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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Aus der Lhronik derer von Riffelshausen.

Als der Hofmarschall an der Leiche seiner Frau stand, erfaßte ihn ein
Gefühl unsäglicher Bitterkeit. Da lag sie nun so still, sein Weib, seine erste
und einzige Liebe, dahin, dahin! Und er stand vor ihr von nagender Eifersucht
gepeinigt, und konnte nicht einmal weinen, daß der Himmel sie ihm genommen.

Sie wünschte zu sehr, dich zu sehen, hatte unter Thränen die Schwester
zu ihm gesagt, er aber bat sie, zu schweigen. Sein ertränkter Geist scheute vor
jeder Berührung zurück; seine Gedanken mündeten immer nur in dem schreck¬
lichen Bewußtsein: Es ist alles vorbei! Für seine Kinder hatte er keinen Blick,
so lange er in den bleichen, lieblichen Zügen der Geschiedenen eine Antwort
suchen mußte auf die quälenden Fragen.

Dann stand er wie ein Verlorner an dem offenen Grabe. Die Kinder
hatten sich scheu von ihm zu dem Lehrer gewendet, der ihnen mit nassen Augen
sagte: Eure Mutter ist bei Gott. Da stand Andermütz und der Schullehrer,
die Schulkinder hinter ihnen. Da stand das ganze Dorf, Alt und Jung, auf
dem schattigen, alten Kirchhofe zusammengedrängt, und doch wollte der Choral
nicht voll und kräftig klingen, den der Kantor mit versagender Stimme begann.

Und nun ging der Witwer mit verödeten Herzen nach seinem Hause Zurück.
Trakelberg folgte ihm, an jeder Hand eines der Mädchen.

Das Leben ist ein Jammerthal, sagte er innig, wir pilgern hindurch, um
uns dereinst vor Gottes Throne in Sündlosigkeit vereint zu finden.

Er bemerkte nicht, daß Valerian auf dem Kirchhofe zurückgeblieben war,
aber Julie bemerkte es. Sie empfand, daß Valer der Liebe seiner Mutter be¬
sonders bedürftig gewesen sei, lind immer lebhafter trat es ihr vor die Augen,
wie oft die Mutter gerade ihn getröstet, ermahnt und geliebkost hatte. Und
dann auch wir andern, dachte sie weiter, der liebe Gott sollte uns nur schnell
nachsterben lassen.




Zweites Buch.
Dreißigstes Aapitel.

Mathilde ging die Dorfstraße entlang, und neben ihr Goldner, der Pfarrer
von Siebenhofen. Die braunen Augen der jungen Dame blickte" unter dem
breitkrempigen Strohhut hervor mit lebhaftem Interesse zu dem ernsten Seelen¬
hirten auf.

Der Frau ist nicht zu helfen, Fräulein Mathilde! sagte der Pfarrer. Ich
weiß in der That nicht, womit ich ihr beikommen soll. Weder Ermahnung
noch Bitte will bei ihr anschlagen.

Das ist sehr traurig, erwiederte das Fräulein nachdenklich; man kann doch
nicht die Fran ihrem Elende überlassen!


Aus der Lhronik derer von Riffelshausen.

Als der Hofmarschall an der Leiche seiner Frau stand, erfaßte ihn ein
Gefühl unsäglicher Bitterkeit. Da lag sie nun so still, sein Weib, seine erste
und einzige Liebe, dahin, dahin! Und er stand vor ihr von nagender Eifersucht
gepeinigt, und konnte nicht einmal weinen, daß der Himmel sie ihm genommen.

Sie wünschte zu sehr, dich zu sehen, hatte unter Thränen die Schwester
zu ihm gesagt, er aber bat sie, zu schweigen. Sein ertränkter Geist scheute vor
jeder Berührung zurück; seine Gedanken mündeten immer nur in dem schreck¬
lichen Bewußtsein: Es ist alles vorbei! Für seine Kinder hatte er keinen Blick,
so lange er in den bleichen, lieblichen Zügen der Geschiedenen eine Antwort
suchen mußte auf die quälenden Fragen.

Dann stand er wie ein Verlorner an dem offenen Grabe. Die Kinder
hatten sich scheu von ihm zu dem Lehrer gewendet, der ihnen mit nassen Augen
sagte: Eure Mutter ist bei Gott. Da stand Andermütz und der Schullehrer,
die Schulkinder hinter ihnen. Da stand das ganze Dorf, Alt und Jung, auf
dem schattigen, alten Kirchhofe zusammengedrängt, und doch wollte der Choral
nicht voll und kräftig klingen, den der Kantor mit versagender Stimme begann.

Und nun ging der Witwer mit verödeten Herzen nach seinem Hause Zurück.
Trakelberg folgte ihm, an jeder Hand eines der Mädchen.

Das Leben ist ein Jammerthal, sagte er innig, wir pilgern hindurch, um
uns dereinst vor Gottes Throne in Sündlosigkeit vereint zu finden.

Er bemerkte nicht, daß Valerian auf dem Kirchhofe zurückgeblieben war,
aber Julie bemerkte es. Sie empfand, daß Valer der Liebe seiner Mutter be¬
sonders bedürftig gewesen sei, lind immer lebhafter trat es ihr vor die Augen,
wie oft die Mutter gerade ihn getröstet, ermahnt und geliebkost hatte. Und
dann auch wir andern, dachte sie weiter, der liebe Gott sollte uns nur schnell
nachsterben lassen.




Zweites Buch.
Dreißigstes Aapitel.

Mathilde ging die Dorfstraße entlang, und neben ihr Goldner, der Pfarrer
von Siebenhofen. Die braunen Augen der jungen Dame blickte» unter dem
breitkrempigen Strohhut hervor mit lebhaftem Interesse zu dem ernsten Seelen¬
hirten auf.

Der Frau ist nicht zu helfen, Fräulein Mathilde! sagte der Pfarrer. Ich
weiß in der That nicht, womit ich ihr beikommen soll. Weder Ermahnung
noch Bitte will bei ihr anschlagen.

Das ist sehr traurig, erwiederte das Fräulein nachdenklich; man kann doch
nicht die Fran ihrem Elende überlassen!


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[0199] Aus der Lhronik derer von Riffelshausen. Als der Hofmarschall an der Leiche seiner Frau stand, erfaßte ihn ein Gefühl unsäglicher Bitterkeit. Da lag sie nun so still, sein Weib, seine erste und einzige Liebe, dahin, dahin! Und er stand vor ihr von nagender Eifersucht gepeinigt, und konnte nicht einmal weinen, daß der Himmel sie ihm genommen. Sie wünschte zu sehr, dich zu sehen, hatte unter Thränen die Schwester zu ihm gesagt, er aber bat sie, zu schweigen. Sein ertränkter Geist scheute vor jeder Berührung zurück; seine Gedanken mündeten immer nur in dem schreck¬ lichen Bewußtsein: Es ist alles vorbei! Für seine Kinder hatte er keinen Blick, so lange er in den bleichen, lieblichen Zügen der Geschiedenen eine Antwort suchen mußte auf die quälenden Fragen. Dann stand er wie ein Verlorner an dem offenen Grabe. Die Kinder hatten sich scheu von ihm zu dem Lehrer gewendet, der ihnen mit nassen Augen sagte: Eure Mutter ist bei Gott. Da stand Andermütz und der Schullehrer, die Schulkinder hinter ihnen. Da stand das ganze Dorf, Alt und Jung, auf dem schattigen, alten Kirchhofe zusammengedrängt, und doch wollte der Choral nicht voll und kräftig klingen, den der Kantor mit versagender Stimme begann. Und nun ging der Witwer mit verödeten Herzen nach seinem Hause Zurück. Trakelberg folgte ihm, an jeder Hand eines der Mädchen. Das Leben ist ein Jammerthal, sagte er innig, wir pilgern hindurch, um uns dereinst vor Gottes Throne in Sündlosigkeit vereint zu finden. Er bemerkte nicht, daß Valerian auf dem Kirchhofe zurückgeblieben war, aber Julie bemerkte es. Sie empfand, daß Valer der Liebe seiner Mutter be¬ sonders bedürftig gewesen sei, lind immer lebhafter trat es ihr vor die Augen, wie oft die Mutter gerade ihn getröstet, ermahnt und geliebkost hatte. Und dann auch wir andern, dachte sie weiter, der liebe Gott sollte uns nur schnell nachsterben lassen. Zweites Buch. Dreißigstes Aapitel. Mathilde ging die Dorfstraße entlang, und neben ihr Goldner, der Pfarrer von Siebenhofen. Die braunen Augen der jungen Dame blickte» unter dem breitkrempigen Strohhut hervor mit lebhaftem Interesse zu dem ernsten Seelen¬ hirten auf. Der Frau ist nicht zu helfen, Fräulein Mathilde! sagte der Pfarrer. Ich weiß in der That nicht, womit ich ihr beikommen soll. Weder Ermahnung noch Bitte will bei ihr anschlagen. Das ist sehr traurig, erwiederte das Fräulein nachdenklich; man kann doch nicht die Fran ihrem Elende überlassen!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/199>, abgerufen am 29.04.2024.