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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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Die moderne Arbeiterbewegung.

sich einmal bezeichnet hat, d. h. ein alter Kammerintngant für eine Abstimmung
zusammenwirbt, bei uns nicht dasselbe ausrichten wie in dem Musterkarte der
parlamentarischen Negierung.




Die moderne Arbeiterbewegung.

le ständigen Nachrichten über umfassende Arbeitseinstellungen,
tumultuarische Kundgebungen der "Arbeitslosen" und damit
verbundene Gewaltthätigkeiten aller Art, denen man seit geraumer
Zeit in der Tagespresse jedes Industrielandes begegnet, lassen
kaum einen Zweifel darüber, daß es sich hier um Anzeichen eines
wirtschaftlichen Gährungsprozesses handelt, der die gesamte moderne Kulturwelt
in Mitleidenschaft zieht. Erwögt mau ferner, wie diese bedenklichen Erscheinungen
seit einigen Jahren sich zeitlich und räumlich immer weiter ausdehnen, mit wie
steigender Erbitterung die "Lohnkämpfe" ausgefochten werden, um nur noch
größeres Elend über die schon Besitzlosen, wirtschaftlichen Ruin über die noch
Besitzenden zu bringen, und wie diese Erscheinungen in allen Kulturländern den¬
selben gleichartigen Grundcharakter zeigen, so glaubt man unwillkürlich schon das
ferne Brausen einer sozialen Sturmflut zu vernehmen, welche, einmal zum Durch¬
bruch gelangt, jedenfalls an Gewaltthätigkeit und Großartigkeit alle ähnlichen
Vorgänge der Weltgeschichte weit hinter sich lassen würde.

Man wird kaum fehlgehen, wenn man den gleichen Wirkungen auch gleiche
Ursachen zu Grunde legt, und diese vornehmlich in dem Entwicklungsgange des
modernen Produktionsprozesses sucht. Solange noch ein gewisses Gleichgewicht
zwischen Groß- und Kleinbesitz herrschte und der Nichtbesitz wenigstens "aus
der Hand in den Mund" lebte, war der soziale Friede gesichert, und wenn
einmal hie oder da eine Störung eintrat, so war sie doch stets zeitlich und
räumlich begrenzt. Als aber die technische Entwicklung des modernen Jn-
dustrialismus allmählich zu einem förmlichen Nvllentansch zwischen Arbeiter und
Maschine führte und in Verbindung mit den gleichzeitigen Errungenschaften auf
dein Gebiete des Verkehrs- und Transportwesens dem fabrikmäßigen Gro߬
betrieb gegenüber dem handwerksmäßigen Kleinbetriebe ein unnatürliches Über¬
gewicht verlieh, da begann der Bau des sozialen Organismus sich in allen
Fugen zu lockern, und es entwickelten sich Gegensätze, wie sie einerseits in den
ungeheuerlichen, Staat wie Gesellschaft gleich gefährdenden Vermvgensmassen
eines Vanderbilt, anderseits in dem oft unmenschlichen Prvletaricrelend inmitten
der Brennpunkte moderner Kultur zu Tage treten. Dazu kommt dann noch,


Die moderne Arbeiterbewegung.

sich einmal bezeichnet hat, d. h. ein alter Kammerintngant für eine Abstimmung
zusammenwirbt, bei uns nicht dasselbe ausrichten wie in dem Musterkarte der
parlamentarischen Negierung.




Die moderne Arbeiterbewegung.

le ständigen Nachrichten über umfassende Arbeitseinstellungen,
tumultuarische Kundgebungen der „Arbeitslosen" und damit
verbundene Gewaltthätigkeiten aller Art, denen man seit geraumer
Zeit in der Tagespresse jedes Industrielandes begegnet, lassen
kaum einen Zweifel darüber, daß es sich hier um Anzeichen eines
wirtschaftlichen Gährungsprozesses handelt, der die gesamte moderne Kulturwelt
in Mitleidenschaft zieht. Erwögt mau ferner, wie diese bedenklichen Erscheinungen
seit einigen Jahren sich zeitlich und räumlich immer weiter ausdehnen, mit wie
steigender Erbitterung die „Lohnkämpfe" ausgefochten werden, um nur noch
größeres Elend über die schon Besitzlosen, wirtschaftlichen Ruin über die noch
Besitzenden zu bringen, und wie diese Erscheinungen in allen Kulturländern den¬
selben gleichartigen Grundcharakter zeigen, so glaubt man unwillkürlich schon das
ferne Brausen einer sozialen Sturmflut zu vernehmen, welche, einmal zum Durch¬
bruch gelangt, jedenfalls an Gewaltthätigkeit und Großartigkeit alle ähnlichen
Vorgänge der Weltgeschichte weit hinter sich lassen würde.

Man wird kaum fehlgehen, wenn man den gleichen Wirkungen auch gleiche
Ursachen zu Grunde legt, und diese vornehmlich in dem Entwicklungsgange des
modernen Produktionsprozesses sucht. Solange noch ein gewisses Gleichgewicht
zwischen Groß- und Kleinbesitz herrschte und der Nichtbesitz wenigstens „aus
der Hand in den Mund" lebte, war der soziale Friede gesichert, und wenn
einmal hie oder da eine Störung eintrat, so war sie doch stets zeitlich und
räumlich begrenzt. Als aber die technische Entwicklung des modernen Jn-
dustrialismus allmählich zu einem förmlichen Nvllentansch zwischen Arbeiter und
Maschine führte und in Verbindung mit den gleichzeitigen Errungenschaften auf
dein Gebiete des Verkehrs- und Transportwesens dem fabrikmäßigen Gro߬
betrieb gegenüber dem handwerksmäßigen Kleinbetriebe ein unnatürliches Über¬
gewicht verlieh, da begann der Bau des sozialen Organismus sich in allen
Fugen zu lockern, und es entwickelten sich Gegensätze, wie sie einerseits in den
ungeheuerlichen, Staat wie Gesellschaft gleich gefährdenden Vermvgensmassen
eines Vanderbilt, anderseits in dem oft unmenschlichen Prvletaricrelend inmitten
der Brennpunkte moderner Kultur zu Tage treten. Dazu kommt dann noch,


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[0066] Die moderne Arbeiterbewegung. sich einmal bezeichnet hat, d. h. ein alter Kammerintngant für eine Abstimmung zusammenwirbt, bei uns nicht dasselbe ausrichten wie in dem Musterkarte der parlamentarischen Negierung. Die moderne Arbeiterbewegung. le ständigen Nachrichten über umfassende Arbeitseinstellungen, tumultuarische Kundgebungen der „Arbeitslosen" und damit verbundene Gewaltthätigkeiten aller Art, denen man seit geraumer Zeit in der Tagespresse jedes Industrielandes begegnet, lassen kaum einen Zweifel darüber, daß es sich hier um Anzeichen eines wirtschaftlichen Gährungsprozesses handelt, der die gesamte moderne Kulturwelt in Mitleidenschaft zieht. Erwögt mau ferner, wie diese bedenklichen Erscheinungen seit einigen Jahren sich zeitlich und räumlich immer weiter ausdehnen, mit wie steigender Erbitterung die „Lohnkämpfe" ausgefochten werden, um nur noch größeres Elend über die schon Besitzlosen, wirtschaftlichen Ruin über die noch Besitzenden zu bringen, und wie diese Erscheinungen in allen Kulturländern den¬ selben gleichartigen Grundcharakter zeigen, so glaubt man unwillkürlich schon das ferne Brausen einer sozialen Sturmflut zu vernehmen, welche, einmal zum Durch¬ bruch gelangt, jedenfalls an Gewaltthätigkeit und Großartigkeit alle ähnlichen Vorgänge der Weltgeschichte weit hinter sich lassen würde. Man wird kaum fehlgehen, wenn man den gleichen Wirkungen auch gleiche Ursachen zu Grunde legt, und diese vornehmlich in dem Entwicklungsgange des modernen Produktionsprozesses sucht. Solange noch ein gewisses Gleichgewicht zwischen Groß- und Kleinbesitz herrschte und der Nichtbesitz wenigstens „aus der Hand in den Mund" lebte, war der soziale Friede gesichert, und wenn einmal hie oder da eine Störung eintrat, so war sie doch stets zeitlich und räumlich begrenzt. Als aber die technische Entwicklung des modernen Jn- dustrialismus allmählich zu einem förmlichen Nvllentansch zwischen Arbeiter und Maschine führte und in Verbindung mit den gleichzeitigen Errungenschaften auf dein Gebiete des Verkehrs- und Transportwesens dem fabrikmäßigen Gro߬ betrieb gegenüber dem handwerksmäßigen Kleinbetriebe ein unnatürliches Über¬ gewicht verlieh, da begann der Bau des sozialen Organismus sich in allen Fugen zu lockern, und es entwickelten sich Gegensätze, wie sie einerseits in den ungeheuerlichen, Staat wie Gesellschaft gleich gefährdenden Vermvgensmassen eines Vanderbilt, anderseits in dem oft unmenschlichen Prvletaricrelend inmitten der Brennpunkte moderner Kultur zu Tage treten. Dazu kommt dann noch,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/66>, abgerufen am 29.04.2024.