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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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sondern für das der Kleinen, Armen und Werdenden! Wo die Kommerzien-
rcite zu Hause blieben und die Fabrikarbeiter zum Festessen gingen! wo die
Konzerte und dramatischen Aufführungen von den Reichen bezahlt und von den
Armen besucht würden! wo jeder, der eine Batterie Champngnerflascheu auf¬
fahren lassen kann, den Champagner seinen Beruf verfehlen ließe und sich über¬
legte, ob er nicht einen strebsamen, armen Jungen kennt, den er zu seinem
wahren Berufe verhelfen könnte!


Lltxo Lu'^ININ^cicUii.


Neue Parteibildungen in Österreich.

us Ausland wird in vielen Beziehungen über die verwickelten
Verhältnisse Österreichs entweder unrichtig, ungenügend oder gar¬
nicht belehrt. Selbst in Deutschland, mit dem Österreich auch
in geistiger Hinsicht den regsten Verkehr unterhält, wird die Be¬
völkerung nicht immer gehörig unterrichtet. Der Hauptgrund
dieses Übclstaudes liegt darin, daß in Österreich die einflußreichsten Zeitungen
nur einer einzigen, nämlich der sogenannten liberalen Partei, dienen, und im
Interesse dieser Partei die Thatsachen färben oder auch totschweigen. Da nun
hauptsächlich, wem, nicht ausschließlich, eben diese liberale Presse auch in Deutsch¬
land Zutritt erhält und Verbreitung findet oder doch dafür sorgt, daß in
den Blättern Deutschlands Berichte und Erörterungen nur ihrer Färbung auf¬
genommen werden, so erscheint es begreiflich, daß das deutsche Publikum vor
falschen Vorstellungen über die österreichische" Zustünde nicht bewahrt wird.
Ja in Österreich selbst werden die von den Mittelpunkten abseits liegenden Be¬
völkerungen nicht selten durch Thatsachen überrascht, von deren Vorbereitung
sie keine Ahnung hatten. Die Ursache liegt wieder in der Einseitigkeit und in
der Mangelhaftigkeit der Berichte, die von der erwähnten Presse ausgehen.
Das charakteristischste Beispiel einer solchen Überraschung bot der Ausfall der
vorjährigen Reichsratswahlen für die Residenzstadt Wie" selbst. Die liberale
Partei verlor scheinbar über Nacht vier Sitze, und die liberale Presse geriet
in die größte Verlegenheit, wie sie dem In- und Auslande diese Überraschung
erklären sollte, von deren Vorboten sie bis dahin nicht die geringste Erwähnung
gethan hatte. Ju Wahrheit lag in dieser Niederlage der liberalen Partei gar
nichts unerwartetes; denn es war Thatsache, daß totgeschwiegene Vereine und
Versaunnluugen längere Zeit ihre Thätigkeit in der Richtung entfaltet hatten,
in welcher sie für die Fernerstehenden zu so unverhofften Ergebnissen gelangten.


sondern für das der Kleinen, Armen und Werdenden! Wo die Kommerzien-
rcite zu Hause blieben und die Fabrikarbeiter zum Festessen gingen! wo die
Konzerte und dramatischen Aufführungen von den Reichen bezahlt und von den
Armen besucht würden! wo jeder, der eine Batterie Champngnerflascheu auf¬
fahren lassen kann, den Champagner seinen Beruf verfehlen ließe und sich über¬
legte, ob er nicht einen strebsamen, armen Jungen kennt, den er zu seinem
wahren Berufe verhelfen könnte!


Lltxo Lu'^ININ^cicUii.


Neue Parteibildungen in Österreich.

us Ausland wird in vielen Beziehungen über die verwickelten
Verhältnisse Österreichs entweder unrichtig, ungenügend oder gar¬
nicht belehrt. Selbst in Deutschland, mit dem Österreich auch
in geistiger Hinsicht den regsten Verkehr unterhält, wird die Be¬
völkerung nicht immer gehörig unterrichtet. Der Hauptgrund
dieses Übclstaudes liegt darin, daß in Österreich die einflußreichsten Zeitungen
nur einer einzigen, nämlich der sogenannten liberalen Partei, dienen, und im
Interesse dieser Partei die Thatsachen färben oder auch totschweigen. Da nun
hauptsächlich, wem, nicht ausschließlich, eben diese liberale Presse auch in Deutsch¬
land Zutritt erhält und Verbreitung findet oder doch dafür sorgt, daß in
den Blättern Deutschlands Berichte und Erörterungen nur ihrer Färbung auf¬
genommen werden, so erscheint es begreiflich, daß das deutsche Publikum vor
falschen Vorstellungen über die österreichische» Zustünde nicht bewahrt wird.
Ja in Österreich selbst werden die von den Mittelpunkten abseits liegenden Be¬
völkerungen nicht selten durch Thatsachen überrascht, von deren Vorbereitung
sie keine Ahnung hatten. Die Ursache liegt wieder in der Einseitigkeit und in
der Mangelhaftigkeit der Berichte, die von der erwähnten Presse ausgehen.
Das charakteristischste Beispiel einer solchen Überraschung bot der Ausfall der
vorjährigen Reichsratswahlen für die Residenzstadt Wie» selbst. Die liberale
Partei verlor scheinbar über Nacht vier Sitze, und die liberale Presse geriet
in die größte Verlegenheit, wie sie dem In- und Auslande diese Überraschung
erklären sollte, von deren Vorboten sie bis dahin nicht die geringste Erwähnung
gethan hatte. Ju Wahrheit lag in dieser Niederlage der liberalen Partei gar
nichts unerwartetes; denn es war Thatsache, daß totgeschwiegene Vereine und
Versaunnluugen längere Zeit ihre Thätigkeit in der Richtung entfaltet hatten,
in welcher sie für die Fernerstehenden zu so unverhofften Ergebnissen gelangten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/11>, abgerufen am 02.05.2024.