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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Ans der Lhronik derer von Riffelshausen.

Er wollte noch an demselben Abend nach Erfurt zurückkehren, doch es
warteten seiner zu Hause Ueberraschungen, die diesen Entschluß änderten. Er
fand Anton mit wachswcißcm Gesichte, verbundenem Arme und Wundfieber im
Bette liegen und Mathilde am Arme des Trübenseer Pfarres, der sie ganz
dreist du und Mathilde nannte.




Dreiundvierzigstes Aavitel.

Trotz Mathildens Verlobung herrschte in dieser Zeit eine trübe Stimmung
in dem alten Herrenhause. Valerians stehender Posten war an Antons Bett.
Doktor Petri meinte zwar, dem fiebernden Kranken sei Ruhe weit zuträglicher
als Gesellschaft; da aber Valer heilig schwur, weder mit dem Bruder zu dis-
Putiren noch auch Reden zu halten, so wurde seine Gegenwart geduldet. Spät
abends wanderte er dann hinaus und stand an der Parkmauer, gerade dort,
wo man die Moosdorfer Straße ersehen kann, wie sie allmcilig über die Brücke
durch die Hohle herniedersteigt.

Es kommt zu viel auf einmal! rief Tante Cäcilie, ich kann nicht mehr!
Was denkt ihr denn, Kinder, ich bin nun fünfzig!

Füufundvierzig, verbesserte Mathilde.

Die Veranlassung dieses Znsammcnbrechens war, ein Besuch Trakelbergs.

Nun, das bleibt sich gleich, sage ich. Sie haben also wieder Kindtaufe,
Herr Tralelberg?

Ach, nein doch, gnädiges Fräulein, ich --

Nicht? Nun, was haben Sie denn sonst?

Erlauben Sie, gnädiges Fräulein, gestatten Sie mir die Versicherung, daß
ich ganz eigens gekommen bin, um Fräulein Mathilde --

Herr Gott, ist denn Ihre Frau gestorben? Nun, Sie hören aber doch,
daß Mathilde sich mit dem schrecklichen Richter (ihre Stimme hob sich) verlobt
hat! Was würde der selige Bvhemund sagen! Er muß sich ja im Grabe um¬
drehen !"

In diesem Augenblicke trat der "schreckliche Richter ins Zimmer, schob der
stöhnenden Cäcilie in seiner eigenmächtigen Weise einen Stuhl hin und begrüßte
Tralelberg, der nur, um Mathilden zu gratuliren, die Reise uach Siebenhofeu
unternommen hatte.

Uebrigens war Tante Cäcilie nicht die einzige, die gegen Mathildens Wahl
eingenommen war; auch die übrigen Familienmitglieder duldeten diese Ver¬
lobung mehr, als daß sie sie freudig begrüßt hätten. Wenn er sie nur nicht
unglücklich macht! sagte Julie zu Valer, und dieser meinte: Wie soll sie nnr
das Leben aushalten, das er führt, die arme Mathilde!

Mathilden war es in all ihrem Glück ein geheimer Kummer, zu sehen, daß
Julie dem jungen Pfarrer, so viel sie nur konnte, ans dein Wege ging. Wenn
er dir nur halb so gut gefiele wie mir! sagte sie einmal, und Julie erwiederte:
Ich habe ja nichts mehr gegen ihn einzuwenden, seit ich weiß, daß er dich liebt.

Mit Julien sowohl als mit Valer war eine seltsame Veränderung vor¬
gegangen.

Ich habe meinen Korb erhalten, hatte Valer der Tante lächelnd gesagt,
und die Geschichte ist aus. Aber nie vorher hatte ihn Cäcilie so sauft sprechen


Grenzboten IV. 1886. 76
Ans der Lhronik derer von Riffelshausen.

Er wollte noch an demselben Abend nach Erfurt zurückkehren, doch es
warteten seiner zu Hause Ueberraschungen, die diesen Entschluß änderten. Er
fand Anton mit wachswcißcm Gesichte, verbundenem Arme und Wundfieber im
Bette liegen und Mathilde am Arme des Trübenseer Pfarres, der sie ganz
dreist du und Mathilde nannte.




Dreiundvierzigstes Aavitel.

Trotz Mathildens Verlobung herrschte in dieser Zeit eine trübe Stimmung
in dem alten Herrenhause. Valerians stehender Posten war an Antons Bett.
Doktor Petri meinte zwar, dem fiebernden Kranken sei Ruhe weit zuträglicher
als Gesellschaft; da aber Valer heilig schwur, weder mit dem Bruder zu dis-
Putiren noch auch Reden zu halten, so wurde seine Gegenwart geduldet. Spät
abends wanderte er dann hinaus und stand an der Parkmauer, gerade dort,
wo man die Moosdorfer Straße ersehen kann, wie sie allmcilig über die Brücke
durch die Hohle herniedersteigt.

Es kommt zu viel auf einmal! rief Tante Cäcilie, ich kann nicht mehr!
Was denkt ihr denn, Kinder, ich bin nun fünfzig!

Füufundvierzig, verbesserte Mathilde.

Die Veranlassung dieses Znsammcnbrechens war, ein Besuch Trakelbergs.

Nun, das bleibt sich gleich, sage ich. Sie haben also wieder Kindtaufe,
Herr Tralelberg?

Ach, nein doch, gnädiges Fräulein, ich —

Nicht? Nun, was haben Sie denn sonst?

Erlauben Sie, gnädiges Fräulein, gestatten Sie mir die Versicherung, daß
ich ganz eigens gekommen bin, um Fräulein Mathilde —

Herr Gott, ist denn Ihre Frau gestorben? Nun, Sie hören aber doch,
daß Mathilde sich mit dem schrecklichen Richter (ihre Stimme hob sich) verlobt
hat! Was würde der selige Bvhemund sagen! Er muß sich ja im Grabe um¬
drehen !"

In diesem Augenblicke trat der „schreckliche Richter ins Zimmer, schob der
stöhnenden Cäcilie in seiner eigenmächtigen Weise einen Stuhl hin und begrüßte
Tralelberg, der nur, um Mathilden zu gratuliren, die Reise uach Siebenhofeu
unternommen hatte.

Uebrigens war Tante Cäcilie nicht die einzige, die gegen Mathildens Wahl
eingenommen war; auch die übrigen Familienmitglieder duldeten diese Ver¬
lobung mehr, als daß sie sie freudig begrüßt hätten. Wenn er sie nur nicht
unglücklich macht! sagte Julie zu Valer, und dieser meinte: Wie soll sie nnr
das Leben aushalten, das er führt, die arme Mathilde!

Mathilden war es in all ihrem Glück ein geheimer Kummer, zu sehen, daß
Julie dem jungen Pfarrer, so viel sie nur konnte, ans dein Wege ging. Wenn
er dir nur halb so gut gefiele wie mir! sagte sie einmal, und Julie erwiederte:
Ich habe ja nichts mehr gegen ihn einzuwenden, seit ich weiß, daß er dich liebt.

Mit Julien sowohl als mit Valer war eine seltsame Veränderung vor¬
gegangen.

Ich habe meinen Korb erhalten, hatte Valer der Tante lächelnd gesagt,
und die Geschichte ist aus. Aber nie vorher hatte ihn Cäcilie so sauft sprechen


Grenzboten IV. 1886. 76
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[0609] Ans der Lhronik derer von Riffelshausen. Er wollte noch an demselben Abend nach Erfurt zurückkehren, doch es warteten seiner zu Hause Ueberraschungen, die diesen Entschluß änderten. Er fand Anton mit wachswcißcm Gesichte, verbundenem Arme und Wundfieber im Bette liegen und Mathilde am Arme des Trübenseer Pfarres, der sie ganz dreist du und Mathilde nannte. Dreiundvierzigstes Aavitel. Trotz Mathildens Verlobung herrschte in dieser Zeit eine trübe Stimmung in dem alten Herrenhause. Valerians stehender Posten war an Antons Bett. Doktor Petri meinte zwar, dem fiebernden Kranken sei Ruhe weit zuträglicher als Gesellschaft; da aber Valer heilig schwur, weder mit dem Bruder zu dis- Putiren noch auch Reden zu halten, so wurde seine Gegenwart geduldet. Spät abends wanderte er dann hinaus und stand an der Parkmauer, gerade dort, wo man die Moosdorfer Straße ersehen kann, wie sie allmcilig über die Brücke durch die Hohle herniedersteigt. Es kommt zu viel auf einmal! rief Tante Cäcilie, ich kann nicht mehr! Was denkt ihr denn, Kinder, ich bin nun fünfzig! Füufundvierzig, verbesserte Mathilde. Die Veranlassung dieses Znsammcnbrechens war, ein Besuch Trakelbergs. Nun, das bleibt sich gleich, sage ich. Sie haben also wieder Kindtaufe, Herr Tralelberg? Ach, nein doch, gnädiges Fräulein, ich — Nicht? Nun, was haben Sie denn sonst? Erlauben Sie, gnädiges Fräulein, gestatten Sie mir die Versicherung, daß ich ganz eigens gekommen bin, um Fräulein Mathilde — Herr Gott, ist denn Ihre Frau gestorben? Nun, Sie hören aber doch, daß Mathilde sich mit dem schrecklichen Richter (ihre Stimme hob sich) verlobt hat! Was würde der selige Bvhemund sagen! Er muß sich ja im Grabe um¬ drehen !" In diesem Augenblicke trat der „schreckliche Richter ins Zimmer, schob der stöhnenden Cäcilie in seiner eigenmächtigen Weise einen Stuhl hin und begrüßte Tralelberg, der nur, um Mathilden zu gratuliren, die Reise uach Siebenhofeu unternommen hatte. Uebrigens war Tante Cäcilie nicht die einzige, die gegen Mathildens Wahl eingenommen war; auch die übrigen Familienmitglieder duldeten diese Ver¬ lobung mehr, als daß sie sie freudig begrüßt hätten. Wenn er sie nur nicht unglücklich macht! sagte Julie zu Valer, und dieser meinte: Wie soll sie nnr das Leben aushalten, das er führt, die arme Mathilde! Mathilden war es in all ihrem Glück ein geheimer Kummer, zu sehen, daß Julie dem jungen Pfarrer, so viel sie nur konnte, ans dein Wege ging. Wenn er dir nur halb so gut gefiele wie mir! sagte sie einmal, und Julie erwiederte: Ich habe ja nichts mehr gegen ihn einzuwenden, seit ich weiß, daß er dich liebt. Mit Julien sowohl als mit Valer war eine seltsame Veränderung vor¬ gegangen. Ich habe meinen Korb erhalten, hatte Valer der Tante lächelnd gesagt, und die Geschichte ist aus. Aber nie vorher hatte ihn Cäcilie so sauft sprechen Grenzboten IV. 1886. 76

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/609>, abgerufen am 29.04.2024.