Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

seine malerische Virtuosität an der Beherrschung von Massen und in der Einzel¬
darstellung von Kostümen und Trachten zu erproben. Kann ein solcher Maler,
so darf man billig fragen, seinen Schillern mehr bieten als gewisse technische
Kunstgriffe? Ist er befähigt, ihnen den Weg zu höheren Zielen zu öffnen,
ihren Sinn für vaterländische Geschichte zu pflegen oder gar ihrem Streben
seineu nationalen Inhalt zu geben? Ein unglücklicher Zufall hat es gewollt,
daß Hellqvist vor Antritt seines Amtes erkrankt und auf ein Jahr beurlaubt
worden ist. Zu seiner Vertretung ist der oben erwähnte Düsseldorfer Historien¬
maler Vogel bestellt worden. Wenn dieser Maler imstande ist, jenen zu ver¬
treten, wird er ihn auch ersetzen können, und seine Werke sprechen dafür. Unter
solchen Umständen ist es doppelt rätselhaft, daß ein zum großen Teile in Paris
gebildeter Ausländer mit der Pflege deutscher Malerei an einer deutschen
Akademie ersten Ranges betraut wird, da genug inländische Kräfte von gleicher
Begabung vorhanden sind.




Die Begründer der Fabrikation europäischen Zuckers.

n unserm vorletzten Hefte haben wir berichtet, die Entdeckung des
Rübenzuckers sei von einem Deutschen ausgegangen und andre
Deutsche hätten dieselbe zuerst fabrikmäßig auszubeuten versucht.
Wir werden darauf aufmerksam gemacht, daß der zweite Teil dieser
Behauptung von den Franzosen bestritten wird, und daß z. B.
Vasset im Vorworte zu seinem Huicis xrsUPiö an kg.driog.ut av suers wörtlich
sagt: "Frankreich allein war es vorbehalten, der Reihenfolge menschlicher Arbeiten
diese neue Industrie hinzuzufügen. Die von Napoleon gegen die feindselige
Macht der Engländer ersonnene Kontinentalsperre bezweckte zunächst, den fremden
Kolonialprodukten unsre Häfen zu verschließen. Die französische Wissenschaft,
von dem großen Feldherrn angerufen, über die aus unserm Boden zu ziehenden
Erzeugnisse, deren Mangel sich am fühlbarsten machte, zu beraten, beantwortete
den Appell des Kaisers mit zwei Wundern: die Industrie des künstlichen Schwefels
und die des inländischen Zuckers wurden ins Leben gerufen, und am 13. Januar 1812
scmktionirte Napoleon die letztere mit seiner allgemein verbreiteten Autorität."

Diese Behauptungen beruhen ebenso wie der Anspruch andrer Schriftsteller
unter unsern westlichen Nachbarn, daß der in Rede stehende hochwichtige Ge-
werbszweig ein "echt klassisch französischer, auf französischem Boden entsprungener,
allein durch Frankreich entwickelter" sei, entweder auf der bekannten Unwissenheit
unsrer Nachbarn in Betreff dessen, was jenseits ihrer Grenzen vor sich gegangen
ist und besteht, oder auf ihrer ebenso notorischen Selbstüberschätzung, Anmaßung
und Ruhmredigkeit. Ohne den Verdiensten, deren Frankreich sich in dieser


seine malerische Virtuosität an der Beherrschung von Massen und in der Einzel¬
darstellung von Kostümen und Trachten zu erproben. Kann ein solcher Maler,
so darf man billig fragen, seinen Schillern mehr bieten als gewisse technische
Kunstgriffe? Ist er befähigt, ihnen den Weg zu höheren Zielen zu öffnen,
ihren Sinn für vaterländische Geschichte zu pflegen oder gar ihrem Streben
seineu nationalen Inhalt zu geben? Ein unglücklicher Zufall hat es gewollt,
daß Hellqvist vor Antritt seines Amtes erkrankt und auf ein Jahr beurlaubt
worden ist. Zu seiner Vertretung ist der oben erwähnte Düsseldorfer Historien¬
maler Vogel bestellt worden. Wenn dieser Maler imstande ist, jenen zu ver¬
treten, wird er ihn auch ersetzen können, und seine Werke sprechen dafür. Unter
solchen Umständen ist es doppelt rätselhaft, daß ein zum großen Teile in Paris
gebildeter Ausländer mit der Pflege deutscher Malerei an einer deutschen
Akademie ersten Ranges betraut wird, da genug inländische Kräfte von gleicher
Begabung vorhanden sind.




Die Begründer der Fabrikation europäischen Zuckers.

n unserm vorletzten Hefte haben wir berichtet, die Entdeckung des
Rübenzuckers sei von einem Deutschen ausgegangen und andre
Deutsche hätten dieselbe zuerst fabrikmäßig auszubeuten versucht.
Wir werden darauf aufmerksam gemacht, daß der zweite Teil dieser
Behauptung von den Franzosen bestritten wird, und daß z. B.
Vasset im Vorworte zu seinem Huicis xrsUPiö an kg.driog.ut av suers wörtlich
sagt: „Frankreich allein war es vorbehalten, der Reihenfolge menschlicher Arbeiten
diese neue Industrie hinzuzufügen. Die von Napoleon gegen die feindselige
Macht der Engländer ersonnene Kontinentalsperre bezweckte zunächst, den fremden
Kolonialprodukten unsre Häfen zu verschließen. Die französische Wissenschaft,
von dem großen Feldherrn angerufen, über die aus unserm Boden zu ziehenden
Erzeugnisse, deren Mangel sich am fühlbarsten machte, zu beraten, beantwortete
den Appell des Kaisers mit zwei Wundern: die Industrie des künstlichen Schwefels
und die des inländischen Zuckers wurden ins Leben gerufen, und am 13. Januar 1812
scmktionirte Napoleon die letztere mit seiner allgemein verbreiteten Autorität."

Diese Behauptungen beruhen ebenso wie der Anspruch andrer Schriftsteller
unter unsern westlichen Nachbarn, daß der in Rede stehende hochwichtige Ge-
werbszweig ein „echt klassisch französischer, auf französischem Boden entsprungener,
allein durch Frankreich entwickelter" sei, entweder auf der bekannten Unwissenheit
unsrer Nachbarn in Betreff dessen, was jenseits ihrer Grenzen vor sich gegangen
ist und besteht, oder auf ihrer ebenso notorischen Selbstüberschätzung, Anmaßung
und Ruhmredigkeit. Ohne den Verdiensten, deren Frankreich sich in dieser


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0231" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198951"/>
          <p xml:id="ID_630" prev="#ID_629"> seine malerische Virtuosität an der Beherrschung von Massen und in der Einzel¬<lb/>
darstellung von Kostümen und Trachten zu erproben. Kann ein solcher Maler,<lb/>
so darf man billig fragen, seinen Schillern mehr bieten als gewisse technische<lb/>
Kunstgriffe? Ist er befähigt, ihnen den Weg zu höheren Zielen zu öffnen,<lb/>
ihren Sinn für vaterländische Geschichte zu pflegen oder gar ihrem Streben<lb/>
seineu nationalen Inhalt zu geben? Ein unglücklicher Zufall hat es gewollt,<lb/>
daß Hellqvist vor Antritt seines Amtes erkrankt und auf ein Jahr beurlaubt<lb/>
worden ist. Zu seiner Vertretung ist der oben erwähnte Düsseldorfer Historien¬<lb/>
maler Vogel bestellt worden. Wenn dieser Maler imstande ist, jenen zu ver¬<lb/>
treten, wird er ihn auch ersetzen können, und seine Werke sprechen dafür. Unter<lb/>
solchen Umständen ist es doppelt rätselhaft, daß ein zum großen Teile in Paris<lb/>
gebildeter Ausländer mit der Pflege deutscher Malerei an einer deutschen<lb/>
Akademie ersten Ranges betraut wird, da genug inländische Kräfte von gleicher<lb/>
Begabung vorhanden sind.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Begründer der Fabrikation europäischen Zuckers.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_631"> n unserm vorletzten Hefte haben wir berichtet, die Entdeckung des<lb/>
Rübenzuckers sei von einem Deutschen ausgegangen und andre<lb/>
Deutsche hätten dieselbe zuerst fabrikmäßig auszubeuten versucht.<lb/>
Wir werden darauf aufmerksam gemacht, daß der zweite Teil dieser<lb/>
Behauptung von den Franzosen bestritten wird, und daß z. B.<lb/>
Vasset im Vorworte zu seinem Huicis xrsUPiö an kg.driog.ut av suers wörtlich<lb/>
sagt: &#x201E;Frankreich allein war es vorbehalten, der Reihenfolge menschlicher Arbeiten<lb/>
diese neue Industrie hinzuzufügen. Die von Napoleon gegen die feindselige<lb/>
Macht der Engländer ersonnene Kontinentalsperre bezweckte zunächst, den fremden<lb/>
Kolonialprodukten unsre Häfen zu verschließen. Die französische Wissenschaft,<lb/>
von dem großen Feldherrn angerufen, über die aus unserm Boden zu ziehenden<lb/>
Erzeugnisse, deren Mangel sich am fühlbarsten machte, zu beraten, beantwortete<lb/>
den Appell des Kaisers mit zwei Wundern: die Industrie des künstlichen Schwefels<lb/>
und die des inländischen Zuckers wurden ins Leben gerufen, und am 13. Januar 1812<lb/>
scmktionirte Napoleon die letztere mit seiner allgemein verbreiteten Autorität."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_632" next="#ID_633"> Diese Behauptungen beruhen ebenso wie der Anspruch andrer Schriftsteller<lb/>
unter unsern westlichen Nachbarn, daß der in Rede stehende hochwichtige Ge-<lb/>
werbszweig ein &#x201E;echt klassisch französischer, auf französischem Boden entsprungener,<lb/>
allein durch Frankreich entwickelter" sei, entweder auf der bekannten Unwissenheit<lb/>
unsrer Nachbarn in Betreff dessen, was jenseits ihrer Grenzen vor sich gegangen<lb/>
ist und besteht, oder auf ihrer ebenso notorischen Selbstüberschätzung, Anmaßung<lb/>
und Ruhmredigkeit.  Ohne den Verdiensten, deren Frankreich sich in dieser</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0231] seine malerische Virtuosität an der Beherrschung von Massen und in der Einzel¬ darstellung von Kostümen und Trachten zu erproben. Kann ein solcher Maler, so darf man billig fragen, seinen Schillern mehr bieten als gewisse technische Kunstgriffe? Ist er befähigt, ihnen den Weg zu höheren Zielen zu öffnen, ihren Sinn für vaterländische Geschichte zu pflegen oder gar ihrem Streben seineu nationalen Inhalt zu geben? Ein unglücklicher Zufall hat es gewollt, daß Hellqvist vor Antritt seines Amtes erkrankt und auf ein Jahr beurlaubt worden ist. Zu seiner Vertretung ist der oben erwähnte Düsseldorfer Historien¬ maler Vogel bestellt worden. Wenn dieser Maler imstande ist, jenen zu ver¬ treten, wird er ihn auch ersetzen können, und seine Werke sprechen dafür. Unter solchen Umständen ist es doppelt rätselhaft, daß ein zum großen Teile in Paris gebildeter Ausländer mit der Pflege deutscher Malerei an einer deutschen Akademie ersten Ranges betraut wird, da genug inländische Kräfte von gleicher Begabung vorhanden sind. Die Begründer der Fabrikation europäischen Zuckers. n unserm vorletzten Hefte haben wir berichtet, die Entdeckung des Rübenzuckers sei von einem Deutschen ausgegangen und andre Deutsche hätten dieselbe zuerst fabrikmäßig auszubeuten versucht. Wir werden darauf aufmerksam gemacht, daß der zweite Teil dieser Behauptung von den Franzosen bestritten wird, und daß z. B. Vasset im Vorworte zu seinem Huicis xrsUPiö an kg.driog.ut av suers wörtlich sagt: „Frankreich allein war es vorbehalten, der Reihenfolge menschlicher Arbeiten diese neue Industrie hinzuzufügen. Die von Napoleon gegen die feindselige Macht der Engländer ersonnene Kontinentalsperre bezweckte zunächst, den fremden Kolonialprodukten unsre Häfen zu verschließen. Die französische Wissenschaft, von dem großen Feldherrn angerufen, über die aus unserm Boden zu ziehenden Erzeugnisse, deren Mangel sich am fühlbarsten machte, zu beraten, beantwortete den Appell des Kaisers mit zwei Wundern: die Industrie des künstlichen Schwefels und die des inländischen Zuckers wurden ins Leben gerufen, und am 13. Januar 1812 scmktionirte Napoleon die letztere mit seiner allgemein verbreiteten Autorität." Diese Behauptungen beruhen ebenso wie der Anspruch andrer Schriftsteller unter unsern westlichen Nachbarn, daß der in Rede stehende hochwichtige Ge- werbszweig ein „echt klassisch französischer, auf französischem Boden entsprungener, allein durch Frankreich entwickelter" sei, entweder auf der bekannten Unwissenheit unsrer Nachbarn in Betreff dessen, was jenseits ihrer Grenzen vor sich gegangen ist und besteht, oder auf ihrer ebenso notorischen Selbstüberschätzung, Anmaßung und Ruhmredigkeit. Ohne den Verdiensten, deren Frankreich sich in dieser

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/231
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/231>, abgerufen am 02.05.2024.