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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Literatur.

War klar und deutlich in der etwas undeutlich geschriebenen Vorlage zu lesen. Die
Redaktion nahm freilich Anstoß an dem Worte, aber zur Not ließ sich ja ein Sir"
damit verbinden, man konnte an den Knotenpunkt der schwingenden Saite denken,
den der Verfasser dann ähnlich wie Angelpunkt (earäo) gebraucht hätte, und da die
Herren Verfasser mitunter sehr böse sind, wenn mau ihnen etwas, das sie für
besonders geistreich gehalten haben, ändert, so ging der Schwingpnnkt in die
Druckerei. Auch Seher und Korrektor konnten das Wort nicht anders lesen, und
so kam der Schwingpnnkt in den Prvbeabzng. Als -- leider zu spät! -- die
Fehlervcrbcsscruug des Verfassers eintraf, was war aus dem Schwingpuuktc ge¬
worden? Ein Spriugpnnkt! Der Verfasser hatte also -- übrigens nicht sehr
glücklich -- das puullwm Milvus durch diese neue Wortzusammensetzung wiedergeben
"vollen. Der Schwingpunkt ist aber doch gar kein übles Wort, und es sollte uns
nicht wundern, wenn er uns nicht demnächst in der Tagespresse erst wöchentlich
und dann täglich über den Weg liefe, neben Gesichtswinkel, Bildfläche, unentwegt,
voll und ganz, selbstlos, zielbewußt, und wie diese Glauzwörter der Tagespresse
alle heißen. Der Schwingpnnkt -- das ist gar zu schön! Also drauf, ihr Herren
Journalisten!




Literatur.

Griechische Reise. Blätter aus dem Tagebuche einer Reise in Griechenland und der Türkin
von Karl Krumbacher. Berlin, August Hattler, 1886.

Ein kleines, aber anziehend und fesselnd geschriebenes Buch eines jungen
Philologen, welcher, zu wissenschaftlichen Zwecken, ausgedehnte Streifzüge namentlich
durch die Inselwelt des ägeischen Meeres unternommen hat, und über Laud und
Leute, soziale und sprachliche Verhältnisse in sehr lebendiger, frischer Weise viel
Wissenswertes mitteilt. Das Buch ist dem Andenken König Ludwigs I. vou Baiern,
"des großen Philhellenen," gewidmet und damit der Standpunkt des Verfassers den
heutigen Griechen gegenüber schon gekennzeichnet. Krumbacher glaubt an die Ent¬
wicklungsfähigkeit, die politische Zukunft der Neugriechen, und seine Beobachtungen
richten sich auf alle Anzeichen, aus denen die Ueberlegenheit der emporstrebenden
griechischen über die sinkende türkische Nasse gefolgert werden kann. Wahrscheinlich
finden die Grundanschauungen des Verfassers über diese wichtige Frage keinen
Widerspruch, ob jedoch die Erfüllung der griechischen Träume in so naher Aussicht
steht und das Turkmenen (auch in Asien) bereits so ohnmächtig geworden ist, wie
Krumbacher einnimmt, dürfte nach den Erfahrungen der jüngsten Zeit doch noch
recht zweifelhaft sein. Jedenfalls werden alle denkenden Leser dem Reisenden Dank
wissen, der seine Fahrten und seinen Aufenthalt ans so selten betretenen Eilanden
wie Samos, Palaos, Ceros u. a. (welche sämtlich noch unter türkischer Herrschaft
stehen, aber im allgemeinen nur griechische Bevölkerung haben) mit so frischen Farben
geschildert hat. Das kleine Buch unterrichtet über gewisse Schwierigkeiten der
orientalischen Frage besser als Hunderte von Leitartikeln.




Für die Redaktion verantwortlich i Johannes Grunuw in Leipzig.
Verlag vou Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig.
Literatur.

War klar und deutlich in der etwas undeutlich geschriebenen Vorlage zu lesen. Die
Redaktion nahm freilich Anstoß an dem Worte, aber zur Not ließ sich ja ein Sir»
damit verbinden, man konnte an den Knotenpunkt der schwingenden Saite denken,
den der Verfasser dann ähnlich wie Angelpunkt (earäo) gebraucht hätte, und da die
Herren Verfasser mitunter sehr böse sind, wenn mau ihnen etwas, das sie für
besonders geistreich gehalten haben, ändert, so ging der Schwingpnnkt in die
Druckerei. Auch Seher und Korrektor konnten das Wort nicht anders lesen, und
so kam der Schwingpnnkt in den Prvbeabzng. Als — leider zu spät! — die
Fehlervcrbcsscruug des Verfassers eintraf, was war aus dem Schwingpuuktc ge¬
worden? Ein Spriugpnnkt! Der Verfasser hatte also — übrigens nicht sehr
glücklich — das puullwm Milvus durch diese neue Wortzusammensetzung wiedergeben
»vollen. Der Schwingpunkt ist aber doch gar kein übles Wort, und es sollte uns
nicht wundern, wenn er uns nicht demnächst in der Tagespresse erst wöchentlich
und dann täglich über den Weg liefe, neben Gesichtswinkel, Bildfläche, unentwegt,
voll und ganz, selbstlos, zielbewußt, und wie diese Glauzwörter der Tagespresse
alle heißen. Der Schwingpnnkt — das ist gar zu schön! Also drauf, ihr Herren
Journalisten!




Literatur.

Griechische Reise. Blätter aus dem Tagebuche einer Reise in Griechenland und der Türkin
von Karl Krumbacher. Berlin, August Hattler, 1886.

Ein kleines, aber anziehend und fesselnd geschriebenes Buch eines jungen
Philologen, welcher, zu wissenschaftlichen Zwecken, ausgedehnte Streifzüge namentlich
durch die Inselwelt des ägeischen Meeres unternommen hat, und über Laud und
Leute, soziale und sprachliche Verhältnisse in sehr lebendiger, frischer Weise viel
Wissenswertes mitteilt. Das Buch ist dem Andenken König Ludwigs I. vou Baiern,
„des großen Philhellenen," gewidmet und damit der Standpunkt des Verfassers den
heutigen Griechen gegenüber schon gekennzeichnet. Krumbacher glaubt an die Ent¬
wicklungsfähigkeit, die politische Zukunft der Neugriechen, und seine Beobachtungen
richten sich auf alle Anzeichen, aus denen die Ueberlegenheit der emporstrebenden
griechischen über die sinkende türkische Nasse gefolgert werden kann. Wahrscheinlich
finden die Grundanschauungen des Verfassers über diese wichtige Frage keinen
Widerspruch, ob jedoch die Erfüllung der griechischen Träume in so naher Aussicht
steht und das Turkmenen (auch in Asien) bereits so ohnmächtig geworden ist, wie
Krumbacher einnimmt, dürfte nach den Erfahrungen der jüngsten Zeit doch noch
recht zweifelhaft sein. Jedenfalls werden alle denkenden Leser dem Reisenden Dank
wissen, der seine Fahrten und seinen Aufenthalt ans so selten betretenen Eilanden
wie Samos, Palaos, Ceros u. a. (welche sämtlich noch unter türkischer Herrschaft
stehen, aber im allgemeinen nur griechische Bevölkerung haben) mit so frischen Farben
geschildert hat. Das kleine Buch unterrichtet über gewisse Schwierigkeiten der
orientalischen Frage besser als Hunderte von Leitartikeln.




Für die Redaktion verantwortlich i Johannes Grunuw in Leipzig.
Verlag vou Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/360>, abgerufen am 29.04.2024.