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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Notizen.

haben bestanden, was keiner besteht, als etwa Se. Christoph. Hoffe, der Spaß
wird Fräulein von Niffelshausen nicht schlecht bekommen!

Das gnädige Fräulein ist doch naß geworden, sagte Richter grimmig.

Das wird Lischen leicht wieder gut machen. Ziehen Sie sich rasch um,
Richter, und kommen Sie zum Thee herüber. Mama erwartet Sie mit Be¬
stimmtheit.

Der Pfarrer nickte zustimmend und ging ohne Gruß davon, über die Wiese.

(Fertselmng folgt.)




Notizen.

Eine deutsche Stadt vor sechzig Jahren. Auch wer sich nur wenige
Mußemiunten seinem Berufe oder seiner Arbeit entziehen kann, sollte sich den
Genuß dieses Buches'") gewahren. Der Verfasser ist kein verbitterter lauclator tcmMN'i"
acti, der nur für den verklärenden Schimmer der Vergangenheit Sinn hat, die
Gegenwart verachtet und an der Zukunft verzweifelt. Im Gegenteil, er freut sich
des großartigen Aufschwunges, den das deutsche Volk und Reich in den letztem
Jahrzehnten genommen hat, er sieht vertrauensvoll in die Zukunft nud schildert
mit liebenswürdiger Behaglichkeit, wie eS früher in einer kleinen deutschen Stadt
(Kassel) ausgesehen hat. Es ist eine Kulturgeschichte im Kleinen; ohne den Apparat
gelehrter Anmerkungen ist nicht mir eine reiche eigne Erfahrung, sondern auch
mühsames Studium zu einem anschaulichen Bilde verarbeitet worden. Das, was
z. B. über die Preisverhaltnisse vorgetragen wird, ist wert, wie eine gediegene
Abhandlung in einer volkswirtschaftlichen Zeitschrift geschätzt zu werden.

Der Verfasser schildert im Mittelpunkt den deutschen Bürger, wie er in der
That noch vor sechzig Jahren einem Stand für sich bildete, vou dem sich der Adel
wie der Bauer nud kleine Handwerker gleich entfernt hielten. Trotzdem bildete
das Volk ein harmonischeres Ganze als heute, wo die soziale Kluft durch die Ver¬
schiebung der Besitz- und Erwcrbsverhältnisse viel größer geworden ist. Obwohl
das Buch nicht Moral predigen Null, so sind doch Seitenblicke mit vieler Schärfe
auf die weniger erfreulichen Folgen geworfen, die sich aus den sozialen Gegensätzen
und der mit der größern Werterzeugung auch vermehrten Genußsucht ergeben.
Dabei vermeidet der Verfasser mit vielem Takte, die besondern politischen Ver¬
hältnisse der von ihm geschilderten Zeit zu berühren, obwohl es ihm gewiß gerade
für Kassel an interessantem Stoff nicht gefehlt haben würde. Das Buch wird keine
politische oder religiöse Meinung verletzen und sich auch vou diesem Gesichtspunkte
seiner Freunde Zahl vermehren.

Es kauu hier uicht der Ort sein, auf die durch die Lektüre erhaltenen Anregungen
genauer einzugehen. Auffallend ist aber folgendes. Während mau jetzt so viel vou
der gleichmachenden Wirkung unsrer Zeit spricht und hervorhebt, wie diese jede Indivi¬
dualität beseitige, so scheint es, als ob doch auch in früherer Zeit die Eigentum-



*) Eine deutsche Stadt vor sechzig Jnlircn. Von Dr. Otto BNHr. Zweite
Anfluge. Leipzig, Fr. Wilh. Gnmow, 188".
Notizen.

haben bestanden, was keiner besteht, als etwa Se. Christoph. Hoffe, der Spaß
wird Fräulein von Niffelshausen nicht schlecht bekommen!

Das gnädige Fräulein ist doch naß geworden, sagte Richter grimmig.

Das wird Lischen leicht wieder gut machen. Ziehen Sie sich rasch um,
Richter, und kommen Sie zum Thee herüber. Mama erwartet Sie mit Be¬
stimmtheit.

Der Pfarrer nickte zustimmend und ging ohne Gruß davon, über die Wiese.

(Fertselmng folgt.)




Notizen.

Eine deutsche Stadt vor sechzig Jahren. Auch wer sich nur wenige
Mußemiunten seinem Berufe oder seiner Arbeit entziehen kann, sollte sich den
Genuß dieses Buches'") gewahren. Der Verfasser ist kein verbitterter lauclator tcmMN'i«
acti, der nur für den verklärenden Schimmer der Vergangenheit Sinn hat, die
Gegenwart verachtet und an der Zukunft verzweifelt. Im Gegenteil, er freut sich
des großartigen Aufschwunges, den das deutsche Volk und Reich in den letztem
Jahrzehnten genommen hat, er sieht vertrauensvoll in die Zukunft nud schildert
mit liebenswürdiger Behaglichkeit, wie eS früher in einer kleinen deutschen Stadt
(Kassel) ausgesehen hat. Es ist eine Kulturgeschichte im Kleinen; ohne den Apparat
gelehrter Anmerkungen ist nicht mir eine reiche eigne Erfahrung, sondern auch
mühsames Studium zu einem anschaulichen Bilde verarbeitet worden. Das, was
z. B. über die Preisverhaltnisse vorgetragen wird, ist wert, wie eine gediegene
Abhandlung in einer volkswirtschaftlichen Zeitschrift geschätzt zu werden.

Der Verfasser schildert im Mittelpunkt den deutschen Bürger, wie er in der
That noch vor sechzig Jahren einem Stand für sich bildete, vou dem sich der Adel
wie der Bauer nud kleine Handwerker gleich entfernt hielten. Trotzdem bildete
das Volk ein harmonischeres Ganze als heute, wo die soziale Kluft durch die Ver¬
schiebung der Besitz- und Erwcrbsverhältnisse viel größer geworden ist. Obwohl
das Buch nicht Moral predigen Null, so sind doch Seitenblicke mit vieler Schärfe
auf die weniger erfreulichen Folgen geworfen, die sich aus den sozialen Gegensätzen
und der mit der größern Werterzeugung auch vermehrten Genußsucht ergeben.
Dabei vermeidet der Verfasser mit vielem Takte, die besondern politischen Ver¬
hältnisse der von ihm geschilderten Zeit zu berühren, obwohl es ihm gewiß gerade
für Kassel an interessantem Stoff nicht gefehlt haben würde. Das Buch wird keine
politische oder religiöse Meinung verletzen und sich auch vou diesem Gesichtspunkte
seiner Freunde Zahl vermehren.

Es kauu hier uicht der Ort sein, auf die durch die Lektüre erhaltenen Anregungen
genauer einzugehen. Auffallend ist aber folgendes. Während mau jetzt so viel vou
der gleichmachenden Wirkung unsrer Zeit spricht und hervorhebt, wie diese jede Indivi¬
dualität beseitige, so scheint es, als ob doch auch in früherer Zeit die Eigentum-



*) Eine deutsche Stadt vor sechzig Jnlircn. Von Dr. Otto BNHr. Zweite
Anfluge. Leipzig, Fr. Wilh. Gnmow, 188«.
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[0357] Notizen. haben bestanden, was keiner besteht, als etwa Se. Christoph. Hoffe, der Spaß wird Fräulein von Niffelshausen nicht schlecht bekommen! Das gnädige Fräulein ist doch naß geworden, sagte Richter grimmig. Das wird Lischen leicht wieder gut machen. Ziehen Sie sich rasch um, Richter, und kommen Sie zum Thee herüber. Mama erwartet Sie mit Be¬ stimmtheit. Der Pfarrer nickte zustimmend und ging ohne Gruß davon, über die Wiese. (Fertselmng folgt.) Notizen. Eine deutsche Stadt vor sechzig Jahren. Auch wer sich nur wenige Mußemiunten seinem Berufe oder seiner Arbeit entziehen kann, sollte sich den Genuß dieses Buches'") gewahren. Der Verfasser ist kein verbitterter lauclator tcmMN'i« acti, der nur für den verklärenden Schimmer der Vergangenheit Sinn hat, die Gegenwart verachtet und an der Zukunft verzweifelt. Im Gegenteil, er freut sich des großartigen Aufschwunges, den das deutsche Volk und Reich in den letztem Jahrzehnten genommen hat, er sieht vertrauensvoll in die Zukunft nud schildert mit liebenswürdiger Behaglichkeit, wie eS früher in einer kleinen deutschen Stadt (Kassel) ausgesehen hat. Es ist eine Kulturgeschichte im Kleinen; ohne den Apparat gelehrter Anmerkungen ist nicht mir eine reiche eigne Erfahrung, sondern auch mühsames Studium zu einem anschaulichen Bilde verarbeitet worden. Das, was z. B. über die Preisverhaltnisse vorgetragen wird, ist wert, wie eine gediegene Abhandlung in einer volkswirtschaftlichen Zeitschrift geschätzt zu werden. Der Verfasser schildert im Mittelpunkt den deutschen Bürger, wie er in der That noch vor sechzig Jahren einem Stand für sich bildete, vou dem sich der Adel wie der Bauer nud kleine Handwerker gleich entfernt hielten. Trotzdem bildete das Volk ein harmonischeres Ganze als heute, wo die soziale Kluft durch die Ver¬ schiebung der Besitz- und Erwcrbsverhältnisse viel größer geworden ist. Obwohl das Buch nicht Moral predigen Null, so sind doch Seitenblicke mit vieler Schärfe auf die weniger erfreulichen Folgen geworfen, die sich aus den sozialen Gegensätzen und der mit der größern Werterzeugung auch vermehrten Genußsucht ergeben. Dabei vermeidet der Verfasser mit vielem Takte, die besondern politischen Ver¬ hältnisse der von ihm geschilderten Zeit zu berühren, obwohl es ihm gewiß gerade für Kassel an interessantem Stoff nicht gefehlt haben würde. Das Buch wird keine politische oder religiöse Meinung verletzen und sich auch vou diesem Gesichtspunkte seiner Freunde Zahl vermehren. Es kauu hier uicht der Ort sein, auf die durch die Lektüre erhaltenen Anregungen genauer einzugehen. Auffallend ist aber folgendes. Während mau jetzt so viel vou der gleichmachenden Wirkung unsrer Zeit spricht und hervorhebt, wie diese jede Indivi¬ dualität beseitige, so scheint es, als ob doch auch in früherer Zeit die Eigentum- *) Eine deutsche Stadt vor sechzig Jnlircn. Von Dr. Otto BNHr. Zweite Anfluge. Leipzig, Fr. Wilh. Gnmow, 188«.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/357>, abgerufen am 29.04.2024.