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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Germanische Altertümer aus den Banerdörfern Nordungarns,

Beiläufig bemerke ich, daß der bekannte Schühplattltanz, der heute, soviel
mir bewußt ist, im alten Deutschland auf das bairische Gebirge und einige Ge¬
genden Tirols beschränkt ist, früher auch in den Handörfern heimisch war; übrigens
scheint auch der wilde "Hallingtanz" des norwegischen Gebirges ein Verwandter
zu sein.

Den letzten Morgen, der mir blieb, verwendete ich dazu, um unter den
Argusaugen des "Richters," eines Bauern, Einsicht in das Krickcrhäuer "Stadt¬
buch" zu nehmen, ein beschmutztes, ziemlich dickes Heft, welches von Anfang
des siebzehnten Jahrhunderts an Eintragungen über Nechtsveränderungen an
den Grundstücken enthält. So wichtig dieselben für die juristische Auffassung
der Hansgenosfenschaften sind, kann ich sie hier doch nicht berühren, wie überhaupt
die Erörterung der streng wissenschaftlichen Seite einem andern Orte überlassen
bleiben muß. Am folgenden Tage früh verabschiedete ich mich von nieinen
Wirten, die mir ein mäßiges Kostgeld berechnet hatten, und machte mich auf
den Weg, geleitet zur Sicherheit von dem Waldhcger Drobisch, einem baum¬
langer, aber etwas verhungert aussehenden Manne, was bei einem Gehalt
von 45 Gulden und 23 Metzen Korn, das für eine ganze Familie ausreichen
soll, nicht zu verwundern war. Auf dem Rücken der Waldberge angelangt,
welche die Krickerhäuer Feldmark, dem Grafen Palffh unterständig, von dem
Kremnitzer Gebiete trennt, entließ ich den Heger mit dem landesüblichen Gruße:
"In Gottes Namen" oder "Bleibt in Gottes Namen" und traf über Kuueschhäu
wieder in Kremnitz ein, um von dort in den nächsten Tagen nach Pest zur
Ausstellung abzureisen.




Z. Die Hausgonossenschaften in den Handörfern und ihr Ende.

Im Vorstehenden gebe ich eine Schilderung der Hausgenosscnschaftcu, wie
sie zur Zeit ihres ungestörten Bestandes, etwa vor dreißig bis vierzig Jahren, so¬
weit ich erkundet habe, in allen Haudörferu in ziemlich übereinstimmender Weise
gehandhabt wurden. Die erste Auflösung einer Hausgenossenschaft fand im Jahre
1862 statt; heute wird es vielleicht nicht möglich sein, in allen Dörfern noch
einen einzigen echten Fall aufzutreiben, kaum daß es öfter vorkommt, daß
mehrere verheiratete Söhne sich dazu verstehen, unter ihrem Vater bei einander
zu bleiben. Indeß fast überall stehen uoch als Urkunden, welche immerhin ans
dreihundert Jahre zurückreichen werden, die mächtigen, schon mehrfach be¬
schriebenen Geschlechtshänscr, alle, abgesehen von einigen geringen Abweichungen,
die sich aus Verschiedenheit der Herkunft und durch slowakische Einwirkung er¬
klären mögen, in dem Hauptpunkte übereinstimmend, daß sie von vornherein
nicht auf eine Familie, sondern eine größere Verwandtschaft berechnet sind. Im
Gegensatze zu slowakischer Gewohnheit sind sie durchgehends. auch z. B. in
Stuben, das ich nur im Vorbeifahren gesehen, zweistöckig angelegt; das höhere
Erdgeschoß enthält vor allem die große Stube, ein Vorhaus, Küche, einige


Grenzboten IV. 1836. 15
Germanische Altertümer aus den Banerdörfern Nordungarns,

Beiläufig bemerke ich, daß der bekannte Schühplattltanz, der heute, soviel
mir bewußt ist, im alten Deutschland auf das bairische Gebirge und einige Ge¬
genden Tirols beschränkt ist, früher auch in den Handörfern heimisch war; übrigens
scheint auch der wilde „Hallingtanz" des norwegischen Gebirges ein Verwandter
zu sein.

Den letzten Morgen, der mir blieb, verwendete ich dazu, um unter den
Argusaugen des „Richters," eines Bauern, Einsicht in das Krickcrhäuer „Stadt¬
buch" zu nehmen, ein beschmutztes, ziemlich dickes Heft, welches von Anfang
des siebzehnten Jahrhunderts an Eintragungen über Nechtsveränderungen an
den Grundstücken enthält. So wichtig dieselben für die juristische Auffassung
der Hansgenosfenschaften sind, kann ich sie hier doch nicht berühren, wie überhaupt
die Erörterung der streng wissenschaftlichen Seite einem andern Orte überlassen
bleiben muß. Am folgenden Tage früh verabschiedete ich mich von nieinen
Wirten, die mir ein mäßiges Kostgeld berechnet hatten, und machte mich auf
den Weg, geleitet zur Sicherheit von dem Waldhcger Drobisch, einem baum¬
langer, aber etwas verhungert aussehenden Manne, was bei einem Gehalt
von 45 Gulden und 23 Metzen Korn, das für eine ganze Familie ausreichen
soll, nicht zu verwundern war. Auf dem Rücken der Waldberge angelangt,
welche die Krickerhäuer Feldmark, dem Grafen Palffh unterständig, von dem
Kremnitzer Gebiete trennt, entließ ich den Heger mit dem landesüblichen Gruße:
„In Gottes Namen" oder „Bleibt in Gottes Namen" und traf über Kuueschhäu
wieder in Kremnitz ein, um von dort in den nächsten Tagen nach Pest zur
Ausstellung abzureisen.




Z. Die Hausgonossenschaften in den Handörfern und ihr Ende.

Im Vorstehenden gebe ich eine Schilderung der Hausgenosscnschaftcu, wie
sie zur Zeit ihres ungestörten Bestandes, etwa vor dreißig bis vierzig Jahren, so¬
weit ich erkundet habe, in allen Haudörferu in ziemlich übereinstimmender Weise
gehandhabt wurden. Die erste Auflösung einer Hausgenossenschaft fand im Jahre
1862 statt; heute wird es vielleicht nicht möglich sein, in allen Dörfern noch
einen einzigen echten Fall aufzutreiben, kaum daß es öfter vorkommt, daß
mehrere verheiratete Söhne sich dazu verstehen, unter ihrem Vater bei einander
zu bleiben. Indeß fast überall stehen uoch als Urkunden, welche immerhin ans
dreihundert Jahre zurückreichen werden, die mächtigen, schon mehrfach be¬
schriebenen Geschlechtshänscr, alle, abgesehen von einigen geringen Abweichungen,
die sich aus Verschiedenheit der Herkunft und durch slowakische Einwirkung er¬
klären mögen, in dem Hauptpunkte übereinstimmend, daß sie von vornherein
nicht auf eine Familie, sondern eine größere Verwandtschaft berechnet sind. Im
Gegensatze zu slowakischer Gewohnheit sind sie durchgehends. auch z. B. in
Stuben, das ich nur im Vorbeifahren gesehen, zweistöckig angelegt; das höhere
Erdgeschoß enthält vor allem die große Stube, ein Vorhaus, Küche, einige


Grenzboten IV. 1836. 15
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/121>, abgerufen am 29.04.2024.