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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Aus der Lhronik derer von Riffelslmusen.

zu streben, wenn ich begraben bin? Du darfst deinen Halt nicht außer dir
suchen! Und nun laß uns Frieden schließen, nicht? Du liegst doch noch in Fehde
mit der Tante?

Sie lächelte mit Thränen in den Augen und sagte: Du bist ein böser Onkel!
Nächstens verbietest du mir noch, dich lieb zu habe". Aber dann sollst du
sehen, wie ungehorsam ich sein kann. Wenn ich das Gute und dich nicht recht
auseinander zu halten vermag, wer ist daran wohl schuld als du?




Sechsundvierzigstes Aavitel.

Die ungeheure Kriegstragödie ging indessen weiter. Schritt für Schritt, ge¬
messen und doch unaufhaltsam, brach das Verderben über Frankreich herein. Die
drei Schlachten bei Metz waren geschlagen, wieder herrschte ein fieberhafter Jubel,
der Krieg schien zu Ende. Aber die Freude sollte gedämpft werden.

Die Herrschaft in Sicbeuhofeu las die Kreuzzeitung. Sie war während
dieser Zeit sehr eintönig.

Vorgestern starb mein einzig geliebter Sohn den Tod für König und
Vaterland. -- Gestern wurden drei meiner Söhne im Kampfe für König und
Vaterland von französischen Kugeln durchbohrt. -- So ging es weiter, drei,
vier Spalten, tagaus, tagein. Die edelste Jugend des Landes lag tot in
fremder Erde.

Es war am Vormittage des dritten September. Georg sah, durch einen
ungewohnten Lärm aufgestört, zum Fenster hinaus und traute seinen Augen
kaum. Eine Barbarenhorde schien durch das Thor eingedrungen. Wildes Jauchze"
und Hurrahrufen, ein Springen wie von Besessenen, die Mützen flogen in die
Lust. In der Mitte der Schreier befand sich der kleine Oberförster Dusele, die
grüne Uniform war ihm halb vom Leibe gerissen, Georg sah schon von weitem,
wie er nach allen Seiten lächelte und gestikulirte, die vollendete Karikatur.

Was ist los, ihr Leute? rief der Baron.

Wir haben ihn! schrie alles durcheinander.

Wen denn?

Den Kaiser!

Seid ihr denn besessen? Georg erblaßte.

Mittlerweile waren die sämtlichen Hausgenossen, Tante Cäcilie, Julie,
die Minna und der Schmidt, vor die Thüre gelaufen. Die tolle Aufregung
teilte sich allen mit.

Jetzt trat Dusele, zierlich hüpfend, vor die Damen und deklamirte in
singendem Tone:

Der Landbvte, der nüchternste aus dem Schwärme, übergab dem Baron
das amtliche Telegramm, welches die Gefangeuucchme des französischen Kaisers
meldete. Georg las es laut, die Sicbenhofner schrieen aufs neue, der Schmidt


Aus der Lhronik derer von Riffelslmusen.

zu streben, wenn ich begraben bin? Du darfst deinen Halt nicht außer dir
suchen! Und nun laß uns Frieden schließen, nicht? Du liegst doch noch in Fehde
mit der Tante?

Sie lächelte mit Thränen in den Augen und sagte: Du bist ein böser Onkel!
Nächstens verbietest du mir noch, dich lieb zu habe». Aber dann sollst du
sehen, wie ungehorsam ich sein kann. Wenn ich das Gute und dich nicht recht
auseinander zu halten vermag, wer ist daran wohl schuld als du?




Sechsundvierzigstes Aavitel.

Die ungeheure Kriegstragödie ging indessen weiter. Schritt für Schritt, ge¬
messen und doch unaufhaltsam, brach das Verderben über Frankreich herein. Die
drei Schlachten bei Metz waren geschlagen, wieder herrschte ein fieberhafter Jubel,
der Krieg schien zu Ende. Aber die Freude sollte gedämpft werden.

Die Herrschaft in Sicbeuhofeu las die Kreuzzeitung. Sie war während
dieser Zeit sehr eintönig.

Vorgestern starb mein einzig geliebter Sohn den Tod für König und
Vaterland. — Gestern wurden drei meiner Söhne im Kampfe für König und
Vaterland von französischen Kugeln durchbohrt. — So ging es weiter, drei,
vier Spalten, tagaus, tagein. Die edelste Jugend des Landes lag tot in
fremder Erde.

Es war am Vormittage des dritten September. Georg sah, durch einen
ungewohnten Lärm aufgestört, zum Fenster hinaus und traute seinen Augen
kaum. Eine Barbarenhorde schien durch das Thor eingedrungen. Wildes Jauchze«
und Hurrahrufen, ein Springen wie von Besessenen, die Mützen flogen in die
Lust. In der Mitte der Schreier befand sich der kleine Oberförster Dusele, die
grüne Uniform war ihm halb vom Leibe gerissen, Georg sah schon von weitem,
wie er nach allen Seiten lächelte und gestikulirte, die vollendete Karikatur.

Was ist los, ihr Leute? rief der Baron.

Wir haben ihn! schrie alles durcheinander.

Wen denn?

Den Kaiser!

Seid ihr denn besessen? Georg erblaßte.

Mittlerweile waren die sämtlichen Hausgenossen, Tante Cäcilie, Julie,
die Minna und der Schmidt, vor die Thüre gelaufen. Die tolle Aufregung
teilte sich allen mit.

Jetzt trat Dusele, zierlich hüpfend, vor die Damen und deklamirte in
singendem Tone:

Der Landbvte, der nüchternste aus dem Schwärme, übergab dem Baron
das amtliche Telegramm, welches die Gefangeuucchme des französischen Kaisers
meldete. Georg las es laut, die Sicbenhofner schrieen aufs neue, der Schmidt


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[0655] Aus der Lhronik derer von Riffelslmusen. zu streben, wenn ich begraben bin? Du darfst deinen Halt nicht außer dir suchen! Und nun laß uns Frieden schließen, nicht? Du liegst doch noch in Fehde mit der Tante? Sie lächelte mit Thränen in den Augen und sagte: Du bist ein böser Onkel! Nächstens verbietest du mir noch, dich lieb zu habe». Aber dann sollst du sehen, wie ungehorsam ich sein kann. Wenn ich das Gute und dich nicht recht auseinander zu halten vermag, wer ist daran wohl schuld als du? Sechsundvierzigstes Aavitel. Die ungeheure Kriegstragödie ging indessen weiter. Schritt für Schritt, ge¬ messen und doch unaufhaltsam, brach das Verderben über Frankreich herein. Die drei Schlachten bei Metz waren geschlagen, wieder herrschte ein fieberhafter Jubel, der Krieg schien zu Ende. Aber die Freude sollte gedämpft werden. Die Herrschaft in Sicbeuhofeu las die Kreuzzeitung. Sie war während dieser Zeit sehr eintönig. Vorgestern starb mein einzig geliebter Sohn den Tod für König und Vaterland. — Gestern wurden drei meiner Söhne im Kampfe für König und Vaterland von französischen Kugeln durchbohrt. — So ging es weiter, drei, vier Spalten, tagaus, tagein. Die edelste Jugend des Landes lag tot in fremder Erde. Es war am Vormittage des dritten September. Georg sah, durch einen ungewohnten Lärm aufgestört, zum Fenster hinaus und traute seinen Augen kaum. Eine Barbarenhorde schien durch das Thor eingedrungen. Wildes Jauchze« und Hurrahrufen, ein Springen wie von Besessenen, die Mützen flogen in die Lust. In der Mitte der Schreier befand sich der kleine Oberförster Dusele, die grüne Uniform war ihm halb vom Leibe gerissen, Georg sah schon von weitem, wie er nach allen Seiten lächelte und gestikulirte, die vollendete Karikatur. Was ist los, ihr Leute? rief der Baron. Wir haben ihn! schrie alles durcheinander. Wen denn? Den Kaiser! Seid ihr denn besessen? Georg erblaßte. Mittlerweile waren die sämtlichen Hausgenossen, Tante Cäcilie, Julie, die Minna und der Schmidt, vor die Thüre gelaufen. Die tolle Aufregung teilte sich allen mit. Jetzt trat Dusele, zierlich hüpfend, vor die Damen und deklamirte in singendem Tone: Der Landbvte, der nüchternste aus dem Schwärme, übergab dem Baron das amtliche Telegramm, welches die Gefangeuucchme des französischen Kaisers meldete. Georg las es laut, die Sicbenhofner schrieen aufs neue, der Schmidt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/655>, abgerufen am 29.04.2024.