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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Das Jubiläum des Kaisers.

ir feiern im Laufe dieser Woche den Tag, an welchem ein
Vierteljahrhundert verflossen ist, seit unser Kaiser Wilhelm als
König von Preußen den Thron bestieg. Wenn wir bei dieser
Gelegenheit eine Predigt zu halten hätten und darin der Ge¬
schichte gerecht werden wollten, so könnten wir, wie es scheint,
nicht leicht einen geeigneteren Text wählen als einige Stellen in dem Kapitel
des Buches Jesus Sirachs, dem Luther in seiner Übersetzung die Überschrift
gegeben hat: "Ruhm Weiser Obrigkeit. Item von Meidung der Hoffart."
Dieses Kapitel beginnt mit den Worten: "Das Werk lobt den Meister, und
einen weisen Fürsten seine Händel." Passender aber als dieser selbstverständliche,
wenn auch bei Biographien hochstehender Persönlichkeiten keineswegs immer ge¬
wissenhaft beachtete Ausspruch wird manchem in unserm Falle der bald nachher
folgende vorkommen: "Es stehet in Gottes Händen, daß es einem Regenten
gerate; derselbige giebt ihm einen löblichen Kanzler," und noch zutreffender für
die Gelegenheit wird dieser Satz, wenn wir ihn mit der weitern Regel aus dem
Maximenschatze des Sohnes Sirachs ergänzen: "Einem weisen Knechte muß der
Herr dienen, und ein vernünftiger Herr murret nicht darum."

Wie es dem König Wilhelm in seiner fünfundzwanzigjährigen Regenten-
thütigkeit geraten ist, weiß die Welt; das Werk lobt den Meister, künftige Ge¬
schlechter werden uns um das Glück beneiden, in den Tagen gelebt zu haben,
wo dies Werk als ein lauge ersehntes aus trüber Zeit sich glorreich erhob, und die
Geschichte wird den Fürsten, der den Grund dazu legte, den größten Gekrönten
anreihen, von denen sie zu berichten hat. Der erste Kaiser Neudentschlands ist
eine von den historischen Persönlichkeiten, welche, ohne glänzende und sofort in
die Augen fallende Eigenschaften, ohne blendende Talente zu besitze", trotzdem


Grenzbowi I. 188". t


Das Jubiläum des Kaisers.

ir feiern im Laufe dieser Woche den Tag, an welchem ein
Vierteljahrhundert verflossen ist, seit unser Kaiser Wilhelm als
König von Preußen den Thron bestieg. Wenn wir bei dieser
Gelegenheit eine Predigt zu halten hätten und darin der Ge¬
schichte gerecht werden wollten, so könnten wir, wie es scheint,
nicht leicht einen geeigneteren Text wählen als einige Stellen in dem Kapitel
des Buches Jesus Sirachs, dem Luther in seiner Übersetzung die Überschrift
gegeben hat: „Ruhm Weiser Obrigkeit. Item von Meidung der Hoffart."
Dieses Kapitel beginnt mit den Worten: „Das Werk lobt den Meister, und
einen weisen Fürsten seine Händel." Passender aber als dieser selbstverständliche,
wenn auch bei Biographien hochstehender Persönlichkeiten keineswegs immer ge¬
wissenhaft beachtete Ausspruch wird manchem in unserm Falle der bald nachher
folgende vorkommen: „Es stehet in Gottes Händen, daß es einem Regenten
gerate; derselbige giebt ihm einen löblichen Kanzler," und noch zutreffender für
die Gelegenheit wird dieser Satz, wenn wir ihn mit der weitern Regel aus dem
Maximenschatze des Sohnes Sirachs ergänzen: „Einem weisen Knechte muß der
Herr dienen, und ein vernünftiger Herr murret nicht darum."

Wie es dem König Wilhelm in seiner fünfundzwanzigjährigen Regenten-
thütigkeit geraten ist, weiß die Welt; das Werk lobt den Meister, künftige Ge¬
schlechter werden uns um das Glück beneiden, in den Tagen gelebt zu haben,
wo dies Werk als ein lauge ersehntes aus trüber Zeit sich glorreich erhob, und die
Geschichte wird den Fürsten, der den Grund dazu legte, den größten Gekrönten
anreihen, von denen sie zu berichten hat. Der erste Kaiser Neudentschlands ist
eine von den historischen Persönlichkeiten, welche, ohne glänzende und sofort in
die Augen fallende Eigenschaften, ohne blendende Talente zu besitze», trotzdem


Grenzbowi I. 188«. t
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[0009] [Abbildung] Das Jubiläum des Kaisers. ir feiern im Laufe dieser Woche den Tag, an welchem ein Vierteljahrhundert verflossen ist, seit unser Kaiser Wilhelm als König von Preußen den Thron bestieg. Wenn wir bei dieser Gelegenheit eine Predigt zu halten hätten und darin der Ge¬ schichte gerecht werden wollten, so könnten wir, wie es scheint, nicht leicht einen geeigneteren Text wählen als einige Stellen in dem Kapitel des Buches Jesus Sirachs, dem Luther in seiner Übersetzung die Überschrift gegeben hat: „Ruhm Weiser Obrigkeit. Item von Meidung der Hoffart." Dieses Kapitel beginnt mit den Worten: „Das Werk lobt den Meister, und einen weisen Fürsten seine Händel." Passender aber als dieser selbstverständliche, wenn auch bei Biographien hochstehender Persönlichkeiten keineswegs immer ge¬ wissenhaft beachtete Ausspruch wird manchem in unserm Falle der bald nachher folgende vorkommen: „Es stehet in Gottes Händen, daß es einem Regenten gerate; derselbige giebt ihm einen löblichen Kanzler," und noch zutreffender für die Gelegenheit wird dieser Satz, wenn wir ihn mit der weitern Regel aus dem Maximenschatze des Sohnes Sirachs ergänzen: „Einem weisen Knechte muß der Herr dienen, und ein vernünftiger Herr murret nicht darum." Wie es dem König Wilhelm in seiner fünfundzwanzigjährigen Regenten- thütigkeit geraten ist, weiß die Welt; das Werk lobt den Meister, künftige Ge¬ schlechter werden uns um das Glück beneiden, in den Tagen gelebt zu haben, wo dies Werk als ein lauge ersehntes aus trüber Zeit sich glorreich erhob, und die Geschichte wird den Fürsten, der den Grund dazu legte, den größten Gekrönten anreihen, von denen sie zu berichten hat. Der erste Kaiser Neudentschlands ist eine von den historischen Persönlichkeiten, welche, ohne glänzende und sofort in die Augen fallende Eigenschaften, ohne blendende Talente zu besitze», trotzdem Grenzbowi I. 188«. t

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/9>, abgerufen am 19.05.2024.