachfolger zu ernennen. War eine Wiederwahl Grevhs Grcnzbown I. 18L6. > 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/57>, abgerufen am 19.05.2024.