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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Bewegungen in der katholischen Welt.

s ist eine merkwürdige Zeit der Gegensätze, in der wir leben. Auf
der einen Seile ein fortschreitender Realismus, ein Jagen nach
den irdische"? Gütern, ein Zurückdrängen des Übersinnlichen und
damit in Verbindung ein Überhandnehmen der Irreligiosität, ein
Abstreifen der konfessionellen Bande. Dem gegenüber auf der
andern Seite eine Entfaltung des Glaubenskampfes, ein religiöser Fanatismuus,
wie er sich in dem Kulturkämpfe in der katholischen Kirche entwickelte, und der
Wunsch nach größerer Kräftigung und Entfaltung der evangelischen Kirche, wie
er sich namentlich in den Kreisen der preußischen Orthodoxie zeigt. Auf der
einen Seite der krasse Materialismus der Sozialdemokratie mit dem Wunsche
nud dem Ziele der Zerstörung des Bestehenden, und auf der andern Seite die
Heilung der sozialen Schäden auf dem Boden der echten christlichen Nächsten¬
liebe. Dabei die heterogensten Elemente, welche sich trotz der Verfolgung von
verschiednen Zielen miteinander zusammenscharen; die Epigonen der nchtnnd-
vierzigcr Demokraten, jener geschwornen Feinde des Katholizismus, heute in
enger Verbindung mit der von jesuitischen Grundsätzen geleiteten katholischen
Partei; die Enkel, deren Voreltern die Einheit Deutschlands erstrebten und ihren
jugendlichen Herzensdrang in den Kasematten der Festungen dämpfen lernten,
Arm in Arm mit der partiknlaristischen, von welsischen Führern geleiteten, auf die
Zerstörung der gewonnenen Neichseinheit abzielenden Fraktion. Ihnen gegenüber
alle diejenigen Elemente, welche unsre Kultur und unsre Bildung vertreten und
von dem anstürmenden Anarchismus in ihrem Besitzstande bedroht sind, in Un-
thätigkeit und Lethargie; statt die Kräfte zusammenzuhalten, um sich gegen den
gemeinsamen Feind zu schützen, zersplittern sie sich, weil sie nicht imstande sind,


GrenzbvtmIV. 1886. S7


Bewegungen in der katholischen Welt.

s ist eine merkwürdige Zeit der Gegensätze, in der wir leben. Auf
der einen Seile ein fortschreitender Realismus, ein Jagen nach
den irdische«? Gütern, ein Zurückdrängen des Übersinnlichen und
damit in Verbindung ein Überhandnehmen der Irreligiosität, ein
Abstreifen der konfessionellen Bande. Dem gegenüber auf der
andern Seite eine Entfaltung des Glaubenskampfes, ein religiöser Fanatismuus,
wie er sich in dem Kulturkämpfe in der katholischen Kirche entwickelte, und der
Wunsch nach größerer Kräftigung und Entfaltung der evangelischen Kirche, wie
er sich namentlich in den Kreisen der preußischen Orthodoxie zeigt. Auf der
einen Seite der krasse Materialismus der Sozialdemokratie mit dem Wunsche
nud dem Ziele der Zerstörung des Bestehenden, und auf der andern Seite die
Heilung der sozialen Schäden auf dem Boden der echten christlichen Nächsten¬
liebe. Dabei die heterogensten Elemente, welche sich trotz der Verfolgung von
verschiednen Zielen miteinander zusammenscharen; die Epigonen der nchtnnd-
vierzigcr Demokraten, jener geschwornen Feinde des Katholizismus, heute in
enger Verbindung mit der von jesuitischen Grundsätzen geleiteten katholischen
Partei; die Enkel, deren Voreltern die Einheit Deutschlands erstrebten und ihren
jugendlichen Herzensdrang in den Kasematten der Festungen dämpfen lernten,
Arm in Arm mit der partiknlaristischen, von welsischen Führern geleiteten, auf die
Zerstörung der gewonnenen Neichseinheit abzielenden Fraktion. Ihnen gegenüber
alle diejenigen Elemente, welche unsre Kultur und unsre Bildung vertreten und
von dem anstürmenden Anarchismus in ihrem Besitzstande bedroht sind, in Un-
thätigkeit und Lethargie; statt die Kräfte zusammenzuhalten, um sich gegen den
gemeinsamen Feind zu schützen, zersplittern sie sich, weil sie nicht imstande sind,


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[0457] [Abbildung] Bewegungen in der katholischen Welt. s ist eine merkwürdige Zeit der Gegensätze, in der wir leben. Auf der einen Seile ein fortschreitender Realismus, ein Jagen nach den irdische«? Gütern, ein Zurückdrängen des Übersinnlichen und damit in Verbindung ein Überhandnehmen der Irreligiosität, ein Abstreifen der konfessionellen Bande. Dem gegenüber auf der andern Seite eine Entfaltung des Glaubenskampfes, ein religiöser Fanatismuus, wie er sich in dem Kulturkämpfe in der katholischen Kirche entwickelte, und der Wunsch nach größerer Kräftigung und Entfaltung der evangelischen Kirche, wie er sich namentlich in den Kreisen der preußischen Orthodoxie zeigt. Auf der einen Seite der krasse Materialismus der Sozialdemokratie mit dem Wunsche nud dem Ziele der Zerstörung des Bestehenden, und auf der andern Seite die Heilung der sozialen Schäden auf dem Boden der echten christlichen Nächsten¬ liebe. Dabei die heterogensten Elemente, welche sich trotz der Verfolgung von verschiednen Zielen miteinander zusammenscharen; die Epigonen der nchtnnd- vierzigcr Demokraten, jener geschwornen Feinde des Katholizismus, heute in enger Verbindung mit der von jesuitischen Grundsätzen geleiteten katholischen Partei; die Enkel, deren Voreltern die Einheit Deutschlands erstrebten und ihren jugendlichen Herzensdrang in den Kasematten der Festungen dämpfen lernten, Arm in Arm mit der partiknlaristischen, von welsischen Führern geleiteten, auf die Zerstörung der gewonnenen Neichseinheit abzielenden Fraktion. Ihnen gegenüber alle diejenigen Elemente, welche unsre Kultur und unsre Bildung vertreten und von dem anstürmenden Anarchismus in ihrem Besitzstande bedroht sind, in Un- thätigkeit und Lethargie; statt die Kräfte zusammenzuhalten, um sich gegen den gemeinsamen Feind zu schützen, zersplittern sie sich, weil sie nicht imstande sind, GrenzbvtmIV. 1886. S7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/457>, abgerufen am 29.04.2024.