Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
volkswirtschaftliche Betrachtungen eines Taler.

22 949 deutsche Kinder gar keine, und ebensowenig hat der Vesprimer, der über
0000, der Stuhlweißenburger, der mehr als 3000, der Abaujer und der Gömörer,
die je 1000 Schulkinder von deutscher Nationalität zählen, eine derartige
Unterrichtsanstalt aufzuweisen. In allen Schulen muß das Magyarische gelehrt
werden, und zwar ist dasselbe nach einer Verordnung von 1879 "mit der Mutter¬
sprache der Schüler kombiuirt, gleichzeitig und gleichmäßig zu treiben." Das ist
der Dank, der den Dentschen zu Teil wird, welche die Magyaren aus ihrer ur¬
sprünglichen Wildheit herausgehoben, ihnen ihren Staat begründen und verteidigen
geholfen, ihnen das, was sie an kultivirten Landbesitz, an Städten, an Anstalten
zur Ausbeutung ihrer Metallschätze das Ihre nennen, geschaffen und ihnen zu
dem verholfen haben, was sie als ihre Wissenschaft, ihre Kunst angesehen wissen
möchten. Sie zwingen ihnen ihre Pescheräsprache auf, sie wollen sie ihres
Volkstums berauben. Der Lehrmeister, der den Schüler einigermaßen veredelte,
soll von diesem nun degradirt und depravirt werden. Ganz das Gleiche würden
die Slawen in Böhmen und den Alpenländern versuchen, wenn unser Herrgott
die Bäume dort in den Himmel wachsen ließe.




Volkswirtschaftliche Betrachtungen eines Laien.

meer vorstehender Überschrift veröffentlichten die Grenzboten in
Ur. 43 einen Aufsatz, der unsre wirtschaftlichen Verhältnisse sehr
richtig darlegt und zeigt, daß, während ans der einen Seite der
Bevölkerung ein dringendes Bedürfnis nach den zur Befriedigung
unsrer leiblichen und geistlichen Bedürfnisse dienenden Gütern
besteht, auf der andern ein solcher Überfluß derartiger Güter vorhanden ist,
daß es nicht mehr der Mühe wert erscheint, noch mehr davon hervorzubringen;
der Verfasser schließt hieraus, daß weniger die Überproduktion die Hauptursache
der gegenwärtigen wirtschaftlichen Kalamität sei, als vielmehr die geschwundene
Konsumtivnskraft des größern Teiles der Bevölkerung, und behauptet, daß in dieser
Not wohl nur vom Staate, von der Gesetzgebung Abhilfe zu erwarten sei.

Auch in letzterer Beziehung stimmen wir dem erwähnten Aufsatze bei, be¬
dauern es aber lebhaft, daß er nicht auch das "Wie" in den Kreis seiner Er¬
örterungen gezogen hat, fondern plötzlich mit der Bemerkung abbricht, dies nicht
zu wissen.


Grenzboten IV. 1386. 52
volkswirtschaftliche Betrachtungen eines Taler.

22 949 deutsche Kinder gar keine, und ebensowenig hat der Vesprimer, der über
0000, der Stuhlweißenburger, der mehr als 3000, der Abaujer und der Gömörer,
die je 1000 Schulkinder von deutscher Nationalität zählen, eine derartige
Unterrichtsanstalt aufzuweisen. In allen Schulen muß das Magyarische gelehrt
werden, und zwar ist dasselbe nach einer Verordnung von 1879 „mit der Mutter¬
sprache der Schüler kombiuirt, gleichzeitig und gleichmäßig zu treiben." Das ist
der Dank, der den Dentschen zu Teil wird, welche die Magyaren aus ihrer ur¬
sprünglichen Wildheit herausgehoben, ihnen ihren Staat begründen und verteidigen
geholfen, ihnen das, was sie an kultivirten Landbesitz, an Städten, an Anstalten
zur Ausbeutung ihrer Metallschätze das Ihre nennen, geschaffen und ihnen zu
dem verholfen haben, was sie als ihre Wissenschaft, ihre Kunst angesehen wissen
möchten. Sie zwingen ihnen ihre Pescheräsprache auf, sie wollen sie ihres
Volkstums berauben. Der Lehrmeister, der den Schüler einigermaßen veredelte,
soll von diesem nun degradirt und depravirt werden. Ganz das Gleiche würden
die Slawen in Böhmen und den Alpenländern versuchen, wenn unser Herrgott
die Bäume dort in den Himmel wachsen ließe.




Volkswirtschaftliche Betrachtungen eines Laien.

meer vorstehender Überschrift veröffentlichten die Grenzboten in
Ur. 43 einen Aufsatz, der unsre wirtschaftlichen Verhältnisse sehr
richtig darlegt und zeigt, daß, während ans der einen Seite der
Bevölkerung ein dringendes Bedürfnis nach den zur Befriedigung
unsrer leiblichen und geistlichen Bedürfnisse dienenden Gütern
besteht, auf der andern ein solcher Überfluß derartiger Güter vorhanden ist,
daß es nicht mehr der Mühe wert erscheint, noch mehr davon hervorzubringen;
der Verfasser schließt hieraus, daß weniger die Überproduktion die Hauptursache
der gegenwärtigen wirtschaftlichen Kalamität sei, als vielmehr die geschwundene
Konsumtivnskraft des größern Teiles der Bevölkerung, und behauptet, daß in dieser
Not wohl nur vom Staate, von der Gesetzgebung Abhilfe zu erwarten sei.

Auch in letzterer Beziehung stimmen wir dem erwähnten Aufsatze bei, be¬
dauern es aber lebhaft, daß er nicht auch das „Wie" in den Kreis seiner Er¬
örterungen gezogen hat, fondern plötzlich mit der Bemerkung abbricht, dies nicht
zu wissen.


Grenzboten IV. 1386. 52
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0417" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199771"/>
          <fw type="header" place="top"> volkswirtschaftliche Betrachtungen eines Taler.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1729" prev="#ID_1728"> 22 949 deutsche Kinder gar keine, und ebensowenig hat der Vesprimer, der über<lb/>
0000, der Stuhlweißenburger, der mehr als 3000, der Abaujer und der Gömörer,<lb/>
die je 1000 Schulkinder von deutscher Nationalität zählen, eine derartige<lb/>
Unterrichtsanstalt aufzuweisen. In allen Schulen muß das Magyarische gelehrt<lb/>
werden, und zwar ist dasselbe nach einer Verordnung von 1879 &#x201E;mit der Mutter¬<lb/>
sprache der Schüler kombiuirt, gleichzeitig und gleichmäßig zu treiben." Das ist<lb/>
der Dank, der den Dentschen zu Teil wird, welche die Magyaren aus ihrer ur¬<lb/>
sprünglichen Wildheit herausgehoben, ihnen ihren Staat begründen und verteidigen<lb/>
geholfen, ihnen das, was sie an kultivirten Landbesitz, an Städten, an Anstalten<lb/>
zur Ausbeutung ihrer Metallschätze das Ihre nennen, geschaffen und ihnen zu<lb/>
dem verholfen haben, was sie als ihre Wissenschaft, ihre Kunst angesehen wissen<lb/>
möchten. Sie zwingen ihnen ihre Pescheräsprache auf, sie wollen sie ihres<lb/>
Volkstums berauben. Der Lehrmeister, der den Schüler einigermaßen veredelte,<lb/>
soll von diesem nun degradirt und depravirt werden. Ganz das Gleiche würden<lb/>
die Slawen in Böhmen und den Alpenländern versuchen, wenn unser Herrgott<lb/>
die Bäume dort in den Himmel wachsen ließe.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Volkswirtschaftliche Betrachtungen eines Laien.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1730"> meer vorstehender Überschrift veröffentlichten die Grenzboten in<lb/>
Ur. 43 einen Aufsatz, der unsre wirtschaftlichen Verhältnisse sehr<lb/>
richtig darlegt und zeigt, daß, während ans der einen Seite der<lb/>
Bevölkerung ein dringendes Bedürfnis nach den zur Befriedigung<lb/>
unsrer leiblichen und geistlichen Bedürfnisse dienenden Gütern<lb/>
besteht, auf der andern ein solcher Überfluß derartiger Güter vorhanden ist,<lb/>
daß es nicht mehr der Mühe wert erscheint, noch mehr davon hervorzubringen;<lb/>
der Verfasser schließt hieraus, daß weniger die Überproduktion die Hauptursache<lb/>
der gegenwärtigen wirtschaftlichen Kalamität sei, als vielmehr die geschwundene<lb/>
Konsumtivnskraft des größern Teiles der Bevölkerung, und behauptet, daß in dieser<lb/>
Not wohl nur vom Staate, von der Gesetzgebung Abhilfe zu erwarten sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1731"> Auch in letzterer Beziehung stimmen wir dem erwähnten Aufsatze bei, be¬<lb/>
dauern es aber lebhaft, daß er nicht auch das &#x201E;Wie" in den Kreis seiner Er¬<lb/>
örterungen gezogen hat, fondern plötzlich mit der Bemerkung abbricht, dies nicht<lb/>
zu wissen.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1386. 52</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0417] volkswirtschaftliche Betrachtungen eines Taler. 22 949 deutsche Kinder gar keine, und ebensowenig hat der Vesprimer, der über 0000, der Stuhlweißenburger, der mehr als 3000, der Abaujer und der Gömörer, die je 1000 Schulkinder von deutscher Nationalität zählen, eine derartige Unterrichtsanstalt aufzuweisen. In allen Schulen muß das Magyarische gelehrt werden, und zwar ist dasselbe nach einer Verordnung von 1879 „mit der Mutter¬ sprache der Schüler kombiuirt, gleichzeitig und gleichmäßig zu treiben." Das ist der Dank, der den Dentschen zu Teil wird, welche die Magyaren aus ihrer ur¬ sprünglichen Wildheit herausgehoben, ihnen ihren Staat begründen und verteidigen geholfen, ihnen das, was sie an kultivirten Landbesitz, an Städten, an Anstalten zur Ausbeutung ihrer Metallschätze das Ihre nennen, geschaffen und ihnen zu dem verholfen haben, was sie als ihre Wissenschaft, ihre Kunst angesehen wissen möchten. Sie zwingen ihnen ihre Pescheräsprache auf, sie wollen sie ihres Volkstums berauben. Der Lehrmeister, der den Schüler einigermaßen veredelte, soll von diesem nun degradirt und depravirt werden. Ganz das Gleiche würden die Slawen in Böhmen und den Alpenländern versuchen, wenn unser Herrgott die Bäume dort in den Himmel wachsen ließe. Volkswirtschaftliche Betrachtungen eines Laien. meer vorstehender Überschrift veröffentlichten die Grenzboten in Ur. 43 einen Aufsatz, der unsre wirtschaftlichen Verhältnisse sehr richtig darlegt und zeigt, daß, während ans der einen Seite der Bevölkerung ein dringendes Bedürfnis nach den zur Befriedigung unsrer leiblichen und geistlichen Bedürfnisse dienenden Gütern besteht, auf der andern ein solcher Überfluß derartiger Güter vorhanden ist, daß es nicht mehr der Mühe wert erscheint, noch mehr davon hervorzubringen; der Verfasser schließt hieraus, daß weniger die Überproduktion die Hauptursache der gegenwärtigen wirtschaftlichen Kalamität sei, als vielmehr die geschwundene Konsumtivnskraft des größern Teiles der Bevölkerung, und behauptet, daß in dieser Not wohl nur vom Staate, von der Gesetzgebung Abhilfe zu erwarten sei. Auch in letzterer Beziehung stimmen wir dem erwähnten Aufsatze bei, be¬ dauern es aber lebhaft, daß er nicht auch das „Wie" in den Kreis seiner Er¬ örterungen gezogen hat, fondern plötzlich mit der Bemerkung abbricht, dies nicht zu wissen. Grenzboten IV. 1386. 52

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/417
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/417>, abgerufen am 29.04.2024.