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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Aus (Österreich.

Mikado aufgefordert wird, binnen einer Stunde eine Exekution zu vollziehen,
wie der einzige Verbrecher, den der Gute zur Stelle schaffen kann, er selbst ist,
und wie er nun wirklich in die kaum berechnete Lage kommt, sich selbst köpfen
zu müssen -- alles das, seine Seelenpein, noch verbittert durch einen infolge
steter Störungen zurückgehaltenen Monolog, seine Befreiung nebst ihren für
das Liebespaar glücklichen Nebenumständen ist teils barer Unsinn, teils zu ver¬
zwickt, um es hier ausführlich zu erzählen. Es genügt der Hinweis, daß der
gravitätisch nickende, komisch salbungsvolle Mikado, der ewige Gesetzmacher, der
immer nur den Buchstaben im Sinne hat, das Gesetz mag im übrigen sein
was es will, daß dieser grausam-anständige, grandios brutale "Brutus von
Japan" John Bull selbst ist, um angedeutet zu haben, wie das oben gestellte
Erfordernis des Sinns im Unsinn nicht bloß im einzelnen gewahrt ist, wo er
übrigens dem Hörer alsbald klar wird, sondern auch in dem anscheinend bloß
grotesk sinnlosen Ganzen. Vieles würde unmittelbarer bei uns wirken, wenn
die darstellende Kunst der englischen Gäste uns nicht zum Teil ungewohnt,
zum Teil ungenügend erschiene. Da ist ein Komiker mit zu billigen Ka-
sperlemauieren, der in einer verstellten Liebesszene plötzlich ein tragisches Gesicht
als das ihm offenbar eigentümliche aufweist, und eine "komische Alte," die ein
wunderlicher Stern gerade in diese Komödie geführt hat und die ganz unbe¬
fangen darin Tragödie spielt. Man denke sich' unsre Links und Wellhofs,
vor allen unsre unübertreffliche Elise Schmidt in diesen Rollen, Komiker, die
jetzt all ihren Geist aufbieten müssen, um aus dem ihnen zu Gebote stehenden
dürftigen Maskenkehricht Stoff für ihr groteskes und humoristisches Talent
zusammenzuscharren! An Kräften fehlt es gerade in Deutschland nicht für
solche Aufgaben, auch nicht an Stoffen und, wie sich zeigt, auch nicht am Pu¬
blikum. Auch braucht das letztere durchaus kein " Operettenpubliknm" zu sein.
Denn unser Stück z. B. ist trotz alledem für ein gebildetes englisches Publikum
geschrieben, d. h. so, daß es jedes junge Mädchen nicht bloß hören, sondern
auch lesen kann. Die Begabung des Deutschen für dies Feld der dramatischen
Produktion ist bekannt. Woran liegt es also, daß sich bei uns nichts Ähnliches
bilden will?




om Lächerlichen zum Gefährlichen ist nicht weiter als vom Er¬
habnen zum Lächerlichen, das lehrt die Geschichte aller Revolu¬
tionen und bestätigen die jüngsten Ereignisse in verschiednen Teilen
des Reiches. Zum Glück, müssen wir sagen, haben diesmal die
Kindereien, um welche es sich in der Regel znerst bei Straßen¬
demonstrationen handelt, rasch eine Färbung angenommen, welche an entschei-"OMM


Aus (Österreich.

Mikado aufgefordert wird, binnen einer Stunde eine Exekution zu vollziehen,
wie der einzige Verbrecher, den der Gute zur Stelle schaffen kann, er selbst ist,
und wie er nun wirklich in die kaum berechnete Lage kommt, sich selbst köpfen
zu müssen — alles das, seine Seelenpein, noch verbittert durch einen infolge
steter Störungen zurückgehaltenen Monolog, seine Befreiung nebst ihren für
das Liebespaar glücklichen Nebenumständen ist teils barer Unsinn, teils zu ver¬
zwickt, um es hier ausführlich zu erzählen. Es genügt der Hinweis, daß der
gravitätisch nickende, komisch salbungsvolle Mikado, der ewige Gesetzmacher, der
immer nur den Buchstaben im Sinne hat, das Gesetz mag im übrigen sein
was es will, daß dieser grausam-anständige, grandios brutale „Brutus von
Japan" John Bull selbst ist, um angedeutet zu haben, wie das oben gestellte
Erfordernis des Sinns im Unsinn nicht bloß im einzelnen gewahrt ist, wo er
übrigens dem Hörer alsbald klar wird, sondern auch in dem anscheinend bloß
grotesk sinnlosen Ganzen. Vieles würde unmittelbarer bei uns wirken, wenn
die darstellende Kunst der englischen Gäste uns nicht zum Teil ungewohnt,
zum Teil ungenügend erschiene. Da ist ein Komiker mit zu billigen Ka-
sperlemauieren, der in einer verstellten Liebesszene plötzlich ein tragisches Gesicht
als das ihm offenbar eigentümliche aufweist, und eine „komische Alte," die ein
wunderlicher Stern gerade in diese Komödie geführt hat und die ganz unbe¬
fangen darin Tragödie spielt. Man denke sich' unsre Links und Wellhofs,
vor allen unsre unübertreffliche Elise Schmidt in diesen Rollen, Komiker, die
jetzt all ihren Geist aufbieten müssen, um aus dem ihnen zu Gebote stehenden
dürftigen Maskenkehricht Stoff für ihr groteskes und humoristisches Talent
zusammenzuscharren! An Kräften fehlt es gerade in Deutschland nicht für
solche Aufgaben, auch nicht an Stoffen und, wie sich zeigt, auch nicht am Pu¬
blikum. Auch braucht das letztere durchaus kein „ Operettenpubliknm" zu sein.
Denn unser Stück z. B. ist trotz alledem für ein gebildetes englisches Publikum
geschrieben, d. h. so, daß es jedes junge Mädchen nicht bloß hören, sondern
auch lesen kann. Die Begabung des Deutschen für dies Feld der dramatischen
Produktion ist bekannt. Woran liegt es also, daß sich bei uns nichts Ähnliches
bilden will?




om Lächerlichen zum Gefährlichen ist nicht weiter als vom Er¬
habnen zum Lächerlichen, das lehrt die Geschichte aller Revolu¬
tionen und bestätigen die jüngsten Ereignisse in verschiednen Teilen
des Reiches. Zum Glück, müssen wir sagen, haben diesmal die
Kindereien, um welche es sich in der Regel znerst bei Straßen¬
demonstrationen handelt, rasch eine Färbung angenommen, welche an entschei-»OMM


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[0634] Aus (Österreich. Mikado aufgefordert wird, binnen einer Stunde eine Exekution zu vollziehen, wie der einzige Verbrecher, den der Gute zur Stelle schaffen kann, er selbst ist, und wie er nun wirklich in die kaum berechnete Lage kommt, sich selbst köpfen zu müssen — alles das, seine Seelenpein, noch verbittert durch einen infolge steter Störungen zurückgehaltenen Monolog, seine Befreiung nebst ihren für das Liebespaar glücklichen Nebenumständen ist teils barer Unsinn, teils zu ver¬ zwickt, um es hier ausführlich zu erzählen. Es genügt der Hinweis, daß der gravitätisch nickende, komisch salbungsvolle Mikado, der ewige Gesetzmacher, der immer nur den Buchstaben im Sinne hat, das Gesetz mag im übrigen sein was es will, daß dieser grausam-anständige, grandios brutale „Brutus von Japan" John Bull selbst ist, um angedeutet zu haben, wie das oben gestellte Erfordernis des Sinns im Unsinn nicht bloß im einzelnen gewahrt ist, wo er übrigens dem Hörer alsbald klar wird, sondern auch in dem anscheinend bloß grotesk sinnlosen Ganzen. Vieles würde unmittelbarer bei uns wirken, wenn die darstellende Kunst der englischen Gäste uns nicht zum Teil ungewohnt, zum Teil ungenügend erschiene. Da ist ein Komiker mit zu billigen Ka- sperlemauieren, der in einer verstellten Liebesszene plötzlich ein tragisches Gesicht als das ihm offenbar eigentümliche aufweist, und eine „komische Alte," die ein wunderlicher Stern gerade in diese Komödie geführt hat und die ganz unbe¬ fangen darin Tragödie spielt. Man denke sich' unsre Links und Wellhofs, vor allen unsre unübertreffliche Elise Schmidt in diesen Rollen, Komiker, die jetzt all ihren Geist aufbieten müssen, um aus dem ihnen zu Gebote stehenden dürftigen Maskenkehricht Stoff für ihr groteskes und humoristisches Talent zusammenzuscharren! An Kräften fehlt es gerade in Deutschland nicht für solche Aufgaben, auch nicht an Stoffen und, wie sich zeigt, auch nicht am Pu¬ blikum. Auch braucht das letztere durchaus kein „ Operettenpubliknm" zu sein. Denn unser Stück z. B. ist trotz alledem für ein gebildetes englisches Publikum geschrieben, d. h. so, daß es jedes junge Mädchen nicht bloß hören, sondern auch lesen kann. Die Begabung des Deutschen für dies Feld der dramatischen Produktion ist bekannt. Woran liegt es also, daß sich bei uns nichts Ähnliches bilden will? om Lächerlichen zum Gefährlichen ist nicht weiter als vom Er¬ habnen zum Lächerlichen, das lehrt die Geschichte aller Revolu¬ tionen und bestätigen die jüngsten Ereignisse in verschiednen Teilen des Reiches. Zum Glück, müssen wir sagen, haben diesmal die Kindereien, um welche es sich in der Regel znerst bei Straßen¬ demonstrationen handelt, rasch eine Färbung angenommen, welche an entschei-»OMM

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/634>, abgerufen am 02.05.2024.