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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Notiz.

Und Sie Werden meinem Rate folgen?

Ich werde an Ihre Worte denken, sagte sie.

Er ließ die Thürklinke los, die er schon in der Hand hatte, und trat noch
einmal zu ihr. Sie wollen vorsichtiger sein? sagte er eindringlich, ich glaube
wirklich, ich muß Ihnen Mißtrauen gegen das Menschengeschlecht predigen!

Das junge Mädchen sah mit vertrauensvollen Lächeln zu ihm auf. Das
würde Ihnen nichts nützen, Herr Pfarrer.

Er sah es selbst. So sprach sie nach dem Zusammentreffen mit dem
widerlichen Trunkenen! Sie hatte offenbar die Absicht nicht aufgegeben, diesen
Menschen wieder zu sprechen. Richter sah sie nicht ohne Bewunderung an.
Er fühlte, daß er nicht das Recht habe, sie noch weiter zu vermahnen.

Mathilde kniete neben dem Herde, Stroh und Reisig aus dem Bereiche
des Feuers entfernend. Dann legte sie behutsam einige Stücke Holz auf die
Flamme und setzte einen Kochtopf mit Wasser darüber. Ach könnte man doch
mehr thun! sagte sie, während sie die Ärmel zurückstreifte.

Sie unterziehen sich dieser groben Arbeit mit bewundernswerter Geschick-
lichkeit, bemerkte er mit einem leisen Lächeln, das ihr wieder etwas spöttisch er¬
schien. Mathilde aber dachte in diesem Augenblicke, wie er wohl aussehen würde,
wenn er einmal bewunderte statt zu tadeln?

Als sie aus dem Hanse traten, waren die Farben des Abendhimmels ver¬
schwunden. Sie wanderten schweigend nebeneinander her. Die Dorfbewohner
hatten meist ihr Abendbrot schon verzehrt und saßen nun in friedlichem Ge¬
spräche vor den Thüren; die Weiber mit ihren Strickstrümpfen, die Männer
mit den kurzen Pfeifen daneben.

Auf dem Schenkplatze angelangt, blieb Mathilde stehen.

Mein Weg trennt sich hier von dem Ihren. Gute Nacht.

Er sah ihr nach. Erst als sich das Pförtchen in der Parkmauer hinter
ihr schloß, wandte er sich um und ging nach der nahen Pfarrwohnung.

(Fortsetzung folgt.)




Notiz.

Nochmals Goethes Liln. Wir werden nachträglich darauf aufmerksam,
das; in dem in Ur. 40 dieser Zeitschrift abgedruckten Aufsätze von Eugen Reiche!:
"Goethes Lila" ein starker Irrtum untergelaufen ist: Mozarts "Zauberflöte" stammt
nicht aus dem "Anfang der achtziger Jahre" des vorigen Jahrhunderts, sondern
ist zum erstenmale am 80. September 1791 in Wien aufgeführt worden. Es kann
also nicht davon die Rede sein, daß Goethe, als er in Italien die "Lila" aufs neue
für den Druck bearbeitete, dabei einzelne Züge der "Zauberflöte" entlehnt habe.
Höchstens könnte man annehmen, daß beide, Goethe und der Dichter der "Zauber-


Notiz.

Und Sie Werden meinem Rate folgen?

Ich werde an Ihre Worte denken, sagte sie.

Er ließ die Thürklinke los, die er schon in der Hand hatte, und trat noch
einmal zu ihr. Sie wollen vorsichtiger sein? sagte er eindringlich, ich glaube
wirklich, ich muß Ihnen Mißtrauen gegen das Menschengeschlecht predigen!

Das junge Mädchen sah mit vertrauensvollen Lächeln zu ihm auf. Das
würde Ihnen nichts nützen, Herr Pfarrer.

Er sah es selbst. So sprach sie nach dem Zusammentreffen mit dem
widerlichen Trunkenen! Sie hatte offenbar die Absicht nicht aufgegeben, diesen
Menschen wieder zu sprechen. Richter sah sie nicht ohne Bewunderung an.
Er fühlte, daß er nicht das Recht habe, sie noch weiter zu vermahnen.

Mathilde kniete neben dem Herde, Stroh und Reisig aus dem Bereiche
des Feuers entfernend. Dann legte sie behutsam einige Stücke Holz auf die
Flamme und setzte einen Kochtopf mit Wasser darüber. Ach könnte man doch
mehr thun! sagte sie, während sie die Ärmel zurückstreifte.

Sie unterziehen sich dieser groben Arbeit mit bewundernswerter Geschick-
lichkeit, bemerkte er mit einem leisen Lächeln, das ihr wieder etwas spöttisch er¬
schien. Mathilde aber dachte in diesem Augenblicke, wie er wohl aussehen würde,
wenn er einmal bewunderte statt zu tadeln?

Als sie aus dem Hanse traten, waren die Farben des Abendhimmels ver¬
schwunden. Sie wanderten schweigend nebeneinander her. Die Dorfbewohner
hatten meist ihr Abendbrot schon verzehrt und saßen nun in friedlichem Ge¬
spräche vor den Thüren; die Weiber mit ihren Strickstrümpfen, die Männer
mit den kurzen Pfeifen daneben.

Auf dem Schenkplatze angelangt, blieb Mathilde stehen.

Mein Weg trennt sich hier von dem Ihren. Gute Nacht.

Er sah ihr nach. Erst als sich das Pförtchen in der Parkmauer hinter
ihr schloß, wandte er sich um und ging nach der nahen Pfarrwohnung.

(Fortsetzung folgt.)




Notiz.

Nochmals Goethes Liln. Wir werden nachträglich darauf aufmerksam,
das; in dem in Ur. 40 dieser Zeitschrift abgedruckten Aufsätze von Eugen Reiche!:
„Goethes Lila" ein starker Irrtum untergelaufen ist: Mozarts „Zauberflöte" stammt
nicht aus dem „Anfang der achtziger Jahre" des vorigen Jahrhunderts, sondern
ist zum erstenmale am 80. September 1791 in Wien aufgeführt worden. Es kann
also nicht davon die Rede sein, daß Goethe, als er in Italien die „Lila" aufs neue
für den Druck bearbeitete, dabei einzelne Züge der „Zauberflöte" entlehnt habe.
Höchstens könnte man annehmen, daß beide, Goethe und der Dichter der „Zauber-


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[0206] Notiz. Und Sie Werden meinem Rate folgen? Ich werde an Ihre Worte denken, sagte sie. Er ließ die Thürklinke los, die er schon in der Hand hatte, und trat noch einmal zu ihr. Sie wollen vorsichtiger sein? sagte er eindringlich, ich glaube wirklich, ich muß Ihnen Mißtrauen gegen das Menschengeschlecht predigen! Das junge Mädchen sah mit vertrauensvollen Lächeln zu ihm auf. Das würde Ihnen nichts nützen, Herr Pfarrer. Er sah es selbst. So sprach sie nach dem Zusammentreffen mit dem widerlichen Trunkenen! Sie hatte offenbar die Absicht nicht aufgegeben, diesen Menschen wieder zu sprechen. Richter sah sie nicht ohne Bewunderung an. Er fühlte, daß er nicht das Recht habe, sie noch weiter zu vermahnen. Mathilde kniete neben dem Herde, Stroh und Reisig aus dem Bereiche des Feuers entfernend. Dann legte sie behutsam einige Stücke Holz auf die Flamme und setzte einen Kochtopf mit Wasser darüber. Ach könnte man doch mehr thun! sagte sie, während sie die Ärmel zurückstreifte. Sie unterziehen sich dieser groben Arbeit mit bewundernswerter Geschick- lichkeit, bemerkte er mit einem leisen Lächeln, das ihr wieder etwas spöttisch er¬ schien. Mathilde aber dachte in diesem Augenblicke, wie er wohl aussehen würde, wenn er einmal bewunderte statt zu tadeln? Als sie aus dem Hanse traten, waren die Farben des Abendhimmels ver¬ schwunden. Sie wanderten schweigend nebeneinander her. Die Dorfbewohner hatten meist ihr Abendbrot schon verzehrt und saßen nun in friedlichem Ge¬ spräche vor den Thüren; die Weiber mit ihren Strickstrümpfen, die Männer mit den kurzen Pfeifen daneben. Auf dem Schenkplatze angelangt, blieb Mathilde stehen. Mein Weg trennt sich hier von dem Ihren. Gute Nacht. Er sah ihr nach. Erst als sich das Pförtchen in der Parkmauer hinter ihr schloß, wandte er sich um und ging nach der nahen Pfarrwohnung. (Fortsetzung folgt.) Notiz. Nochmals Goethes Liln. Wir werden nachträglich darauf aufmerksam, das; in dem in Ur. 40 dieser Zeitschrift abgedruckten Aufsätze von Eugen Reiche!: „Goethes Lila" ein starker Irrtum untergelaufen ist: Mozarts „Zauberflöte" stammt nicht aus dem „Anfang der achtziger Jahre" des vorigen Jahrhunderts, sondern ist zum erstenmale am 80. September 1791 in Wien aufgeführt worden. Es kann also nicht davon die Rede sein, daß Goethe, als er in Italien die „Lila" aufs neue für den Druck bearbeitete, dabei einzelne Züge der „Zauberflöte" entlehnt habe. Höchstens könnte man annehmen, daß beide, Goethe und der Dichter der „Zauber-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/206>, abgerufen am 29.04.2024.