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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Der Hauptwert von Süvfles Buch liegt unstreitig in der Fülle von Ma¬
terial, welche hier zusammengetragen ist; in den Anmerkungen findet sich für
manche Partien eine erschöpfende Übersicht der Quellen und der einschlägigen
Literatur. Niemand wird das Buch ohne Belehrung aus der Hand legen, viele
wird es zu eigner Forschung anrege" und ihnen in dieser als treuer Wegweiser
dienen. Mit Spannung sehen wir dem Erscheinen des zweiten Bandes ent¬
gegen; denn wenn die deutsche Literatur auch später nie wieder von den Fran¬
zosen mit solcher Begeisterung aufgenommen worden ist, wie zur Zeit der
Haller und Geßner, wenn sie anch nie wieder die Teilnahme so großer Kreise
gewonnen hat, so wurde doch ihre Einwirkung auf die Höchstgebildeten der
Nation eine umso tiefere und nachhaltigere. Denn diese gaben doch die Welt¬
anschauung, welche ans ihrem Boden im vorigen Jahrhundert erwachsen ist --
den Rationalismus -- ebenso gut aus, wie die Höchstgebildeteu der übrigen
Kulturvölker, um dafür jene Ansicht von Natur und Geschichte, Staat und Ge¬
sellschaft in sich aufzunehmen, welche K. Hillcbrand mit einem treffenden Schlag¬
wort "Organismus" genannt hat; diese aber ist doch ganz ein Produkt des
deutschen Geisteslebens.


G. Guglia.


Neue Theaterstücke.
von Eugen Reichel. 2.

onnabend den 0. November beschenkte uns das "Deutsche Theater"
mit dem Schauspiel "Der schwarze Schleier" von Oskar Blumen¬
thal. Da es mir bei dieser Gelegenheit darum zu thun sein muß,
endlich einmal die ganze Nichtigkeit und Armseligkeit der "Kunst"
des Berliner Tageblatt>Kritikers an den Pranger zu stellen, so will
ich nur die an und für sich leichte Arbeit nicht noch dadurch erleichtern, daß
ich seinem neuesten Schauspiel die Ehre einer Betrachtung zu Teil werden lasse;
denn es ist ja diesmal das kaum Glaubliche geschehen, daß die Blumenthalsche
Neuigkeit mir eiuen höchst zweifelhaften Erfolg zu erringen, daß selbst die wohl¬
wollende Gesellschaft der Kritiker Berlins ihre großen Bedenken nicht zurück¬
zuhalten vermochte. Seit dem kläglichen Durchfall des eigenartigen Schauspiels
"Sammet und Seide" auf der Vühuc des Wallnertheaters (das keine so


Der Hauptwert von Süvfles Buch liegt unstreitig in der Fülle von Ma¬
terial, welche hier zusammengetragen ist; in den Anmerkungen findet sich für
manche Partien eine erschöpfende Übersicht der Quellen und der einschlägigen
Literatur. Niemand wird das Buch ohne Belehrung aus der Hand legen, viele
wird es zu eigner Forschung anrege» und ihnen in dieser als treuer Wegweiser
dienen. Mit Spannung sehen wir dem Erscheinen des zweiten Bandes ent¬
gegen; denn wenn die deutsche Literatur auch später nie wieder von den Fran¬
zosen mit solcher Begeisterung aufgenommen worden ist, wie zur Zeit der
Haller und Geßner, wenn sie anch nie wieder die Teilnahme so großer Kreise
gewonnen hat, so wurde doch ihre Einwirkung auf die Höchstgebildeten der
Nation eine umso tiefere und nachhaltigere. Denn diese gaben doch die Welt¬
anschauung, welche ans ihrem Boden im vorigen Jahrhundert erwachsen ist —
den Rationalismus — ebenso gut aus, wie die Höchstgebildeteu der übrigen
Kulturvölker, um dafür jene Ansicht von Natur und Geschichte, Staat und Ge¬
sellschaft in sich aufzunehmen, welche K. Hillcbrand mit einem treffenden Schlag¬
wort „Organismus" genannt hat; diese aber ist doch ganz ein Produkt des
deutschen Geisteslebens.


G. Guglia.


Neue Theaterstücke.
von Eugen Reichel. 2.

onnabend den 0. November beschenkte uns das „Deutsche Theater"
mit dem Schauspiel „Der schwarze Schleier" von Oskar Blumen¬
thal. Da es mir bei dieser Gelegenheit darum zu thun sein muß,
endlich einmal die ganze Nichtigkeit und Armseligkeit der „Kunst"
des Berliner Tageblatt>Kritikers an den Pranger zu stellen, so will
ich nur die an und für sich leichte Arbeit nicht noch dadurch erleichtern, daß
ich seinem neuesten Schauspiel die Ehre einer Betrachtung zu Teil werden lasse;
denn es ist ja diesmal das kaum Glaubliche geschehen, daß die Blumenthalsche
Neuigkeit mir eiuen höchst zweifelhaften Erfolg zu erringen, daß selbst die wohl¬
wollende Gesellschaft der Kritiker Berlins ihre großen Bedenken nicht zurück¬
zuhalten vermochte. Seit dem kläglichen Durchfall des eigenartigen Schauspiels
„Sammet und Seide" auf der Vühuc des Wallnertheaters (das keine so


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[0482] Der Hauptwert von Süvfles Buch liegt unstreitig in der Fülle von Ma¬ terial, welche hier zusammengetragen ist; in den Anmerkungen findet sich für manche Partien eine erschöpfende Übersicht der Quellen und der einschlägigen Literatur. Niemand wird das Buch ohne Belehrung aus der Hand legen, viele wird es zu eigner Forschung anrege» und ihnen in dieser als treuer Wegweiser dienen. Mit Spannung sehen wir dem Erscheinen des zweiten Bandes ent¬ gegen; denn wenn die deutsche Literatur auch später nie wieder von den Fran¬ zosen mit solcher Begeisterung aufgenommen worden ist, wie zur Zeit der Haller und Geßner, wenn sie anch nie wieder die Teilnahme so großer Kreise gewonnen hat, so wurde doch ihre Einwirkung auf die Höchstgebildeten der Nation eine umso tiefere und nachhaltigere. Denn diese gaben doch die Welt¬ anschauung, welche ans ihrem Boden im vorigen Jahrhundert erwachsen ist — den Rationalismus — ebenso gut aus, wie die Höchstgebildeteu der übrigen Kulturvölker, um dafür jene Ansicht von Natur und Geschichte, Staat und Ge¬ sellschaft in sich aufzunehmen, welche K. Hillcbrand mit einem treffenden Schlag¬ wort „Organismus" genannt hat; diese aber ist doch ganz ein Produkt des deutschen Geisteslebens. G. Guglia. Neue Theaterstücke. von Eugen Reichel. 2. onnabend den 0. November beschenkte uns das „Deutsche Theater" mit dem Schauspiel „Der schwarze Schleier" von Oskar Blumen¬ thal. Da es mir bei dieser Gelegenheit darum zu thun sein muß, endlich einmal die ganze Nichtigkeit und Armseligkeit der „Kunst" des Berliner Tageblatt>Kritikers an den Pranger zu stellen, so will ich nur die an und für sich leichte Arbeit nicht noch dadurch erleichtern, daß ich seinem neuesten Schauspiel die Ehre einer Betrachtung zu Teil werden lasse; denn es ist ja diesmal das kaum Glaubliche geschehen, daß die Blumenthalsche Neuigkeit mir eiuen höchst zweifelhaften Erfolg zu erringen, daß selbst die wohl¬ wollende Gesellschaft der Kritiker Berlins ihre großen Bedenken nicht zurück¬ zuhalten vermochte. Seit dem kläglichen Durchfall des eigenartigen Schauspiels „Sammet und Seide" auf der Vühuc des Wallnertheaters (das keine so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/482>, abgerufen am 29.04.2024.