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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Die Theater der Reichshauxtstadt.

wiedererwecken kann. Fast möchte es scheinen, als ob man schon jetzt am voll¬
ständigen Gelingen des Wagnisses zweifeln dürfte.




Die Theater der Reichshauptstadt.
von Rarl Borinski.

b ans Verlornen Ähren -- ob aus verwester Streu -- nicht
etwa noch mit Ehren -- ein Strauß zu binden sei? -- Der
Liebhaber des Theaters fragt es noch immer schüchtern erglühend,
sobald in dem eintönigen Wechsel der Berliner Bühnenverhältnisse
einmal wieder ein vielversprechendes Farbenspiel sich seiner Dame
zur Zier anzubieten scheint. Leider, leider! Es blieb immer ein bloßes Farben¬
spiel, und der Verlornen Ähren, der verwehten Streu aus der schönen, der
köstlichen Zeit des Berliner Theaters werden immer weniger.

Das neue deutsche Reich hat in der deutschen Dichtung kein Seitenstück
gefunden, wie man es gehofft hatte. Das ist eine bekannte, zu oft beklagte
Thatsache. Aber daß es ihr in ihrem edelsten, dem Volke wichtigsten Zweige,
dem Schauspiele, geradezu verhängnisvoll geworden ist, das empfindet man wohl,
aber man scheut es sich in dem Maße einzugestehen. Man hoffte, und man
hofft noch immer. Daß dies Gefühl vorhanden ist, und stark und in breiten
Massen, beweist der Jubel, die alle Kritik beiseite Setzende Begeisterung, mit der
man den ersten Dramatiker des neuen Reiches, Ernst von Wildenbruch, empfing.
Er war der erste, dem es nach langem, mühsamem Pochen und Bohren -- und
der Schreiber dieser Zeilen gehört zu denen, die das noch mit ansehen konnten --,
dem es nach harter Arbeit gelang, die eherne Mauer zu durchbrechen, welche
das Theater der Gründerzeit zwischen sich und der Muse aufzurichten begann.
Er ist noch immer bloß zeitlich der erste und er wird dessen stets eingedenk
bleiben müssen, er wird -- und das sei jetzt an einem anscheinend einschnei¬
denden Wendepunkte seines Schaffens mit Nachdruck gesagt -- er wird alle die
ihn auszeichnende Energie zu der schwersten Pflicht, der Selbstzucht, aufwenden
müssen, um sich selbst treu zu bleiben, um gefährlichen Abwegen, die aus der
Kunst herausführe", zu entgehen, um sich auch des Ranges eines ersten Drama¬
tikers des neuen Reiches würdig zu machen. Und doch bedeutet Ernst von
Wildenbruch erst einen bewußten Gegenschlag gegen die nicht bloß wegen ihrer
Einseitigkeit so verderbliche Richtung des deutschen Theaters der siebziger Jahre;
es wäre lehrreich, ihn darauf hin zu analhsiren, und wir behalten uns dies
für passendere Gelegenheit vor. Auf dem durch ihn wiedergcschaffenen Bau¬
lande ist jedoch noch kein naiver Wuchs frisch und selbsteigen hervorgesproßt;
noch ist er hüben der einzige, während drüben jenseits der Gemarkung, über
die das Unkraut immer wieder ganz hinüberzuwuchern droht, die neuen Namen


Die Theater der Reichshauxtstadt.

wiedererwecken kann. Fast möchte es scheinen, als ob man schon jetzt am voll¬
ständigen Gelingen des Wagnisses zweifeln dürfte.




Die Theater der Reichshauptstadt.
von Rarl Borinski.

b ans Verlornen Ähren — ob aus verwester Streu — nicht
etwa noch mit Ehren — ein Strauß zu binden sei? — Der
Liebhaber des Theaters fragt es noch immer schüchtern erglühend,
sobald in dem eintönigen Wechsel der Berliner Bühnenverhältnisse
einmal wieder ein vielversprechendes Farbenspiel sich seiner Dame
zur Zier anzubieten scheint. Leider, leider! Es blieb immer ein bloßes Farben¬
spiel, und der Verlornen Ähren, der verwehten Streu aus der schönen, der
köstlichen Zeit des Berliner Theaters werden immer weniger.

Das neue deutsche Reich hat in der deutschen Dichtung kein Seitenstück
gefunden, wie man es gehofft hatte. Das ist eine bekannte, zu oft beklagte
Thatsache. Aber daß es ihr in ihrem edelsten, dem Volke wichtigsten Zweige,
dem Schauspiele, geradezu verhängnisvoll geworden ist, das empfindet man wohl,
aber man scheut es sich in dem Maße einzugestehen. Man hoffte, und man
hofft noch immer. Daß dies Gefühl vorhanden ist, und stark und in breiten
Massen, beweist der Jubel, die alle Kritik beiseite Setzende Begeisterung, mit der
man den ersten Dramatiker des neuen Reiches, Ernst von Wildenbruch, empfing.
Er war der erste, dem es nach langem, mühsamem Pochen und Bohren — und
der Schreiber dieser Zeilen gehört zu denen, die das noch mit ansehen konnten —,
dem es nach harter Arbeit gelang, die eherne Mauer zu durchbrechen, welche
das Theater der Gründerzeit zwischen sich und der Muse aufzurichten begann.
Er ist noch immer bloß zeitlich der erste und er wird dessen stets eingedenk
bleiben müssen, er wird — und das sei jetzt an einem anscheinend einschnei¬
denden Wendepunkte seines Schaffens mit Nachdruck gesagt — er wird alle die
ihn auszeichnende Energie zu der schwersten Pflicht, der Selbstzucht, aufwenden
müssen, um sich selbst treu zu bleiben, um gefährlichen Abwegen, die aus der
Kunst herausführe», zu entgehen, um sich auch des Ranges eines ersten Drama¬
tikers des neuen Reiches würdig zu machen. Und doch bedeutet Ernst von
Wildenbruch erst einen bewußten Gegenschlag gegen die nicht bloß wegen ihrer
Einseitigkeit so verderbliche Richtung des deutschen Theaters der siebziger Jahre;
es wäre lehrreich, ihn darauf hin zu analhsiren, und wir behalten uns dies
für passendere Gelegenheit vor. Auf dem durch ihn wiedergcschaffenen Bau¬
lande ist jedoch noch kein naiver Wuchs frisch und selbsteigen hervorgesproßt;
noch ist er hüben der einzige, während drüben jenseits der Gemarkung, über
die das Unkraut immer wieder ganz hinüberzuwuchern droht, die neuen Namen


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[0138] Die Theater der Reichshauxtstadt. wiedererwecken kann. Fast möchte es scheinen, als ob man schon jetzt am voll¬ ständigen Gelingen des Wagnisses zweifeln dürfte. Die Theater der Reichshauptstadt. von Rarl Borinski. b ans Verlornen Ähren — ob aus verwester Streu — nicht etwa noch mit Ehren — ein Strauß zu binden sei? — Der Liebhaber des Theaters fragt es noch immer schüchtern erglühend, sobald in dem eintönigen Wechsel der Berliner Bühnenverhältnisse einmal wieder ein vielversprechendes Farbenspiel sich seiner Dame zur Zier anzubieten scheint. Leider, leider! Es blieb immer ein bloßes Farben¬ spiel, und der Verlornen Ähren, der verwehten Streu aus der schönen, der köstlichen Zeit des Berliner Theaters werden immer weniger. Das neue deutsche Reich hat in der deutschen Dichtung kein Seitenstück gefunden, wie man es gehofft hatte. Das ist eine bekannte, zu oft beklagte Thatsache. Aber daß es ihr in ihrem edelsten, dem Volke wichtigsten Zweige, dem Schauspiele, geradezu verhängnisvoll geworden ist, das empfindet man wohl, aber man scheut es sich in dem Maße einzugestehen. Man hoffte, und man hofft noch immer. Daß dies Gefühl vorhanden ist, und stark und in breiten Massen, beweist der Jubel, die alle Kritik beiseite Setzende Begeisterung, mit der man den ersten Dramatiker des neuen Reiches, Ernst von Wildenbruch, empfing. Er war der erste, dem es nach langem, mühsamem Pochen und Bohren — und der Schreiber dieser Zeilen gehört zu denen, die das noch mit ansehen konnten —, dem es nach harter Arbeit gelang, die eherne Mauer zu durchbrechen, welche das Theater der Gründerzeit zwischen sich und der Muse aufzurichten begann. Er ist noch immer bloß zeitlich der erste und er wird dessen stets eingedenk bleiben müssen, er wird — und das sei jetzt an einem anscheinend einschnei¬ denden Wendepunkte seines Schaffens mit Nachdruck gesagt — er wird alle die ihn auszeichnende Energie zu der schwersten Pflicht, der Selbstzucht, aufwenden müssen, um sich selbst treu zu bleiben, um gefährlichen Abwegen, die aus der Kunst herausführe», zu entgehen, um sich auch des Ranges eines ersten Drama¬ tikers des neuen Reiches würdig zu machen. Und doch bedeutet Ernst von Wildenbruch erst einen bewußten Gegenschlag gegen die nicht bloß wegen ihrer Einseitigkeit so verderbliche Richtung des deutschen Theaters der siebziger Jahre; es wäre lehrreich, ihn darauf hin zu analhsiren, und wir behalten uns dies für passendere Gelegenheit vor. Auf dem durch ihn wiedergcschaffenen Bau¬ lande ist jedoch noch kein naiver Wuchs frisch und selbsteigen hervorgesproßt; noch ist er hüben der einzige, während drüben jenseits der Gemarkung, über die das Unkraut immer wieder ganz hinüberzuwuchern droht, die neuen Namen

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/138>, abgerufen am 29.04.2024.