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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Ein deutsches Seminar für neuere Philologie
in London.
von Franz Lange.

eit sich die Sprachen Englands und Frankreichs eine feste, jährlich
noch steigende Stellung an den deutschen Universitäten errungen
und mit ihren zum großen Teile noch unerschöpften Geistes-
erzeuguissen der Forschung einen neuen Weg in die Zukunft er¬
öffnet haben, muß es auch für den Staat von Wichtigkeit sein,
zu ergründen, wie sich ihre praktische Bedeutung am segensreichsten für die
Schulen des Landes verwerten und der größtmögliche Nutzen aus dem reichen
Füllhorn ihrer Literaturen ziehen läßt. Mehr und mehr erkennt man ihren
hohen Wert für die Ausbildung der Jugend an und achtet sie schon jetzt
-- sprechen wir es getrost aus -- als würdige Nebenbuhlerinnen der alt¬
klassischer Sprachen. Warum auch nicht? In den verschiednen Perioden ihrer
Entwicklung bieten sie uns nicht allein die Merkmale der klassischen Bildung
des Altertums dar im Wiederschein eigenartiger Vvlksanffassung, sondern vor
allem Geisteswerke, die in ihrer natürlichen Ursprünglichkeit uns das ganze
Leben und Fühlen des Volkes von seinem Entstehen bis ans die Gegenwart
vor Augen führe". Welch reiche Ausbeute hier noch des Bergmanns harrt,
wird erst die nächste Zukunft ganz ermessen können.

Um aber ihren Einfluß auch auf den Lehranstalten des Reiches zu er¬
höhen und die Jugend an den Erfolgen der neuern Philologie als praktischen
Wissenschaft teilnehmen zu lasse", ist es ein Hanpterfordemis der Zeit, daß die
Lehrer der "euer" Sprache" nicht nur eine wissenschaftliche, sondern auch eine
gründliche praktische Vorbildung genossen haben, ehe sie in den Staatsdienst
treten.

Dies Ziel wird aber nie vollständig erreicht werde", wenn der Studirende
nicht an der lebendigen Quelle selbst, in der Heimat der betreffenden Sprache,
ihr die Eigentümlichkeiten ihres Werdens, ihres Entwicklungsganges und ihrer
Vollkraft abgelauscht "ud in sich aufgenommen hat. Ihre Geschichte ist wohl
oft genug beschrieben worden, um auch den Fremdling auf sie aufmerksam zu
machen; ganz anders aber klingt sie aus dem Munde des Volkes, dem sie an¬
gehört, "ut a" den Stätten, wo sie einst gepflanzt und jetzt zu einem Hoch¬
stamm erwachsen ist, unter dessen grünenden Blätterdach sich das Geschick von


Ein deutsches Seminar für neuere Philologie
in London.
von Franz Lange.

eit sich die Sprachen Englands und Frankreichs eine feste, jährlich
noch steigende Stellung an den deutschen Universitäten errungen
und mit ihren zum großen Teile noch unerschöpften Geistes-
erzeuguissen der Forschung einen neuen Weg in die Zukunft er¬
öffnet haben, muß es auch für den Staat von Wichtigkeit sein,
zu ergründen, wie sich ihre praktische Bedeutung am segensreichsten für die
Schulen des Landes verwerten und der größtmögliche Nutzen aus dem reichen
Füllhorn ihrer Literaturen ziehen läßt. Mehr und mehr erkennt man ihren
hohen Wert für die Ausbildung der Jugend an und achtet sie schon jetzt
— sprechen wir es getrost aus — als würdige Nebenbuhlerinnen der alt¬
klassischer Sprachen. Warum auch nicht? In den verschiednen Perioden ihrer
Entwicklung bieten sie uns nicht allein die Merkmale der klassischen Bildung
des Altertums dar im Wiederschein eigenartiger Vvlksanffassung, sondern vor
allem Geisteswerke, die in ihrer natürlichen Ursprünglichkeit uns das ganze
Leben und Fühlen des Volkes von seinem Entstehen bis ans die Gegenwart
vor Augen führe». Welch reiche Ausbeute hier noch des Bergmanns harrt,
wird erst die nächste Zukunft ganz ermessen können.

Um aber ihren Einfluß auch auf den Lehranstalten des Reiches zu er¬
höhen und die Jugend an den Erfolgen der neuern Philologie als praktischen
Wissenschaft teilnehmen zu lasse», ist es ein Hanpterfordemis der Zeit, daß die
Lehrer der »euer» Sprache» nicht nur eine wissenschaftliche, sondern auch eine
gründliche praktische Vorbildung genossen haben, ehe sie in den Staatsdienst
treten.

Dies Ziel wird aber nie vollständig erreicht werde», wenn der Studirende
nicht an der lebendigen Quelle selbst, in der Heimat der betreffenden Sprache,
ihr die Eigentümlichkeiten ihres Werdens, ihres Entwicklungsganges und ihrer
Vollkraft abgelauscht »ud in sich aufgenommen hat. Ihre Geschichte ist wohl
oft genug beschrieben worden, um auch den Fremdling auf sie aufmerksam zu
machen; ganz anders aber klingt sie aus dem Munde des Volkes, dem sie an¬
gehört, »ut a» den Stätten, wo sie einst gepflanzt und jetzt zu einem Hoch¬
stamm erwachsen ist, unter dessen grünenden Blätterdach sich das Geschick von


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[0581] Ein deutsches Seminar für neuere Philologie in London. von Franz Lange. eit sich die Sprachen Englands und Frankreichs eine feste, jährlich noch steigende Stellung an den deutschen Universitäten errungen und mit ihren zum großen Teile noch unerschöpften Geistes- erzeuguissen der Forschung einen neuen Weg in die Zukunft er¬ öffnet haben, muß es auch für den Staat von Wichtigkeit sein, zu ergründen, wie sich ihre praktische Bedeutung am segensreichsten für die Schulen des Landes verwerten und der größtmögliche Nutzen aus dem reichen Füllhorn ihrer Literaturen ziehen läßt. Mehr und mehr erkennt man ihren hohen Wert für die Ausbildung der Jugend an und achtet sie schon jetzt — sprechen wir es getrost aus — als würdige Nebenbuhlerinnen der alt¬ klassischer Sprachen. Warum auch nicht? In den verschiednen Perioden ihrer Entwicklung bieten sie uns nicht allein die Merkmale der klassischen Bildung des Altertums dar im Wiederschein eigenartiger Vvlksanffassung, sondern vor allem Geisteswerke, die in ihrer natürlichen Ursprünglichkeit uns das ganze Leben und Fühlen des Volkes von seinem Entstehen bis ans die Gegenwart vor Augen führe». Welch reiche Ausbeute hier noch des Bergmanns harrt, wird erst die nächste Zukunft ganz ermessen können. Um aber ihren Einfluß auch auf den Lehranstalten des Reiches zu er¬ höhen und die Jugend an den Erfolgen der neuern Philologie als praktischen Wissenschaft teilnehmen zu lasse», ist es ein Hanpterfordemis der Zeit, daß die Lehrer der »euer» Sprache» nicht nur eine wissenschaftliche, sondern auch eine gründliche praktische Vorbildung genossen haben, ehe sie in den Staatsdienst treten. Dies Ziel wird aber nie vollständig erreicht werde», wenn der Studirende nicht an der lebendigen Quelle selbst, in der Heimat der betreffenden Sprache, ihr die Eigentümlichkeiten ihres Werdens, ihres Entwicklungsganges und ihrer Vollkraft abgelauscht »ud in sich aufgenommen hat. Ihre Geschichte ist wohl oft genug beschrieben worden, um auch den Fremdling auf sie aufmerksam zu machen; ganz anders aber klingt sie aus dem Munde des Volkes, dem sie an¬ gehört, »ut a» den Stätten, wo sie einst gepflanzt und jetzt zu einem Hoch¬ stamm erwachsen ist, unter dessen grünenden Blätterdach sich das Geschick von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/581>, abgerufen am 29.04.2024.