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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Nie deutsche Landliga und ihre Bestrebungen.

schaft erkannt; für den Lebensunterhalt des Wirtes fanden wir in der "An-
gemessenheit" eine Grenze, bis zu welcher derselbe in die Rechnung eingestellt
werden darf, und nun haben wir auch für den Grund und Boden einen Maßstab,
inwieweit er als bei dem Gutsergebnis mitwirkend anzuerkennen ist, nämlich
die Urbarmachung und die sonst zur Herstellung eines anbaufähigen Zustandes
aufgewendeten Kosten; man könnte es die Gründungskosten nennen.

Wenn die Wirtschaft diesen dreierlei Ansprüchen Geniige leistet, so thut sie
ihre Schuldigkeit, erfüllt ihre Aufgaben; was darüber hinausgeht, sind an und
für sich unbegründete Ansprüche, erhoben entweder von der Genußsucht des
Wirtes oder von dem Grundherrn als Inhaber eines Monopols.


2.

Einen Notstand, in welchem sich Landwirte und Gutsbesitzer befinden, kann
man wohl als eine Thatsache zugestehen, deren Vorhandensein keines weiteren
Beweises bedarf. Ich spreche absichtlich von Landwirten und Gutsbesitzern; denn
ob sich auch die Landwirtschaft in einer Notlage befinde, ist eine ganz andre
Frage, wie sich in der Folge zeigen wird. Die Beschwerde kommt von allen
beteiligten Seiten, von den Bauern so gut wie von den großen und mittleren
Gutsbesitzern, vou den Eigentümern wie von den Pächtern. Man darf daraus
aber nicht schließen, daß die Not allgemein und daß sie gleichmäßig über das
ganze Land verbreitet sei. Denn die veranstalteten Erhebungen (Enqueten)
zeigen, daß weder alle Bauernschaften noch alle Gutsbesitzer uotleiden, daß in
der einen Gegend der Kleinbesitz den großen Herren gegenüber im Vorteil ist
und daß in andern Gegenden das umgekehrte Verhältnis stattfindet. Es stimmt
damit überein, daß die Verteilungsart von Grund und Boden für die Ursache
des gegenwärtigen Notstandes nicht verantwortlich gemacht zu werden pflegt.
Die Klage richtet sich vielmehr ganz allgemein gegen die gedrückten Preise; man
beschwert sich insbesondre über die unerträgliche Konkurrenz des amerikanischen,
australischen und indischen Getreides, welches auf nahezu jungfräulichen Boden
und mit so niedrigen Arbeitslöhnen erzeugt werde, daß es auf den europäischen
Markt zu Preisen geliefert werden könne, welche für das einheimische Getreide
unmöglich seien.

Diese Behauptungen bleiben im allgemeinen ohne Widerspruch. Allein
wenn man näher darauf eingeht, so läßt sich doch die Frage aufwerfen, ob die
gegenwärtigen Preise nicht innerhalb des Spielraums liegen, in welchem die
Preise des Getreides, als einer Waare, der Natur der Sache nach schwanken
müssen. Nach Conrad in Schönbergs Handbuch waren in Preußen alten Be¬
standes die Preise für den Zentner folgende:

1816--20103,1 Mark7S,9 Mark
1821-3060,7 "43,4 "
1831--4069,2 "50,3 "

Nie deutsche Landliga und ihre Bestrebungen.

schaft erkannt; für den Lebensunterhalt des Wirtes fanden wir in der „An-
gemessenheit" eine Grenze, bis zu welcher derselbe in die Rechnung eingestellt
werden darf, und nun haben wir auch für den Grund und Boden einen Maßstab,
inwieweit er als bei dem Gutsergebnis mitwirkend anzuerkennen ist, nämlich
die Urbarmachung und die sonst zur Herstellung eines anbaufähigen Zustandes
aufgewendeten Kosten; man könnte es die Gründungskosten nennen.

Wenn die Wirtschaft diesen dreierlei Ansprüchen Geniige leistet, so thut sie
ihre Schuldigkeit, erfüllt ihre Aufgaben; was darüber hinausgeht, sind an und
für sich unbegründete Ansprüche, erhoben entweder von der Genußsucht des
Wirtes oder von dem Grundherrn als Inhaber eines Monopols.


2.

Einen Notstand, in welchem sich Landwirte und Gutsbesitzer befinden, kann
man wohl als eine Thatsache zugestehen, deren Vorhandensein keines weiteren
Beweises bedarf. Ich spreche absichtlich von Landwirten und Gutsbesitzern; denn
ob sich auch die Landwirtschaft in einer Notlage befinde, ist eine ganz andre
Frage, wie sich in der Folge zeigen wird. Die Beschwerde kommt von allen
beteiligten Seiten, von den Bauern so gut wie von den großen und mittleren
Gutsbesitzern, vou den Eigentümern wie von den Pächtern. Man darf daraus
aber nicht schließen, daß die Not allgemein und daß sie gleichmäßig über das
ganze Land verbreitet sei. Denn die veranstalteten Erhebungen (Enqueten)
zeigen, daß weder alle Bauernschaften noch alle Gutsbesitzer uotleiden, daß in
der einen Gegend der Kleinbesitz den großen Herren gegenüber im Vorteil ist
und daß in andern Gegenden das umgekehrte Verhältnis stattfindet. Es stimmt
damit überein, daß die Verteilungsart von Grund und Boden für die Ursache
des gegenwärtigen Notstandes nicht verantwortlich gemacht zu werden pflegt.
Die Klage richtet sich vielmehr ganz allgemein gegen die gedrückten Preise; man
beschwert sich insbesondre über die unerträgliche Konkurrenz des amerikanischen,
australischen und indischen Getreides, welches auf nahezu jungfräulichen Boden
und mit so niedrigen Arbeitslöhnen erzeugt werde, daß es auf den europäischen
Markt zu Preisen geliefert werden könne, welche für das einheimische Getreide
unmöglich seien.

Diese Behauptungen bleiben im allgemeinen ohne Widerspruch. Allein
wenn man näher darauf eingeht, so läßt sich doch die Frage aufwerfen, ob die
gegenwärtigen Preise nicht innerhalb des Spielraums liegen, in welchem die
Preise des Getreides, als einer Waare, der Natur der Sache nach schwanken
müssen. Nach Conrad in Schönbergs Handbuch waren in Preußen alten Be¬
standes die Preise für den Zentner folgende:

1816—20103,1 Mark7S,9 Mark
1821-3060,7 »43,4 »
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[0455] Nie deutsche Landliga und ihre Bestrebungen. schaft erkannt; für den Lebensunterhalt des Wirtes fanden wir in der „An- gemessenheit" eine Grenze, bis zu welcher derselbe in die Rechnung eingestellt werden darf, und nun haben wir auch für den Grund und Boden einen Maßstab, inwieweit er als bei dem Gutsergebnis mitwirkend anzuerkennen ist, nämlich die Urbarmachung und die sonst zur Herstellung eines anbaufähigen Zustandes aufgewendeten Kosten; man könnte es die Gründungskosten nennen. Wenn die Wirtschaft diesen dreierlei Ansprüchen Geniige leistet, so thut sie ihre Schuldigkeit, erfüllt ihre Aufgaben; was darüber hinausgeht, sind an und für sich unbegründete Ansprüche, erhoben entweder von der Genußsucht des Wirtes oder von dem Grundherrn als Inhaber eines Monopols. 2. Einen Notstand, in welchem sich Landwirte und Gutsbesitzer befinden, kann man wohl als eine Thatsache zugestehen, deren Vorhandensein keines weiteren Beweises bedarf. Ich spreche absichtlich von Landwirten und Gutsbesitzern; denn ob sich auch die Landwirtschaft in einer Notlage befinde, ist eine ganz andre Frage, wie sich in der Folge zeigen wird. Die Beschwerde kommt von allen beteiligten Seiten, von den Bauern so gut wie von den großen und mittleren Gutsbesitzern, vou den Eigentümern wie von den Pächtern. Man darf daraus aber nicht schließen, daß die Not allgemein und daß sie gleichmäßig über das ganze Land verbreitet sei. Denn die veranstalteten Erhebungen (Enqueten) zeigen, daß weder alle Bauernschaften noch alle Gutsbesitzer uotleiden, daß in der einen Gegend der Kleinbesitz den großen Herren gegenüber im Vorteil ist und daß in andern Gegenden das umgekehrte Verhältnis stattfindet. Es stimmt damit überein, daß die Verteilungsart von Grund und Boden für die Ursache des gegenwärtigen Notstandes nicht verantwortlich gemacht zu werden pflegt. Die Klage richtet sich vielmehr ganz allgemein gegen die gedrückten Preise; man beschwert sich insbesondre über die unerträgliche Konkurrenz des amerikanischen, australischen und indischen Getreides, welches auf nahezu jungfräulichen Boden und mit so niedrigen Arbeitslöhnen erzeugt werde, daß es auf den europäischen Markt zu Preisen geliefert werden könne, welche für das einheimische Getreide unmöglich seien. Diese Behauptungen bleiben im allgemeinen ohne Widerspruch. Allein wenn man näher darauf eingeht, so läßt sich doch die Frage aufwerfen, ob die gegenwärtigen Preise nicht innerhalb des Spielraums liegen, in welchem die Preise des Getreides, als einer Waare, der Natur der Sache nach schwanken müssen. Nach Conrad in Schönbergs Handbuch waren in Preußen alten Be¬ standes die Preise für den Zentner folgende: 1816—20103,1 Mark7S,9 Mark 1821-3060,7 »43,4 » 1831—4069,2 »50,3 »

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/455>, abgerufen am 02.05.2024.