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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Lamoöns.

daß sie gehorchen und dem gütigen Helfer völlig vertrauen wolle, Joana
reichte sie dabei die Hand und beteuerte gegen Camoens, daß sie sich nicht
scheue, mit der hilfreichen jungen Ziegeuhirtin viele Tage allein zu sein. Ihre
innigen Dankesworte blieben ernst und kurz und bestärkte" den Dichter in der
Überzeugung, daß die Flüchtige aus edeln Stamme und, in der Weise ihres
Volkes, von edler Bildung sei. Er schied nur zögernd von der schönen Be¬
drängten und schaute, als Barreto schon wieder seitwärts vom Absturz des
Baches hiuabzuklimmen begann, wiederholt nach der Hütte zurück, wo die Maurin
jetzt mit der Linken den Nacken der kleinen Joana umschlungen hielt. Die
Sonne, die schon niederging, wob ihre letzten Strahlen wie einen Glorienschein
um die gleich dunkeln und doch so verschiednen Häupter beider Mädchen --
Camoens sah mit wundersamer Empfindung auf die Gestalten zurück, von denen
er vor kaum einer Stunde noch nichts geahnt hatte und die für ihn und Barreto
nun schon ein Stück Schicksal geworden waren.

Der Rückweg zu den Korkeichen, unter denen ihre Tiere grasten, war nicht
leichter als das Niedersteigen an einem steilen Wall. Manuel Barreto hatte
bereits festen Boden erreicht und ermutigte den Gefährten, ihm rascher zu
folgen. Lachend versuchte Camoens einige Sprünge und ward dabei inne, daß
seine jugendliche Gewandtheit noch uicht völlig geschwunden sei; die Heiterkeit,
mit welcher Herr Manuel ihm zuschaute und ihn unter den Eichen empfing,
zwang ihm selbst ein fröhliches Lachen ab.

Und jetzt in den Sattel, Freund! rief der Edelmann, nachdem er und
Camoens ein wenig Atem geschöpft hatten. Wir müssen trachten, vor Abend
nach Cintra hinabzukommen, die Herberge unsers alten Steuermannes ist, seit
der König in Cintra Hof hält, bei Sonnenuntergang oft genug überfüllt, und
wir würden uns in keinem andern Hause so wohl fühlen als gerade dort!

Barretos Pferd stand auf einen kurzen Pfiff schon neben seinem Herrn;
Camoens hingegen mußte sein weidendes Maultier, das die Zügel nachschleifte,
erst einfangen und herzuführen. Mit portugiesischer .Höflichkeit bot Herr
Manuel dem Genüssen sein Roß an und stieg nicht eher in den Bügel, als bis
Camoens dankend den Tausch abgelehnt und sich auf sein Maultier geschwungen
hatte. Und nun verließen sie die schattige Schlucht, mehr mit der Begebenheit
der letzten Stunde als mit ihrem unverhofften Wiedersehen beschäftigt. War
es doch, als sie draußen den Pfad erreichten, den jeder von ihnen allein
emporgekommen war, beiden Männer zu Mute, als wären sie schon wieder
jahrelang beisammen.




Zweites Aapitel.

Die Freunde ritten nun, dicht aneinander gedrängt, auf dem schmalen Fels¬
wege, das Städtchen Cintra zu Füßen. Der Pfad, der abwechselnd steil anstieg


Lamoöns.

daß sie gehorchen und dem gütigen Helfer völlig vertrauen wolle, Joana
reichte sie dabei die Hand und beteuerte gegen Camoens, daß sie sich nicht
scheue, mit der hilfreichen jungen Ziegeuhirtin viele Tage allein zu sein. Ihre
innigen Dankesworte blieben ernst und kurz und bestärkte» den Dichter in der
Überzeugung, daß die Flüchtige aus edeln Stamme und, in der Weise ihres
Volkes, von edler Bildung sei. Er schied nur zögernd von der schönen Be¬
drängten und schaute, als Barreto schon wieder seitwärts vom Absturz des
Baches hiuabzuklimmen begann, wiederholt nach der Hütte zurück, wo die Maurin
jetzt mit der Linken den Nacken der kleinen Joana umschlungen hielt. Die
Sonne, die schon niederging, wob ihre letzten Strahlen wie einen Glorienschein
um die gleich dunkeln und doch so verschiednen Häupter beider Mädchen —
Camoens sah mit wundersamer Empfindung auf die Gestalten zurück, von denen
er vor kaum einer Stunde noch nichts geahnt hatte und die für ihn und Barreto
nun schon ein Stück Schicksal geworden waren.

Der Rückweg zu den Korkeichen, unter denen ihre Tiere grasten, war nicht
leichter als das Niedersteigen an einem steilen Wall. Manuel Barreto hatte
bereits festen Boden erreicht und ermutigte den Gefährten, ihm rascher zu
folgen. Lachend versuchte Camoens einige Sprünge und ward dabei inne, daß
seine jugendliche Gewandtheit noch uicht völlig geschwunden sei; die Heiterkeit,
mit welcher Herr Manuel ihm zuschaute und ihn unter den Eichen empfing,
zwang ihm selbst ein fröhliches Lachen ab.

Und jetzt in den Sattel, Freund! rief der Edelmann, nachdem er und
Camoens ein wenig Atem geschöpft hatten. Wir müssen trachten, vor Abend
nach Cintra hinabzukommen, die Herberge unsers alten Steuermannes ist, seit
der König in Cintra Hof hält, bei Sonnenuntergang oft genug überfüllt, und
wir würden uns in keinem andern Hause so wohl fühlen als gerade dort!

Barretos Pferd stand auf einen kurzen Pfiff schon neben seinem Herrn;
Camoens hingegen mußte sein weidendes Maultier, das die Zügel nachschleifte,
erst einfangen und herzuführen. Mit portugiesischer .Höflichkeit bot Herr
Manuel dem Genüssen sein Roß an und stieg nicht eher in den Bügel, als bis
Camoens dankend den Tausch abgelehnt und sich auf sein Maultier geschwungen
hatte. Und nun verließen sie die schattige Schlucht, mehr mit der Begebenheit
der letzten Stunde als mit ihrem unverhofften Wiedersehen beschäftigt. War
es doch, als sie draußen den Pfad erreichten, den jeder von ihnen allein
emporgekommen war, beiden Männer zu Mute, als wären sie schon wieder
jahrelang beisammen.




Zweites Aapitel.

Die Freunde ritten nun, dicht aneinander gedrängt, auf dem schmalen Fels¬
wege, das Städtchen Cintra zu Füßen. Der Pfad, der abwechselnd steil anstieg


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/94>, abgerufen am 19.05.2024.