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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal.

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An unsre Leser.

in dieser so schnell wechselnden Zeit mit ihren hastigen Bestrebungen gerade in
den besseren Teilen der Gesellschaft der alte ideale Geist gepflegt wird, wie
Männer, die in der Diplomatie und in der Justiz, in dem Lehr- und Wehrstand,
in Kunst und Industrie ihr Tagewerk zu verrichten haben, sich die geistige Frische
erhalten und in den Studien der italienischen Kunst und Literatur ihre Erholung .
finden.



An unsre Leser.

it dem vorliegenden Hefte beschließen die Grenzboten ihren fünf¬
undvierzigsten Jahrgang. Wir benutzen diesen Haltepunkt zu
einem offnen Wort und einer freundlichen Bitte an die Leser
dieser Zeitschrift.
Zwei Ereignisse des abgelaufenen Jahres, der siebzigste Ge¬
burtstag Gustav Freytags und der Tod Julian Schmidts, haben Veranlassung
gegeben, daß der Name der Grenzboten dies Jahr oft -- öfter als gewöhn¬
lich -- in der Tagespresse erwähnt worden ist: Freytag und Schmidt waren
eine Reihe von Jahren gemeinschaftlich die Herausgeber der Grenzboten. Auch
die heutigen Führer des Blattes blicke" mit Stolz auf jene Jahre zurück. Aber
nicht wie auf eine vergangne goldne Zeit, als ob die Grenzboten heute nicht
mehr auf der Höhe stünden wie in den Tagen Freytags und Schmidts. Andre
sind sie geworden, gewiß, ganz andre, seitdem sie vor acht Jahren -- mit der
ersten Nummer des Jahres 1879 -- zuerst und früher, als irgendein andres
Blatt, den Mut faßten, für die damals allgemein befremdenden und angefeindeten,
heute bewunderten und gepriesenen wirtschaftlichen Reformpläne unsers großen
Kanzlers einzutreten und damit scheinbar mit ihrer "liberalen" Vergangenheit
zu brechen. Mißverständnis, Mißtrauen und selbst Verleumdung verscheuchte
damals binnen wenigen Tagen einen großen Teil ihres frühern Leserkreises,
und sie haben ein paar schlimme Jahre durchmachen müssen. Heute stehen sie
in jedem Betracht wieder auf der alten Höhe und genießen wieder das alte
Ansehen und Vertrauen. Und wie könnte es auch anders sein! Unsre Leser
wissen, was die Grenzboten wollen, und was sie leisten. Sie kennen ihren
politischen und ihren kirchlichen Standpunkt, sie wissen, wie ehrlich sie unaus¬
gesetzt um die Lösung der schwersten Frage unsrer Zeit, der sozialen Frage,
bemüht sind, wie sie in den vielumstrittenen wirtschaftlichen Fragen ohne einseitig
festgehaltenen Parteistandpunkt jede verständige Meinung zu Worte kommen
lassen, wie sie fort und fort ans verbesserungsbedürftige Zustände in unsrer


An unsre Leser.

in dieser so schnell wechselnden Zeit mit ihren hastigen Bestrebungen gerade in
den besseren Teilen der Gesellschaft der alte ideale Geist gepflegt wird, wie
Männer, die in der Diplomatie und in der Justiz, in dem Lehr- und Wehrstand,
in Kunst und Industrie ihr Tagewerk zu verrichten haben, sich die geistige Frische
erhalten und in den Studien der italienischen Kunst und Literatur ihre Erholung .
finden.



An unsre Leser.

it dem vorliegenden Hefte beschließen die Grenzboten ihren fünf¬
undvierzigsten Jahrgang. Wir benutzen diesen Haltepunkt zu
einem offnen Wort und einer freundlichen Bitte an die Leser
dieser Zeitschrift.
Zwei Ereignisse des abgelaufenen Jahres, der siebzigste Ge¬
burtstag Gustav Freytags und der Tod Julian Schmidts, haben Veranlassung
gegeben, daß der Name der Grenzboten dies Jahr oft — öfter als gewöhn¬
lich — in der Tagespresse erwähnt worden ist: Freytag und Schmidt waren
eine Reihe von Jahren gemeinschaftlich die Herausgeber der Grenzboten. Auch
die heutigen Führer des Blattes blicke» mit Stolz auf jene Jahre zurück. Aber
nicht wie auf eine vergangne goldne Zeit, als ob die Grenzboten heute nicht
mehr auf der Höhe stünden wie in den Tagen Freytags und Schmidts. Andre
sind sie geworden, gewiß, ganz andre, seitdem sie vor acht Jahren — mit der
ersten Nummer des Jahres 1879 — zuerst und früher, als irgendein andres
Blatt, den Mut faßten, für die damals allgemein befremdenden und angefeindeten,
heute bewunderten und gepriesenen wirtschaftlichen Reformpläne unsers großen
Kanzlers einzutreten und damit scheinbar mit ihrer „liberalen" Vergangenheit
zu brechen. Mißverständnis, Mißtrauen und selbst Verleumdung verscheuchte
damals binnen wenigen Tagen einen großen Teil ihres frühern Leserkreises,
und sie haben ein paar schlimme Jahre durchmachen müssen. Heute stehen sie
in jedem Betracht wieder auf der alten Höhe und genießen wieder das alte
Ansehen und Vertrauen. Und wie könnte es auch anders sein! Unsre Leser
wissen, was die Grenzboten wollen, und was sie leisten. Sie kennen ihren
politischen und ihren kirchlichen Standpunkt, sie wissen, wie ehrlich sie unaus¬
gesetzt um die Lösung der schwersten Frage unsrer Zeit, der sozialen Frage,
bemüht sind, wie sie in den vielumstrittenen wirtschaftlichen Fragen ohne einseitig
festgehaltenen Parteistandpunkt jede verständige Meinung zu Worte kommen
lassen, wie sie fort und fort ans verbesserungsbedürftige Zustände in unsrer


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[0670] An unsre Leser. in dieser so schnell wechselnden Zeit mit ihren hastigen Bestrebungen gerade in den besseren Teilen der Gesellschaft der alte ideale Geist gepflegt wird, wie Männer, die in der Diplomatie und in der Justiz, in dem Lehr- und Wehrstand, in Kunst und Industrie ihr Tagewerk zu verrichten haben, sich die geistige Frische erhalten und in den Studien der italienischen Kunst und Literatur ihre Erholung . finden. [Abbildung] An unsre Leser. it dem vorliegenden Hefte beschließen die Grenzboten ihren fünf¬ undvierzigsten Jahrgang. Wir benutzen diesen Haltepunkt zu einem offnen Wort und einer freundlichen Bitte an die Leser dieser Zeitschrift. Zwei Ereignisse des abgelaufenen Jahres, der siebzigste Ge¬ burtstag Gustav Freytags und der Tod Julian Schmidts, haben Veranlassung gegeben, daß der Name der Grenzboten dies Jahr oft — öfter als gewöhn¬ lich — in der Tagespresse erwähnt worden ist: Freytag und Schmidt waren eine Reihe von Jahren gemeinschaftlich die Herausgeber der Grenzboten. Auch die heutigen Führer des Blattes blicke» mit Stolz auf jene Jahre zurück. Aber nicht wie auf eine vergangne goldne Zeit, als ob die Grenzboten heute nicht mehr auf der Höhe stünden wie in den Tagen Freytags und Schmidts. Andre sind sie geworden, gewiß, ganz andre, seitdem sie vor acht Jahren — mit der ersten Nummer des Jahres 1879 — zuerst und früher, als irgendein andres Blatt, den Mut faßten, für die damals allgemein befremdenden und angefeindeten, heute bewunderten und gepriesenen wirtschaftlichen Reformpläne unsers großen Kanzlers einzutreten und damit scheinbar mit ihrer „liberalen" Vergangenheit zu brechen. Mißverständnis, Mißtrauen und selbst Verleumdung verscheuchte damals binnen wenigen Tagen einen großen Teil ihres frühern Leserkreises, und sie haben ein paar schlimme Jahre durchmachen müssen. Heute stehen sie in jedem Betracht wieder auf der alten Höhe und genießen wieder das alte Ansehen und Vertrauen. Und wie könnte es auch anders sein! Unsre Leser wissen, was die Grenzboten wollen, und was sie leisten. Sie kennen ihren politischen und ihren kirchlichen Standpunkt, sie wissen, wie ehrlich sie unaus¬ gesetzt um die Lösung der schwersten Frage unsrer Zeit, der sozialen Frage, bemüht sind, wie sie in den vielumstrittenen wirtschaftlichen Fragen ohne einseitig festgehaltenen Parteistandpunkt jede verständige Meinung zu Worte kommen lassen, wie sie fort und fort ans verbesserungsbedürftige Zustände in unsrer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_199353/670>, abgerufen am 29.04.2024.