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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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(Line christliche Ästhetik.
von Aarl Borinski. (Schluß.)

"wie das Bild des Häßlichen, so wird auch das Bild des Schreck¬
lichen (das Erhabene) mit dem Schönen dnrch das Band des
Gefallens zusammengehalten. Das Schreckliche in Wirklichkeit
gefällt nie, ist auch nicht erhaben, wie nach den weiten Begriffen
der Ästhetiker angenommen werden muß. Nomauheldeu sind
vielleicht imstande, wenn der Tiger seine Pranken auf sie schlägt, die Empfin¬
dung des Erhabenen in der Erscheinung des schreckliche" Feindes zu haben, oder
dann, wenn der Gießregcn auf sie einschüttet, Blitz auf Blitz blendet, der Donner
sie betäubt. Wirkliche Menschen werden sich dabei einfach höchst elend befinden.
Nur der, für den das Schreckliche keine Wirklichkeit hat, kann es als erhaben
empfinden. Hierzu zählen wir auch das wirkliche Schreckliche, das als erhaben
empfunden wird. Es hat in dem Augenblicke jenes Gefallens am Schrecklichen,
welches wir als erhabene Empfindung bezeichnen, für uns die Bedeutung eines
Bildes, des Bildes der uns ans Erfahrung als so furchtbar bekannten Natur¬
erscheinung. Treffend ist die Bezeichnung des Gewitters (Vonseiten der geschützten
Beobachter!) als Naturschauspiel. Sie ist aus der Empfindung des Erhabenen
entstanden, als der täuschenden Vergegenwärtigung für uns schrecklicher Dinge
durch eine mit höchster Gesetzmäßigkeit wirkende Macht, deren sinnliche Erkenntnis
gefällt. So ist es zu erkläre", daß sowohl das Häßliche als das Schreckliche
ohne weiteres (im Abbild!) mit dem Schönen verbunden auftreten kann, zu
seiner Belebung, zur Erhöhung seiner Wirkung nicht nnr unentbehrlich ist, sondern
ihm fast gleichberechtigt zur Seite steht. Wir haben also nicht nötig, zum
"Blick der ewigen Weisheit" unsre Zuflucht zu nehmen, nachdem "alles schön
sey, was sie gemacht hatte." Denn wir haben doch nnn einmal diesen Blick
nicht. Wie bedenklich für den christlichen Ästhetiker gerade dieser Punkt ge¬
worden ist, beweist die trotz aller Verklausnlirungen dabei hervvrlugende pan-
theistische Grundansicht, die hierüber hinweghelfen muß. Der Leser verliert
hierbei oft die rö"<zi'og,t,g. aus den Augen und fragt sich, ob es denn nnn die
"göttliche Weisheit" oder unser "endlicher Blick" sei, nach denen dies und das
"rücksichtlich" oder "schlechthin" häßlich genannt wird. Er fragt sich, ob auch
für uns der Teufel "immer noch rücksichtlich schön" ist und demnach eigentlich
nnr das "Nicht-seyende" häßlich; und er denkt an eine stark vom "unwissen¬
schaftlichen Pantheismus" eingegebene Stelle im himmlischen Prolog zum "Faust."


(Line christliche Ästhetik.
von Aarl Borinski. (Schluß.)

»wie das Bild des Häßlichen, so wird auch das Bild des Schreck¬
lichen (das Erhabene) mit dem Schönen dnrch das Band des
Gefallens zusammengehalten. Das Schreckliche in Wirklichkeit
gefällt nie, ist auch nicht erhaben, wie nach den weiten Begriffen
der Ästhetiker angenommen werden muß. Nomauheldeu sind
vielleicht imstande, wenn der Tiger seine Pranken auf sie schlägt, die Empfin¬
dung des Erhabenen in der Erscheinung des schreckliche» Feindes zu haben, oder
dann, wenn der Gießregcn auf sie einschüttet, Blitz auf Blitz blendet, der Donner
sie betäubt. Wirkliche Menschen werden sich dabei einfach höchst elend befinden.
Nur der, für den das Schreckliche keine Wirklichkeit hat, kann es als erhaben
empfinden. Hierzu zählen wir auch das wirkliche Schreckliche, das als erhaben
empfunden wird. Es hat in dem Augenblicke jenes Gefallens am Schrecklichen,
welches wir als erhabene Empfindung bezeichnen, für uns die Bedeutung eines
Bildes, des Bildes der uns ans Erfahrung als so furchtbar bekannten Natur¬
erscheinung. Treffend ist die Bezeichnung des Gewitters (Vonseiten der geschützten
Beobachter!) als Naturschauspiel. Sie ist aus der Empfindung des Erhabenen
entstanden, als der täuschenden Vergegenwärtigung für uns schrecklicher Dinge
durch eine mit höchster Gesetzmäßigkeit wirkende Macht, deren sinnliche Erkenntnis
gefällt. So ist es zu erkläre», daß sowohl das Häßliche als das Schreckliche
ohne weiteres (im Abbild!) mit dem Schönen verbunden auftreten kann, zu
seiner Belebung, zur Erhöhung seiner Wirkung nicht nnr unentbehrlich ist, sondern
ihm fast gleichberechtigt zur Seite steht. Wir haben also nicht nötig, zum
„Blick der ewigen Weisheit" unsre Zuflucht zu nehmen, nachdem „alles schön
sey, was sie gemacht hatte." Denn wir haben doch nnn einmal diesen Blick
nicht. Wie bedenklich für den christlichen Ästhetiker gerade dieser Punkt ge¬
worden ist, beweist die trotz aller Verklausnlirungen dabei hervvrlugende pan-
theistische Grundansicht, die hierüber hinweghelfen muß. Der Leser verliert
hierbei oft die rö»<zi'og,t,g. aus den Augen und fragt sich, ob es denn nnn die
„göttliche Weisheit" oder unser „endlicher Blick" sei, nach denen dies und das
„rücksichtlich" oder „schlechthin" häßlich genannt wird. Er fragt sich, ob auch
für uns der Teufel „immer noch rücksichtlich schön" ist und demnach eigentlich
nnr das „Nicht-seyende" häßlich; und er denkt an eine stark vom „unwissen¬
schaftlichen Pantheismus" eingegebene Stelle im himmlischen Prolog zum „Faust."


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[0128] (Line christliche Ästhetik. von Aarl Borinski. (Schluß.) »wie das Bild des Häßlichen, so wird auch das Bild des Schreck¬ lichen (das Erhabene) mit dem Schönen dnrch das Band des Gefallens zusammengehalten. Das Schreckliche in Wirklichkeit gefällt nie, ist auch nicht erhaben, wie nach den weiten Begriffen der Ästhetiker angenommen werden muß. Nomauheldeu sind vielleicht imstande, wenn der Tiger seine Pranken auf sie schlägt, die Empfin¬ dung des Erhabenen in der Erscheinung des schreckliche» Feindes zu haben, oder dann, wenn der Gießregcn auf sie einschüttet, Blitz auf Blitz blendet, der Donner sie betäubt. Wirkliche Menschen werden sich dabei einfach höchst elend befinden. Nur der, für den das Schreckliche keine Wirklichkeit hat, kann es als erhaben empfinden. Hierzu zählen wir auch das wirkliche Schreckliche, das als erhaben empfunden wird. Es hat in dem Augenblicke jenes Gefallens am Schrecklichen, welches wir als erhabene Empfindung bezeichnen, für uns die Bedeutung eines Bildes, des Bildes der uns ans Erfahrung als so furchtbar bekannten Natur¬ erscheinung. Treffend ist die Bezeichnung des Gewitters (Vonseiten der geschützten Beobachter!) als Naturschauspiel. Sie ist aus der Empfindung des Erhabenen entstanden, als der täuschenden Vergegenwärtigung für uns schrecklicher Dinge durch eine mit höchster Gesetzmäßigkeit wirkende Macht, deren sinnliche Erkenntnis gefällt. So ist es zu erkläre», daß sowohl das Häßliche als das Schreckliche ohne weiteres (im Abbild!) mit dem Schönen verbunden auftreten kann, zu seiner Belebung, zur Erhöhung seiner Wirkung nicht nnr unentbehrlich ist, sondern ihm fast gleichberechtigt zur Seite steht. Wir haben also nicht nötig, zum „Blick der ewigen Weisheit" unsre Zuflucht zu nehmen, nachdem „alles schön sey, was sie gemacht hatte." Denn wir haben doch nnn einmal diesen Blick nicht. Wie bedenklich für den christlichen Ästhetiker gerade dieser Punkt ge¬ worden ist, beweist die trotz aller Verklausnlirungen dabei hervvrlugende pan- theistische Grundansicht, die hierüber hinweghelfen muß. Der Leser verliert hierbei oft die rö»<zi'og,t,g. aus den Augen und fragt sich, ob es denn nnn die „göttliche Weisheit" oder unser „endlicher Blick" sei, nach denen dies und das „rücksichtlich" oder „schlechthin" häßlich genannt wird. Er fragt sich, ob auch für uns der Teufel „immer noch rücksichtlich schön" ist und demnach eigentlich nnr das „Nicht-seyende" häßlich; und er denkt an eine stark vom „unwissen¬ schaftlichen Pantheismus" eingegebene Stelle im himmlischen Prolog zum „Faust."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/128>, abgerufen am 06.05.2024.