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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Chauvinisten und Regierung in Rußland.
2.

le geistigen Attentate, auf die wir im ersten Artikel über unser
Thema hinwiesen, begannen damit, daß Iwan Aksakoff im Mos¬
kaner Slawenkvmitec mit größter Dreistigkeit gegen den Berliner
Friedensvertrag Protest einlegte. Derselbe war mit Einwilligung
des Zaren abgeschlossen und in dessen Namen und Auftrag unter¬
zeichnet worden. Der chauvinistische Redner aber erlaubte sich zu sagen, der
Berliner Kongreß, der ihn zustande gebracht, sei eine freche Beschimpfung dessen,
was das russische Volk mit dem Kriege gewollt habe, eine Schändung Ru߬
lands, eine Verschwörung gegen die russische Nation unter Beteiligung von deren
Vertretern, und dergleichen mehr in den denkbar gröbsten Ausdrücken, die un¬
mittelbar die Minister und Bevollmächtigten des Zaren, aber mittelbar auch
diesen trafen. Selbst Nihilisten hätten kaum wegwerfender sprechen können.
Trotzdem unterließ die Behörde, gegen Aksakosf einzuschreiten und ihn für seine
Worte zur Rechenschaft zu ziehen, und die Folge war der Schluß, daß sie es
nicht könne, und daß man mit dieser Politik neben der Politik des Kaisers und
seiner Räte fortfahren dürfe. Dies geschah denn auch vonseiten der Slciwo-
Philcn in mannichfachen Kundgebungen, durch Artikel der Presse und durch un¬
gehorsames Verhalten der zur Partei gehörenden Militärs, während die Nihi¬
listen durch Attentate sekundirten. Die Zeitungen der Chauvinisten trugen
Variationen des von Aksakoff behandelten Themas vor, und am 16. August 1878,
etwa vier Wochen nach Schluß des von jenem geschmähten Kongresses, wurde
Meseuzoff ermordet, der mit Beseitigung der Slnwenkomitees auch der nihi¬
listischen Agitation ein Ende machen zu können gehofft hatte. Der Zar be-


Grmzbvtm III. 1886. 43


Chauvinisten und Regierung in Rußland.
2.

le geistigen Attentate, auf die wir im ersten Artikel über unser
Thema hinwiesen, begannen damit, daß Iwan Aksakoff im Mos¬
kaner Slawenkvmitec mit größter Dreistigkeit gegen den Berliner
Friedensvertrag Protest einlegte. Derselbe war mit Einwilligung
des Zaren abgeschlossen und in dessen Namen und Auftrag unter¬
zeichnet worden. Der chauvinistische Redner aber erlaubte sich zu sagen, der
Berliner Kongreß, der ihn zustande gebracht, sei eine freche Beschimpfung dessen,
was das russische Volk mit dem Kriege gewollt habe, eine Schändung Ru߬
lands, eine Verschwörung gegen die russische Nation unter Beteiligung von deren
Vertretern, und dergleichen mehr in den denkbar gröbsten Ausdrücken, die un¬
mittelbar die Minister und Bevollmächtigten des Zaren, aber mittelbar auch
diesen trafen. Selbst Nihilisten hätten kaum wegwerfender sprechen können.
Trotzdem unterließ die Behörde, gegen Aksakosf einzuschreiten und ihn für seine
Worte zur Rechenschaft zu ziehen, und die Folge war der Schluß, daß sie es
nicht könne, und daß man mit dieser Politik neben der Politik des Kaisers und
seiner Räte fortfahren dürfe. Dies geschah denn auch vonseiten der Slciwo-
Philcn in mannichfachen Kundgebungen, durch Artikel der Presse und durch un¬
gehorsames Verhalten der zur Partei gehörenden Militärs, während die Nihi¬
listen durch Attentate sekundirten. Die Zeitungen der Chauvinisten trugen
Variationen des von Aksakoff behandelten Themas vor, und am 16. August 1878,
etwa vier Wochen nach Schluß des von jenem geschmähten Kongresses, wurde
Meseuzoff ermordet, der mit Beseitigung der Slnwenkomitees auch der nihi¬
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Grmzbvtm III. 1886. 43
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[0345] [Abbildung] Chauvinisten und Regierung in Rußland. 2. le geistigen Attentate, auf die wir im ersten Artikel über unser Thema hinwiesen, begannen damit, daß Iwan Aksakoff im Mos¬ kaner Slawenkvmitec mit größter Dreistigkeit gegen den Berliner Friedensvertrag Protest einlegte. Derselbe war mit Einwilligung des Zaren abgeschlossen und in dessen Namen und Auftrag unter¬ zeichnet worden. Der chauvinistische Redner aber erlaubte sich zu sagen, der Berliner Kongreß, der ihn zustande gebracht, sei eine freche Beschimpfung dessen, was das russische Volk mit dem Kriege gewollt habe, eine Schändung Ru߬ lands, eine Verschwörung gegen die russische Nation unter Beteiligung von deren Vertretern, und dergleichen mehr in den denkbar gröbsten Ausdrücken, die un¬ mittelbar die Minister und Bevollmächtigten des Zaren, aber mittelbar auch diesen trafen. Selbst Nihilisten hätten kaum wegwerfender sprechen können. Trotzdem unterließ die Behörde, gegen Aksakosf einzuschreiten und ihn für seine Worte zur Rechenschaft zu ziehen, und die Folge war der Schluß, daß sie es nicht könne, und daß man mit dieser Politik neben der Politik des Kaisers und seiner Räte fortfahren dürfe. Dies geschah denn auch vonseiten der Slciwo- Philcn in mannichfachen Kundgebungen, durch Artikel der Presse und durch un¬ gehorsames Verhalten der zur Partei gehörenden Militärs, während die Nihi¬ listen durch Attentate sekundirten. Die Zeitungen der Chauvinisten trugen Variationen des von Aksakoff behandelten Themas vor, und am 16. August 1878, etwa vier Wochen nach Schluß des von jenem geschmähten Kongresses, wurde Meseuzoff ermordet, der mit Beseitigung der Slnwenkomitees auch der nihi¬ listischen Agitation ein Ende machen zu können gehofft hatte. Der Zar be- Grmzbvtm III. 1886. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/345>, abgerufen am 02.05.2024.