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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta.

die nachteiligen Folgen einer Überproduktion genugsam bekannt. Die letztere
kann bei der Papiergeldwirtschaft unberechenbare Ausdehnung annehmen, ehe
sie in die Erscheinung tritt. Bei metallischer Währung wird sie weit früher
wahrgenommen, da die Ansprüche, welche die Unternehmniigslust an den Geld¬
markt stellt, den Preis des Edelmetalls in die Höhe treiben. Ein solcher Baro¬
meter fehlt in Rußland. Ein Finanzminister wird dort ganz anßer stände sein,
die Bedürfnisse des Handels nach dem Geldsurrogat festzustellen und darnach die
Höhe der Umlaufsziffer zu bemessen. Jede Veränderung in der Handelsbilanz,
sei sie auch nur vorübergehend, wirkt außerdem auf diese Bedürfnisfrage ein,
ohne daß die Bewegung der Produktion sich darin wiederspiegelte. Denn wenn
die Einfuhr zeitweise die Ausfuhr übersteigt, so sind die Händler genötigt, Gold
aus den Bestünden der Bank zu entnehmen, um es an die auswärtigen Liefe¬
ranten zu schicken. Der Metallschatz vermag dann dem Bedürfnis nicht mehr
zu entsprechen, und sein Ersatz durch neues Papiergeld trägt nur zur weitern
Entwertung des letztern bei und verstärkt somit die Nachteile des ungünstigen
Wechselkurses.

Der Mas vom 1. Januar 1881 regelte außerdem die Beziehungen zwischen
Staatskasse und Reichsbank in der Weise, daß neue Geldcrfordernisse nicht mehr
durch die Notenpresse befriedigt, sondern durch Anleihen oder den Verkauf von
Tresorscheinen gedeckt werden sollten. Unter der Einwirkung dieser Maßnahmen
begann der Rubelkurs sich mehr und mehr zu befestigen. Während er 1877
zwischen 254 und 189, 1878 zwischen 224 und 187 und 1879 zwischen 218
und 191 geschwankt hatte, nahmen diese Schwankungen sowohl der Zahl als
auch der Ausdehnung nach ab. Sie betrugen 1882: 209 bis 196, 1833:
202 bis 19S und sind erst durch die afghanische Krisis des vorigen Jahres
wieder in lebhaftere Bewegung versetzt worden. 1885 schwankte der Kurs
zwischen 216 und 192, (100 'Silberrubel ^ 320 Mark.)


6.

Die größere Stetigkeit des Kurses hat eine wohlthuende Einwirkung auf
die Handelsverhältnisse Rußlands gehabt. Auch die Negierung hat erkannt,
daß der niedrige Stand an sich kein Unglück für das Land ist und alle Ver¬
suche, den Kurs künstlich zu heben, verfehlt sein würden. Die kostspieligen Er¬
fahrungen der sechziger Jahre mögen auf diese Erkenntnis nicht ohne Einfluß
geblieben sein. Bemerkenswert ist eine Stelle in dem Finanzberichte des Mi¬
nisters über das Budget 1883, worin es wörtlich heißt: "Die Schwankungen
des Wechselkurses und der Abgang von klingender Münze in dem Umlaufe im
Innern bilden einen starken Fehler in der wirtschaftlichen Lage unsers Landes,
aber die Besserung des Rudels und die Herstellung seines Wertes können nur
stufenweise erreicht werden durch eine Reihe von Maßnahmen, welche zur Be¬
festigung des Staatskredits im Innern wie im Auslande beitragen, durch Über-


Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta.

die nachteiligen Folgen einer Überproduktion genugsam bekannt. Die letztere
kann bei der Papiergeldwirtschaft unberechenbare Ausdehnung annehmen, ehe
sie in die Erscheinung tritt. Bei metallischer Währung wird sie weit früher
wahrgenommen, da die Ansprüche, welche die Unternehmniigslust an den Geld¬
markt stellt, den Preis des Edelmetalls in die Höhe treiben. Ein solcher Baro¬
meter fehlt in Rußland. Ein Finanzminister wird dort ganz anßer stände sein,
die Bedürfnisse des Handels nach dem Geldsurrogat festzustellen und darnach die
Höhe der Umlaufsziffer zu bemessen. Jede Veränderung in der Handelsbilanz,
sei sie auch nur vorübergehend, wirkt außerdem auf diese Bedürfnisfrage ein,
ohne daß die Bewegung der Produktion sich darin wiederspiegelte. Denn wenn
die Einfuhr zeitweise die Ausfuhr übersteigt, so sind die Händler genötigt, Gold
aus den Bestünden der Bank zu entnehmen, um es an die auswärtigen Liefe¬
ranten zu schicken. Der Metallschatz vermag dann dem Bedürfnis nicht mehr
zu entsprechen, und sein Ersatz durch neues Papiergeld trägt nur zur weitern
Entwertung des letztern bei und verstärkt somit die Nachteile des ungünstigen
Wechselkurses.

Der Mas vom 1. Januar 1881 regelte außerdem die Beziehungen zwischen
Staatskasse und Reichsbank in der Weise, daß neue Geldcrfordernisse nicht mehr
durch die Notenpresse befriedigt, sondern durch Anleihen oder den Verkauf von
Tresorscheinen gedeckt werden sollten. Unter der Einwirkung dieser Maßnahmen
begann der Rubelkurs sich mehr und mehr zu befestigen. Während er 1877
zwischen 254 und 189, 1878 zwischen 224 und 187 und 1879 zwischen 218
und 191 geschwankt hatte, nahmen diese Schwankungen sowohl der Zahl als
auch der Ausdehnung nach ab. Sie betrugen 1882: 209 bis 196, 1833:
202 bis 19S und sind erst durch die afghanische Krisis des vorigen Jahres
wieder in lebhaftere Bewegung versetzt worden. 1885 schwankte der Kurs
zwischen 216 und 192, (100 'Silberrubel ^ 320 Mark.)


6.

Die größere Stetigkeit des Kurses hat eine wohlthuende Einwirkung auf
die Handelsverhältnisse Rußlands gehabt. Auch die Negierung hat erkannt,
daß der niedrige Stand an sich kein Unglück für das Land ist und alle Ver¬
suche, den Kurs künstlich zu heben, verfehlt sein würden. Die kostspieligen Er¬
fahrungen der sechziger Jahre mögen auf diese Erkenntnis nicht ohne Einfluß
geblieben sein. Bemerkenswert ist eine Stelle in dem Finanzberichte des Mi¬
nisters über das Budget 1883, worin es wörtlich heißt: „Die Schwankungen
des Wechselkurses und der Abgang von klingender Münze in dem Umlaufe im
Innern bilden einen starken Fehler in der wirtschaftlichen Lage unsers Landes,
aber die Besserung des Rudels und die Herstellung seines Wertes können nur
stufenweise erreicht werden durch eine Reihe von Maßnahmen, welche zur Be¬
festigung des Staatskredits im Innern wie im Auslande beitragen, durch Über-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/76>, abgerufen am 02.05.2024.