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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Notiz.

Kind, du wirst dir doch den Ausbruch einer gereizten Stimmung, wie
sie Gott sei Dank bei ihm nur ausnahmsweise vorkommt, nicht ernstlich zu
Herzen nehmen? Ich glaube von dir selbst gehört zu haben, du könntest un¬
gerechte Vorwürfe ertragen.

Was mich schmerzt, Onkel, ist auch etwas andres. Ich sehe, daß er mehr
von mir erwartet, als ich leiste. Ich will und muß aber den Anforderungen
genügen, die an mich gestellt werden.

Nun, dann schaffe Geld, Julie. Ich verlange es.

Sie lachte. Das ist eben ein ganz unsinniges Verlangen.

Um nichts unsinniger, als von dir das Gleiche zu verlangen, wie von deinen
reichen Standesgenossinnen in der Residenz. Du thust, was in deiner Kraft
steht, das genügt unbedingt.

Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Ach, wie froh bin ich, daß
ich dich habe, d" lieber, lieber Onkel!

Weit weniger froh war unterdessen der Verbannte in seiner noch wenig
durchwärmten Stube.

Wie einen Knaben schickt er mich aus dem Zimmer, der gute Onkel! Nun,
meine Laune mag ihm wohl kindisch erschienen sein; er ist nicht Launen unter¬
worfen. Wie mag das kommen? Bin ich derselbe, der eben noch im Taumel
des erstohlencn Glückes schwelgte? Warum hält der Rausch nicht etwas länger
vor? Erbärmliches Leben, das uns den Wurm in den Apfel senkt, den Frost
in die Blüte! Warum bin ich nicht leichtsinnig genug, um genießen zu können?
Warum bin ich nicht stark genug, um zu entsagen? (Fortsetzung folgt.)




Notiz.

Das neue französische Volksschulgesetz. Seit der Niederlage von
1870 -- 1871 haben die Franzosen ernstlich an der Umwandlung ihres öffent¬
lichen Unterrichtswesens gearbeitet. Zu stände gekommen ist auf dem Gebiete des
Elementarunterrichts 1875 eine Gehaltserhöhung der Lehrer und Lehrerinnen, 1879
eine Reform der Seminare, 1881 eine Regelung der Zeugnisse und der Behandlung
der Ordensangchörigkeit (le-ttroL ä'odöäiouck) sowie die Aufhebung des Schulgeldes;
1382 die Regelung des Lehrstoffes, aus welchem das Konfessionelle ausgeschlossen
wurde (liüvitv eos xrogrÄ.wmos). An das letztere Gesetz schließt sich nnn das neueste
vom 30. Oktober d. I.

Es fügt zu der Laizität des Unterrichtsstoffes auch die Laizität (die Verstaat¬
lichung) des Unterrichtspersonals und die der Ernennung und Beförderung der
Lehrer hinzu, sodaß die Entkirchlichuug der Volksschule ziemlich vollendet ist.

Das Gesetz umfaßt sowohl die gewöhnliche Elementarschule (Alter von sechs
bis dreizehn Jahren) als auch die Vorstufen (Kleinkinderschulen, seolss w^toruslle-s,
öooles sokanLuvs) und die Ergänzungen, die gehobene Elementarschule. -- bei uns
Mittelschule --, Handfertigkeits- und Fortbildungsschule. Alle diese leicht in ein¬
ander überfließenden Schulen sollen ihre speziellen Unterrichtsgänge und Examina
bekommen, damit olle Konfusionen und Konflikte vermieden werden.

Artikel 6 stellt fest, daß Lehrerinnen den Vorzug vor Lehrern haben für alle
Klassen, die beide Geschlechter vereinigen (ßvolvs wixtvs). Die Frauen leiten also


Notiz.

Kind, du wirst dir doch den Ausbruch einer gereizten Stimmung, wie
sie Gott sei Dank bei ihm nur ausnahmsweise vorkommt, nicht ernstlich zu
Herzen nehmen? Ich glaube von dir selbst gehört zu haben, du könntest un¬
gerechte Vorwürfe ertragen.

Was mich schmerzt, Onkel, ist auch etwas andres. Ich sehe, daß er mehr
von mir erwartet, als ich leiste. Ich will und muß aber den Anforderungen
genügen, die an mich gestellt werden.

Nun, dann schaffe Geld, Julie. Ich verlange es.

Sie lachte. Das ist eben ein ganz unsinniges Verlangen.

Um nichts unsinniger, als von dir das Gleiche zu verlangen, wie von deinen
reichen Standesgenossinnen in der Residenz. Du thust, was in deiner Kraft
steht, das genügt unbedingt.

Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Ach, wie froh bin ich, daß
ich dich habe, d» lieber, lieber Onkel!

Weit weniger froh war unterdessen der Verbannte in seiner noch wenig
durchwärmten Stube.

Wie einen Knaben schickt er mich aus dem Zimmer, der gute Onkel! Nun,
meine Laune mag ihm wohl kindisch erschienen sein; er ist nicht Launen unter¬
worfen. Wie mag das kommen? Bin ich derselbe, der eben noch im Taumel
des erstohlencn Glückes schwelgte? Warum hält der Rausch nicht etwas länger
vor? Erbärmliches Leben, das uns den Wurm in den Apfel senkt, den Frost
in die Blüte! Warum bin ich nicht leichtsinnig genug, um genießen zu können?
Warum bin ich nicht stark genug, um zu entsagen? (Fortsetzung folgt.)




Notiz.

Das neue französische Volksschulgesetz. Seit der Niederlage von
1870 — 1871 haben die Franzosen ernstlich an der Umwandlung ihres öffent¬
lichen Unterrichtswesens gearbeitet. Zu stände gekommen ist auf dem Gebiete des
Elementarunterrichts 1875 eine Gehaltserhöhung der Lehrer und Lehrerinnen, 1879
eine Reform der Seminare, 1881 eine Regelung der Zeugnisse und der Behandlung
der Ordensangchörigkeit (le-ttroL ä'odöäiouck) sowie die Aufhebung des Schulgeldes;
1382 die Regelung des Lehrstoffes, aus welchem das Konfessionelle ausgeschlossen
wurde (liüvitv eos xrogrÄ.wmos). An das letztere Gesetz schließt sich nnn das neueste
vom 30. Oktober d. I.

Es fügt zu der Laizität des Unterrichtsstoffes auch die Laizität (die Verstaat¬
lichung) des Unterrichtspersonals und die der Ernennung und Beförderung der
Lehrer hinzu, sodaß die Entkirchlichuug der Volksschule ziemlich vollendet ist.

Das Gesetz umfaßt sowohl die gewöhnliche Elementarschule (Alter von sechs
bis dreizehn Jahren) als auch die Vorstufen (Kleinkinderschulen, seolss w^toruslle-s,
öooles sokanLuvs) und die Ergänzungen, die gehobene Elementarschule. — bei uns
Mittelschule —, Handfertigkeits- und Fortbildungsschule. Alle diese leicht in ein¬
ander überfließenden Schulen sollen ihre speziellen Unterrichtsgänge und Examina
bekommen, damit olle Konfusionen und Konflikte vermieden werden.

Artikel 6 stellt fest, daß Lehrerinnen den Vorzug vor Lehrern haben für alle
Klassen, die beide Geschlechter vereinigen (ßvolvs wixtvs). Die Frauen leiten also


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[0509] Notiz. Kind, du wirst dir doch den Ausbruch einer gereizten Stimmung, wie sie Gott sei Dank bei ihm nur ausnahmsweise vorkommt, nicht ernstlich zu Herzen nehmen? Ich glaube von dir selbst gehört zu haben, du könntest un¬ gerechte Vorwürfe ertragen. Was mich schmerzt, Onkel, ist auch etwas andres. Ich sehe, daß er mehr von mir erwartet, als ich leiste. Ich will und muß aber den Anforderungen genügen, die an mich gestellt werden. Nun, dann schaffe Geld, Julie. Ich verlange es. Sie lachte. Das ist eben ein ganz unsinniges Verlangen. Um nichts unsinniger, als von dir das Gleiche zu verlangen, wie von deinen reichen Standesgenossinnen in der Residenz. Du thust, was in deiner Kraft steht, das genügt unbedingt. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Ach, wie froh bin ich, daß ich dich habe, d» lieber, lieber Onkel! Weit weniger froh war unterdessen der Verbannte in seiner noch wenig durchwärmten Stube. Wie einen Knaben schickt er mich aus dem Zimmer, der gute Onkel! Nun, meine Laune mag ihm wohl kindisch erschienen sein; er ist nicht Launen unter¬ worfen. Wie mag das kommen? Bin ich derselbe, der eben noch im Taumel des erstohlencn Glückes schwelgte? Warum hält der Rausch nicht etwas länger vor? Erbärmliches Leben, das uns den Wurm in den Apfel senkt, den Frost in die Blüte! Warum bin ich nicht leichtsinnig genug, um genießen zu können? Warum bin ich nicht stark genug, um zu entsagen? (Fortsetzung folgt.) Notiz. Das neue französische Volksschulgesetz. Seit der Niederlage von 1870 — 1871 haben die Franzosen ernstlich an der Umwandlung ihres öffent¬ lichen Unterrichtswesens gearbeitet. Zu stände gekommen ist auf dem Gebiete des Elementarunterrichts 1875 eine Gehaltserhöhung der Lehrer und Lehrerinnen, 1879 eine Reform der Seminare, 1881 eine Regelung der Zeugnisse und der Behandlung der Ordensangchörigkeit (le-ttroL ä'odöäiouck) sowie die Aufhebung des Schulgeldes; 1382 die Regelung des Lehrstoffes, aus welchem das Konfessionelle ausgeschlossen wurde (liüvitv eos xrogrÄ.wmos). An das letztere Gesetz schließt sich nnn das neueste vom 30. Oktober d. I. Es fügt zu der Laizität des Unterrichtsstoffes auch die Laizität (die Verstaat¬ lichung) des Unterrichtspersonals und die der Ernennung und Beförderung der Lehrer hinzu, sodaß die Entkirchlichuug der Volksschule ziemlich vollendet ist. Das Gesetz umfaßt sowohl die gewöhnliche Elementarschule (Alter von sechs bis dreizehn Jahren) als auch die Vorstufen (Kleinkinderschulen, seolss w^toruslle-s, öooles sokanLuvs) und die Ergänzungen, die gehobene Elementarschule. — bei uns Mittelschule —, Handfertigkeits- und Fortbildungsschule. Alle diese leicht in ein¬ ander überfließenden Schulen sollen ihre speziellen Unterrichtsgänge und Examina bekommen, damit olle Konfusionen und Konflikte vermieden werden. Artikel 6 stellt fest, daß Lehrerinnen den Vorzug vor Lehrern haben für alle Klassen, die beide Geschlechter vereinigen (ßvolvs wixtvs). Die Frauen leiten also

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/509>, abgerufen am 29.04.2024.