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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Dichterfreundinnen.
von Franz Pfalz.
1^. Charlotte von Stein.
(Schluß.)

o stünden wir denn auch vor der neuerdings so gewaltsam in den
Vordergrund gedrängten Frage: War das Verhältnis Goethes zu
der interessanten Fran ein unsittliches oder nicht? Es wäre besser
gewesen, die Frage wäre nie aufgeworfelt worden, wenigstens nicht
in dieser Fassung, denn ihre Beantwortung hat weder für die Litera¬
turgeschichte noch für die Kulturgeschichte irgendeine" positiven Wert, und vielleicht
gerade deshalb ist von den Auslegern der Briefe arg gesündigt worden. Es mag
sein, daß Düutzcr in seiner Verherrlichung ihrer Seclcnfrenndschaft die Frau von
Stein mehr als billig zum Engel macht, aber die schroffe Art, mit welcher Lewes,
Adolf Stahr und mehr uoch Robert Keil die Freundin Goethes zur Kokette,
Egoistin, eifersüchtigen Alten, gewissenlosen Mutter und Gattin, zur Ehebrecherin
aus Berechnung stempeln, ist widerwärtig, und wenn Edmund Hoefer entschul¬
digend dazwischen tritt, indem er eine wilde Ehe ohne Scheidung aus dem Be¬
dürfnis einer gegenseitigen tiefen Liebe herzuleiten versucht, so ist damit wenig ge¬
wonnen, die ultrcnnoutaueu Goethefeindc werden darum nicht weniger triumphiren.
Wem, die Frage, ob das Verhältnis unsittlich gewesen sei oder nicht, dahin
zielt, ob eine sinnliche Ausartung derselben stattgefunden habe, so ist sie müßig,
denn die Briefe geben darüber keinen Aufschluß. Mau kauu aus ihnen Herans¬
lesen, was man will, die reinste platonische Liebe und den gröbsten sinnlichen
Verkehr, aber einen sichern Beweis für das eine giebt es so wenig wie für
das andre. Der Merkwürdigkeit wegen mögen einige der geheimnisvollen Stellen
hier angeführt werden.

Schon zehn Wochen etwa nach seiner Ankunft in Weimar schreibt er der Frau
Oberftallmeisteriu: "Liebe Frau, leide, daß ich dich so lieb habe. Wenn ich jemand
lieber haben kann, will ich dirs sagen. Will dich ungeplagt lassen. Adieu Gold."
Einen Monat später: "Wie ruhig und leicht ich geschlafen habe, wie glücklich ich
aufgestanden bin und die schöne Sonne gegrüßt habe, das erstemal seit vierzehn
Tagen mit freiem Herzen, und wie voll Danks gegen dich Engel des Himmels,
dem ich das schuldig bin! Ich muß dirs sagen, du einzige unter den Weibern,
die mir eine Liebe ins Herz gab, die mich glücklich macht. Ich liege zu deinen
Füßen und küsse deine Hände." "O hätte meine Schwester einen Bruder, wie ich
an dir eine Schwester habe." "Du einziges Weibliches, was ich noch in der Gegend


Dichterfreundinnen.
von Franz Pfalz.
1^. Charlotte von Stein.
(Schluß.)

o stünden wir denn auch vor der neuerdings so gewaltsam in den
Vordergrund gedrängten Frage: War das Verhältnis Goethes zu
der interessanten Fran ein unsittliches oder nicht? Es wäre besser
gewesen, die Frage wäre nie aufgeworfelt worden, wenigstens nicht
in dieser Fassung, denn ihre Beantwortung hat weder für die Litera¬
turgeschichte noch für die Kulturgeschichte irgendeine» positiven Wert, und vielleicht
gerade deshalb ist von den Auslegern der Briefe arg gesündigt worden. Es mag
sein, daß Düutzcr in seiner Verherrlichung ihrer Seclcnfrenndschaft die Frau von
Stein mehr als billig zum Engel macht, aber die schroffe Art, mit welcher Lewes,
Adolf Stahr und mehr uoch Robert Keil die Freundin Goethes zur Kokette,
Egoistin, eifersüchtigen Alten, gewissenlosen Mutter und Gattin, zur Ehebrecherin
aus Berechnung stempeln, ist widerwärtig, und wenn Edmund Hoefer entschul¬
digend dazwischen tritt, indem er eine wilde Ehe ohne Scheidung aus dem Be¬
dürfnis einer gegenseitigen tiefen Liebe herzuleiten versucht, so ist damit wenig ge¬
wonnen, die ultrcnnoutaueu Goethefeindc werden darum nicht weniger triumphiren.
Wem, die Frage, ob das Verhältnis unsittlich gewesen sei oder nicht, dahin
zielt, ob eine sinnliche Ausartung derselben stattgefunden habe, so ist sie müßig,
denn die Briefe geben darüber keinen Aufschluß. Mau kauu aus ihnen Herans¬
lesen, was man will, die reinste platonische Liebe und den gröbsten sinnlichen
Verkehr, aber einen sichern Beweis für das eine giebt es so wenig wie für
das andre. Der Merkwürdigkeit wegen mögen einige der geheimnisvollen Stellen
hier angeführt werden.

Schon zehn Wochen etwa nach seiner Ankunft in Weimar schreibt er der Frau
Oberftallmeisteriu: „Liebe Frau, leide, daß ich dich so lieb habe. Wenn ich jemand
lieber haben kann, will ich dirs sagen. Will dich ungeplagt lassen. Adieu Gold."
Einen Monat später: „Wie ruhig und leicht ich geschlafen habe, wie glücklich ich
aufgestanden bin und die schöne Sonne gegrüßt habe, das erstemal seit vierzehn
Tagen mit freiem Herzen, und wie voll Danks gegen dich Engel des Himmels,
dem ich das schuldig bin! Ich muß dirs sagen, du einzige unter den Weibern,
die mir eine Liebe ins Herz gab, die mich glücklich macht. Ich liege zu deinen
Füßen und küsse deine Hände." „O hätte meine Schwester einen Bruder, wie ich
an dir eine Schwester habe." „Du einziges Weibliches, was ich noch in der Gegend


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[0124] Dichterfreundinnen. von Franz Pfalz. 1^. Charlotte von Stein. (Schluß.) o stünden wir denn auch vor der neuerdings so gewaltsam in den Vordergrund gedrängten Frage: War das Verhältnis Goethes zu der interessanten Fran ein unsittliches oder nicht? Es wäre besser gewesen, die Frage wäre nie aufgeworfelt worden, wenigstens nicht in dieser Fassung, denn ihre Beantwortung hat weder für die Litera¬ turgeschichte noch für die Kulturgeschichte irgendeine» positiven Wert, und vielleicht gerade deshalb ist von den Auslegern der Briefe arg gesündigt worden. Es mag sein, daß Düutzcr in seiner Verherrlichung ihrer Seclcnfrenndschaft die Frau von Stein mehr als billig zum Engel macht, aber die schroffe Art, mit welcher Lewes, Adolf Stahr und mehr uoch Robert Keil die Freundin Goethes zur Kokette, Egoistin, eifersüchtigen Alten, gewissenlosen Mutter und Gattin, zur Ehebrecherin aus Berechnung stempeln, ist widerwärtig, und wenn Edmund Hoefer entschul¬ digend dazwischen tritt, indem er eine wilde Ehe ohne Scheidung aus dem Be¬ dürfnis einer gegenseitigen tiefen Liebe herzuleiten versucht, so ist damit wenig ge¬ wonnen, die ultrcnnoutaueu Goethefeindc werden darum nicht weniger triumphiren. Wem, die Frage, ob das Verhältnis unsittlich gewesen sei oder nicht, dahin zielt, ob eine sinnliche Ausartung derselben stattgefunden habe, so ist sie müßig, denn die Briefe geben darüber keinen Aufschluß. Mau kauu aus ihnen Herans¬ lesen, was man will, die reinste platonische Liebe und den gröbsten sinnlichen Verkehr, aber einen sichern Beweis für das eine giebt es so wenig wie für das andre. Der Merkwürdigkeit wegen mögen einige der geheimnisvollen Stellen hier angeführt werden. Schon zehn Wochen etwa nach seiner Ankunft in Weimar schreibt er der Frau Oberftallmeisteriu: „Liebe Frau, leide, daß ich dich so lieb habe. Wenn ich jemand lieber haben kann, will ich dirs sagen. Will dich ungeplagt lassen. Adieu Gold." Einen Monat später: „Wie ruhig und leicht ich geschlafen habe, wie glücklich ich aufgestanden bin und die schöne Sonne gegrüßt habe, das erstemal seit vierzehn Tagen mit freiem Herzen, und wie voll Danks gegen dich Engel des Himmels, dem ich das schuldig bin! Ich muß dirs sagen, du einzige unter den Weibern, die mir eine Liebe ins Herz gab, die mich glücklich macht. Ich liege zu deinen Füßen und küsse deine Hände." „O hätte meine Schwester einen Bruder, wie ich an dir eine Schwester habe." „Du einziges Weibliches, was ich noch in der Gegend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/124>, abgerufen am 29.04.2024.