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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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gcrmanisiren scheinen als die katholischen, Chur selbst ist bekanntlich, trotz
seines Bischofssitzes, weit überwiegend evangelisch.

Ein deutsches Herz darf eS jedenfalls mit Genugthuung empfinden, das;
den vielen Einbußen, den Verlusten in Österreich und Rußland auch Eroberungen
entsprechen: im Westen im Elsaß, im Osten in Sachsen und Preußen, und
schließlich im Süden in der Schweiz, Letzteres ist besonders beachtenswert,
weil die Schweiz kein Nationalstaat, sondern ein vielsprachiger Staatenbund ist.
Daß auch in ihm das Deutschtum so kräftig und erobernngsfcihig aufzutreten
vermag, darf als Zeichen seines eigentlich deutschen Wesens gelten, als Rück¬
wirkung des erstarkten Schwesterreiches im Norden, Wie viel näher hätte es
nicht den Churwälschen gelegen, die verwandte italienische Sprache einzuführen!
Hier war es wesentlich das Gewicht der Thatsache", der offenbare Nutzen, die
Größe des Hinterlandes deutscher Zunge, welche entschieden.




Ungehaltene Reveil eines Nichtgewählten.
19.

v beginnt denn von neuem die saure Arbeit, ja, meine Herren,
die herzlich saure Arbeit! Soll ich sie anders nennen, wenn sie
in der Vergangenheit vergeblich gewesen ist und wir uns nicht
d^' Hoffnung hingeben dürfen, sie werde in Zukunft etwas nützen?
Wie viel Mühe haben wir uns gegeben, durch smiftüberrcdende
Bitte die Minister zu bewegen, daß sie uns endlich Platz machen, wie oft haben
wir ihnen ihre gänzliche Unfähigkeit, ihre "niederträchtigen Absichten," die
Plünderung des armen Mannes u, f. w. vorgehalten! Alles umsonst, sie sind
nicht gewichen, und gebessert haben sie sich auch nicht, das liegt klar zu Tage.
Und dabei haben wir es zartsinnig stets vermieden, den Beweis der Wahrheit
anzutreten, weil wir nicht böses Blut machen wollten. Nun wird man sagen:
Wenn mit dem feinen Tone nichts erreicht wird, so redet deutlicher, seid grob,
ihr seid ja immun, bringt Thatsachen vor. Ja wenn wir nicht so gebildet,
so rücksichtsvoll, so bescheiden wären! So schwer es mir fällt, kann ich nicht
umhin, einen Tadel gegen die beiden größten Staatsmänner der Gegenwart
(Herrn Windthorst natürlich immer ausgenommen) auszusprechen. Die Kollegen
Richter und Nickert übertreiben nicht nur die Tugend der Bescheidenheit, sondern
verderben geradezu die parlamentarischen Umgangsformen durch ihren Hofton.
Wenn die Führer so schüchtern und leise auftreten, so glauben wir Angeführten
kaum noch uns ein lautes Wort erlauben zu dürfen. Und wenn man sich in


gcrmanisiren scheinen als die katholischen, Chur selbst ist bekanntlich, trotz
seines Bischofssitzes, weit überwiegend evangelisch.

Ein deutsches Herz darf eS jedenfalls mit Genugthuung empfinden, das;
den vielen Einbußen, den Verlusten in Österreich und Rußland auch Eroberungen
entsprechen: im Westen im Elsaß, im Osten in Sachsen und Preußen, und
schließlich im Süden in der Schweiz, Letzteres ist besonders beachtenswert,
weil die Schweiz kein Nationalstaat, sondern ein vielsprachiger Staatenbund ist.
Daß auch in ihm das Deutschtum so kräftig und erobernngsfcihig aufzutreten
vermag, darf als Zeichen seines eigentlich deutschen Wesens gelten, als Rück¬
wirkung des erstarkten Schwesterreiches im Norden, Wie viel näher hätte es
nicht den Churwälschen gelegen, die verwandte italienische Sprache einzuführen!
Hier war es wesentlich das Gewicht der Thatsache», der offenbare Nutzen, die
Größe des Hinterlandes deutscher Zunge, welche entschieden.




Ungehaltene Reveil eines Nichtgewählten.
19.

v beginnt denn von neuem die saure Arbeit, ja, meine Herren,
die herzlich saure Arbeit! Soll ich sie anders nennen, wenn sie
in der Vergangenheit vergeblich gewesen ist und wir uns nicht
d^' Hoffnung hingeben dürfen, sie werde in Zukunft etwas nützen?
Wie viel Mühe haben wir uns gegeben, durch smiftüberrcdende
Bitte die Minister zu bewegen, daß sie uns endlich Platz machen, wie oft haben
wir ihnen ihre gänzliche Unfähigkeit, ihre „niederträchtigen Absichten," die
Plünderung des armen Mannes u, f. w. vorgehalten! Alles umsonst, sie sind
nicht gewichen, und gebessert haben sie sich auch nicht, das liegt klar zu Tage.
Und dabei haben wir es zartsinnig stets vermieden, den Beweis der Wahrheit
anzutreten, weil wir nicht böses Blut machen wollten. Nun wird man sagen:
Wenn mit dem feinen Tone nichts erreicht wird, so redet deutlicher, seid grob,
ihr seid ja immun, bringt Thatsachen vor. Ja wenn wir nicht so gebildet,
so rücksichtsvoll, so bescheiden wären! So schwer es mir fällt, kann ich nicht
umhin, einen Tadel gegen die beiden größten Staatsmänner der Gegenwart
(Herrn Windthorst natürlich immer ausgenommen) auszusprechen. Die Kollegen
Richter und Nickert übertreiben nicht nur die Tugend der Bescheidenheit, sondern
verderben geradezu die parlamentarischen Umgangsformen durch ihren Hofton.
Wenn die Führer so schüchtern und leise auftreten, so glauben wir Angeführten
kaum noch uns ein lautes Wort erlauben zu dürfen. Und wenn man sich in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/548>, abgerufen am 29.04.2024.