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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Die moderne Arbeiterbewegung.

aus der Wolle des Landschafes, etwas Leinwand und Gewebe aus Seide und
Halbseide liefert, sowie die Häute der Rinder und Schafe für Lederarbeiter zu¬
bereitet. Die Aussichten in die Zukunft sind nach dem Gesagten nicht glänzend,
aber auch nicht ungünstig. Das heißt, soweit die Natur dabei in Frage kommt.
Alles wird auf die Menschen ankommen, und diese werden nur durch eine Re¬
gierung angeregt und gefördert werden können, die weniger an Parteiphrasen
und Verfassungszank als an die Lehren der Volkswirtschaft denkt, und die Gro߬
mannssucht begräbt, um sich der innern Wohlfahrt zu widmen.




Die moderne Arbeiterbewegung.
(Schluß.)

in vergleichender Blick auf die fortschrittliche und die sozial¬
demokratische Liebeswerbung um die Gunst des Arbeiterstandes
läßt zwar beiderseits den gleichen politischen Pferdefuß er¬
kennen, aber der letztern muß mau das Zeugnis ausstellen, daß
sie ihrer Nebenbuhlerin an zielbewußter Agitation doch bedeutend
überlegen ist. Während die "Gewerkvereine" trotz siebzehnjährigen Bestehens
und völlig freien Spielraums über ihr ursprüngliches, bescheidnes Niveau kaum
hinausgekommen sind, hat die "gewerkschaftliche" Bewegung in wenigen Jahren
und trotz der Fesseln der Vereinsgesetze und des Sozialistengesetzes den Stand,
den sie vor diesem Gesetze hatte, längst überschritten. So gab es noch Ende 1877 nur
29 gewerkschaftliche Hauptverbande mit etwa 1300 Zweigvereinen und 50 000
Mitgliedern; jetzt dagegen bestehen schon an die vierzig solcher Verbände mit einer
nahezu verdoppelten Anzahl von Zweigvereinen und Mitgliedern.

Fast alle diese Verbände sind, wie ihr gesamtes Verhalten zeigt, mit po¬
litisch-sozialistischen Tendenzen und Elementen mehr oder minder stark durchsetzt
und lassen schon in Statut wie Organisation den gemeinsamen Ursprung kaum
verkennen.

In der Regel steht an der Spitze des "Verbandes der ?e. und verwandten
Berufsgenossen Deutschlands" ein leitender "Vorstand," welcher von einem
anderswo seßhaften "Ausschuß" kontrolirt wird, während die^ beschließende
Gewalt von den meist jährlich standfindenden "Dclegirtentagen" ausgeübt, und
als Publikationsorgan und zugleich geistiges Bindemittel ein sogenanntes Fach¬
blatt benutzt wird. Als Hauptverbandszweck gilt die "Förderung der geistigen und
materiellen Interessen der Berufsgenossen," und diese wird in ersterer Beziehung


Die moderne Arbeiterbewegung.

aus der Wolle des Landschafes, etwas Leinwand und Gewebe aus Seide und
Halbseide liefert, sowie die Häute der Rinder und Schafe für Lederarbeiter zu¬
bereitet. Die Aussichten in die Zukunft sind nach dem Gesagten nicht glänzend,
aber auch nicht ungünstig. Das heißt, soweit die Natur dabei in Frage kommt.
Alles wird auf die Menschen ankommen, und diese werden nur durch eine Re¬
gierung angeregt und gefördert werden können, die weniger an Parteiphrasen
und Verfassungszank als an die Lehren der Volkswirtschaft denkt, und die Gro߬
mannssucht begräbt, um sich der innern Wohlfahrt zu widmen.




Die moderne Arbeiterbewegung.
(Schluß.)

in vergleichender Blick auf die fortschrittliche und die sozial¬
demokratische Liebeswerbung um die Gunst des Arbeiterstandes
läßt zwar beiderseits den gleichen politischen Pferdefuß er¬
kennen, aber der letztern muß mau das Zeugnis ausstellen, daß
sie ihrer Nebenbuhlerin an zielbewußter Agitation doch bedeutend
überlegen ist. Während die „Gewerkvereine" trotz siebzehnjährigen Bestehens
und völlig freien Spielraums über ihr ursprüngliches, bescheidnes Niveau kaum
hinausgekommen sind, hat die „gewerkschaftliche" Bewegung in wenigen Jahren
und trotz der Fesseln der Vereinsgesetze und des Sozialistengesetzes den Stand,
den sie vor diesem Gesetze hatte, längst überschritten. So gab es noch Ende 1877 nur
29 gewerkschaftliche Hauptverbande mit etwa 1300 Zweigvereinen und 50 000
Mitgliedern; jetzt dagegen bestehen schon an die vierzig solcher Verbände mit einer
nahezu verdoppelten Anzahl von Zweigvereinen und Mitgliedern.

Fast alle diese Verbände sind, wie ihr gesamtes Verhalten zeigt, mit po¬
litisch-sozialistischen Tendenzen und Elementen mehr oder minder stark durchsetzt
und lassen schon in Statut wie Organisation den gemeinsamen Ursprung kaum
verkennen.

In der Regel steht an der Spitze des „Verbandes der ?e. und verwandten
Berufsgenossen Deutschlands" ein leitender „Vorstand," welcher von einem
anderswo seßhaften „Ausschuß" kontrolirt wird, während die^ beschließende
Gewalt von den meist jährlich standfindenden „Dclegirtentagen" ausgeübt, und
als Publikationsorgan und zugleich geistiges Bindemittel ein sogenanntes Fach¬
blatt benutzt wird. Als Hauptverbandszweck gilt die „Förderung der geistigen und
materiellen Interessen der Berufsgenossen," und diese wird in ersterer Beziehung


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[0111] Die moderne Arbeiterbewegung. aus der Wolle des Landschafes, etwas Leinwand und Gewebe aus Seide und Halbseide liefert, sowie die Häute der Rinder und Schafe für Lederarbeiter zu¬ bereitet. Die Aussichten in die Zukunft sind nach dem Gesagten nicht glänzend, aber auch nicht ungünstig. Das heißt, soweit die Natur dabei in Frage kommt. Alles wird auf die Menschen ankommen, und diese werden nur durch eine Re¬ gierung angeregt und gefördert werden können, die weniger an Parteiphrasen und Verfassungszank als an die Lehren der Volkswirtschaft denkt, und die Gro߬ mannssucht begräbt, um sich der innern Wohlfahrt zu widmen. Die moderne Arbeiterbewegung. (Schluß.) in vergleichender Blick auf die fortschrittliche und die sozial¬ demokratische Liebeswerbung um die Gunst des Arbeiterstandes läßt zwar beiderseits den gleichen politischen Pferdefuß er¬ kennen, aber der letztern muß mau das Zeugnis ausstellen, daß sie ihrer Nebenbuhlerin an zielbewußter Agitation doch bedeutend überlegen ist. Während die „Gewerkvereine" trotz siebzehnjährigen Bestehens und völlig freien Spielraums über ihr ursprüngliches, bescheidnes Niveau kaum hinausgekommen sind, hat die „gewerkschaftliche" Bewegung in wenigen Jahren und trotz der Fesseln der Vereinsgesetze und des Sozialistengesetzes den Stand, den sie vor diesem Gesetze hatte, längst überschritten. So gab es noch Ende 1877 nur 29 gewerkschaftliche Hauptverbande mit etwa 1300 Zweigvereinen und 50 000 Mitgliedern; jetzt dagegen bestehen schon an die vierzig solcher Verbände mit einer nahezu verdoppelten Anzahl von Zweigvereinen und Mitgliedern. Fast alle diese Verbände sind, wie ihr gesamtes Verhalten zeigt, mit po¬ litisch-sozialistischen Tendenzen und Elementen mehr oder minder stark durchsetzt und lassen schon in Statut wie Organisation den gemeinsamen Ursprung kaum verkennen. In der Regel steht an der Spitze des „Verbandes der ?e. und verwandten Berufsgenossen Deutschlands" ein leitender „Vorstand," welcher von einem anderswo seßhaften „Ausschuß" kontrolirt wird, während die^ beschließende Gewalt von den meist jährlich standfindenden „Dclegirtentagen" ausgeübt, und als Publikationsorgan und zugleich geistiges Bindemittel ein sogenanntes Fach¬ blatt benutzt wird. Als Hauptverbandszweck gilt die „Förderung der geistigen und materiellen Interessen der Berufsgenossen," und diese wird in ersterer Beziehung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/111>, abgerufen am 29.04.2024.