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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Neue Theaterstücke.

etwas gewonnen, wenn in einheitlicher Weise nach dem Rechten gesehen und nach
Grundsätzen, die wirkliche Grundsätze sind und nicht Launen des parteiischen
Kritikers, gesprochen wird.

1.

Es ist ein seltsamer Zufall, daß ich meine Berichte mit dem Stück eines
Nachahmers der Franzosen, insbesondre Sardous, beginnen muß: das "Deutsche
Theater" brachte Sonnabend den 16. Oktober, dem zahlreich erschienenen Pu-
kum als erste Neuigkeit dieses Theaterjahres die "Gräfin Lambach" von
Hugo Lubliner.

Lublincr ist kein junger Autor; von seinen Freunden und Feinden ist bereits
alles gesagt worden, was über ihn und seine Stücke zu sagen ist, sodaß ich
es mir ersparen kann, das oft Wiederholte noch einmal zu wiederholen. Er
gehört zu den Spekulanten, verrechnet sich aber häufig und würde sich auch
diesmal verrechnet haben, wenn er nicht zugleich auf die Geschicklichkeit der
Frau Niemann gerechnet hätte. Einmal ist ihm eine schöne Szene gelungen:
die große, gemütvolle Unterhaltung zwischen Werner und Stefana im zweiten
Aufzuge des Schauspiels "Die Frau ohne Geist," das auch sonst manche Vorzüge
auszuweisen hatte; hier kam wirklich etwas von einem Dichter zum Vorschein, und
ich erinnere mich noch sehr lebhaft der tiefen Wirkung, welche die von Fräulein
Meyer und Herrn Ludwig in vollendeter Weise gespickte Szene damals (1879)
auf das Publikum des Schauspielhauses ausübte.'") Was Lubliuer sonst noch
hervorgebracht hat, ist, einige muntere Szenen in dem Lustspiel: "Auf der Braut¬
fahrt" abgerechnet, zum Teil unbedeutend, zum Teil schlecht. Die Verheißungen,
welche man vor ungefähr fünfzehn Jahren an das erste Auftreten des jungen
Schriftstellers knüpfte, haben sich nicht erfüllt, obschon die Verhältnisse für ihn
so günstig wie möglich waren und man ihm selbst ein Streben zum Guten
wenigstens früher nicht absprechen konnte. Sein neuestes Stück ist ebenso wie
die älteren aus bunt durcheinanderliegenden älteren und neueren Motiven zu¬
sammengesetzt, sodaß es unmöglich wird, den Inhalt desselben in wenig Worten
wiederzugeben. Eine an der Thür eines fremden Hauses horchende Dame, ein
ins Feuer geworfener Brief, der aber natürlich nicht verbrennt, sondern von
einem zufällig des Weges kommenden ahnungslosen Manne dem Untergang entrissen
wird, ein im Augenblick der höchsten Not entdecktes Tagebuch -- mit solchen
"Künsten" wird hier gearbeitet! Und das nennen die Herren dann "modern."
Abspiegelung des gesellschaftlichen Lebens unsrer Zeit!



*) Wohl mochte der Verfasse auch hier vieles den Darstellern zu verdanken haben;
denn weder Frau Niemann, welche die Stefana in Königsberg spielte, noch das Ehepaar
Hnrtmann in Wien wußten die Szene recht zur Geltung zu bringen. Frau Niemann war
nicht einfach genug; Herr Hartmann war stellenweise geziert und Frau Hartmann zuweilen
sogar kokett. Im Schauspielhause wirkte die Szene auch in späterer Zeit auf mich, und so
lange man hier Fräulein Meyer und Herrn Ludwig besitzt, sollte man das Lustspiel immer
wieder gelegentlich zur Darstellung bringen.
Neue Theaterstücke.

etwas gewonnen, wenn in einheitlicher Weise nach dem Rechten gesehen und nach
Grundsätzen, die wirkliche Grundsätze sind und nicht Launen des parteiischen
Kritikers, gesprochen wird.

1.

Es ist ein seltsamer Zufall, daß ich meine Berichte mit dem Stück eines
Nachahmers der Franzosen, insbesondre Sardous, beginnen muß: das „Deutsche
Theater" brachte Sonnabend den 16. Oktober, dem zahlreich erschienenen Pu-
kum als erste Neuigkeit dieses Theaterjahres die „Gräfin Lambach" von
Hugo Lubliner.

Lublincr ist kein junger Autor; von seinen Freunden und Feinden ist bereits
alles gesagt worden, was über ihn und seine Stücke zu sagen ist, sodaß ich
es mir ersparen kann, das oft Wiederholte noch einmal zu wiederholen. Er
gehört zu den Spekulanten, verrechnet sich aber häufig und würde sich auch
diesmal verrechnet haben, wenn er nicht zugleich auf die Geschicklichkeit der
Frau Niemann gerechnet hätte. Einmal ist ihm eine schöne Szene gelungen:
die große, gemütvolle Unterhaltung zwischen Werner und Stefana im zweiten
Aufzuge des Schauspiels „Die Frau ohne Geist," das auch sonst manche Vorzüge
auszuweisen hatte; hier kam wirklich etwas von einem Dichter zum Vorschein, und
ich erinnere mich noch sehr lebhaft der tiefen Wirkung, welche die von Fräulein
Meyer und Herrn Ludwig in vollendeter Weise gespickte Szene damals (1879)
auf das Publikum des Schauspielhauses ausübte.'") Was Lubliuer sonst noch
hervorgebracht hat, ist, einige muntere Szenen in dem Lustspiel: „Auf der Braut¬
fahrt" abgerechnet, zum Teil unbedeutend, zum Teil schlecht. Die Verheißungen,
welche man vor ungefähr fünfzehn Jahren an das erste Auftreten des jungen
Schriftstellers knüpfte, haben sich nicht erfüllt, obschon die Verhältnisse für ihn
so günstig wie möglich waren und man ihm selbst ein Streben zum Guten
wenigstens früher nicht absprechen konnte. Sein neuestes Stück ist ebenso wie
die älteren aus bunt durcheinanderliegenden älteren und neueren Motiven zu¬
sammengesetzt, sodaß es unmöglich wird, den Inhalt desselben in wenig Worten
wiederzugeben. Eine an der Thür eines fremden Hauses horchende Dame, ein
ins Feuer geworfener Brief, der aber natürlich nicht verbrennt, sondern von
einem zufällig des Weges kommenden ahnungslosen Manne dem Untergang entrissen
wird, ein im Augenblick der höchsten Not entdecktes Tagebuch — mit solchen
„Künsten" wird hier gearbeitet! Und das nennen die Herren dann „modern."
Abspiegelung des gesellschaftlichen Lebens unsrer Zeit!



*) Wohl mochte der Verfasse auch hier vieles den Darstellern zu verdanken haben;
denn weder Frau Niemann, welche die Stefana in Königsberg spielte, noch das Ehepaar
Hnrtmann in Wien wußten die Szene recht zur Geltung zu bringen. Frau Niemann war
nicht einfach genug; Herr Hartmann war stellenweise geziert und Frau Hartmann zuweilen
sogar kokett. Im Schauspielhause wirkte die Szene auch in späterer Zeit auf mich, und so
lange man hier Fräulein Meyer und Herrn Ludwig besitzt, sollte man das Lustspiel immer
wieder gelegentlich zur Darstellung bringen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/295>, abgerufen am 29.04.2024.