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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die Schäden der Kirche und die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums.

der gegenwärtigen Mehrheit des Reichstages zu suchen haben, freilich zu einer
Zeit, in der auch die Herren Windthorst und Richter sich nur den Ruhm des
Herostratos werden streitig machen können.




Die Schäden der Kirche
und die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums.

is vor einigen Wochen der restaurirte Dom zu Merseburg in
Gegenwart des deutschen Kronprinzen neu geweiht worden war
und nun eine Besichtigung der Kirche stattfand, siel dem Kron¬
prinzen auf, daß dem Hauptaltare, welcher an jenem Tage nicht
benutzt wurde, das Kruzifix fehlte. Er nahm ein solches aus
der Sakristei, stellte es aus den Altar und fragte seine Umgebung: Glauben
Sie, daß dies Kreuz hier stehen bleiben wird?-- eine ganz gewiß bedeutungsvolle
Frage. In welchem Sinne der Kronprinz seine Frage selbst beantwortet haben
würde, können wir nicht wissen; unsre Antwort ist ein unzweifelhaftes Ja. Wir
glauben wirklich, daß das Kreuz auf dem Altare stehen bleiben wird -- nicht
darum, weil man es stehen läßt oder weil eine mächtige Hand es daselbst auf¬
richtet, sondern weil wir die Überzeugung haben, daß unser Glaube, dessen Symbol
das Krenz ist, Kraft genug hat, jene Zeitkrankheit, welche zersetzend in Staat,
Haus, Gewerbsleben, Kirche -- kurz, in alle Arten des Zusammenlebens ein¬
gedrungen ist, doch endlich zu überwinden.

Damit soll nicht die Meinung ausgesprochen werden, daß man im Vertrauen
auf diese Kraft jenen zerstörenden Kräften nur einen passiven Widerstand ent¬
gegenzusetzen brauche. Alle kirchlichen Kreise und Richtungen sind darin einig,
daß das Nötige geschehen müsse. Nur weichen die Ansichten darüber von einander
ab, was not thue. Die gegenwärtig sich an den Namen Hammerstein an¬
schließende Bewegung, welche die kirchlich konfessionellen und Positiv-unirten Kreise
umfaßt, fordert unter anderm die Ersetzung der kaum eingerichteten synodalen
Verfassung durch die episkopale. Es handelt sich dabei, das muß man aner¬
kennen, nicht um kirchenpolitische Liebhabereien, sondern um eine nicht unberechtigte
Reaktion gegen das regierende Kollegien- und Majoritätensystem, dessen Glanz
unzweifelhaft zu verblassen beginnt. Auch auf dem Gebiete der Verwaltung
und der Justiz erheben sich Stimmen gegen die Kollektivvota zu Gunsten per¬
sönlicher Autorität und persönlicher Verantwortung. Wie wenig aber gerade
auf kirchlichem Boden die persönliche Einwirkung durch Verfügung eines Kor-


Die Schäden der Kirche und die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums.

der gegenwärtigen Mehrheit des Reichstages zu suchen haben, freilich zu einer
Zeit, in der auch die Herren Windthorst und Richter sich nur den Ruhm des
Herostratos werden streitig machen können.




Die Schäden der Kirche
und die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums.

is vor einigen Wochen der restaurirte Dom zu Merseburg in
Gegenwart des deutschen Kronprinzen neu geweiht worden war
und nun eine Besichtigung der Kirche stattfand, siel dem Kron¬
prinzen auf, daß dem Hauptaltare, welcher an jenem Tage nicht
benutzt wurde, das Kruzifix fehlte. Er nahm ein solches aus
der Sakristei, stellte es aus den Altar und fragte seine Umgebung: Glauben
Sie, daß dies Kreuz hier stehen bleiben wird?— eine ganz gewiß bedeutungsvolle
Frage. In welchem Sinne der Kronprinz seine Frage selbst beantwortet haben
würde, können wir nicht wissen; unsre Antwort ist ein unzweifelhaftes Ja. Wir
glauben wirklich, daß das Kreuz auf dem Altare stehen bleiben wird — nicht
darum, weil man es stehen läßt oder weil eine mächtige Hand es daselbst auf¬
richtet, sondern weil wir die Überzeugung haben, daß unser Glaube, dessen Symbol
das Krenz ist, Kraft genug hat, jene Zeitkrankheit, welche zersetzend in Staat,
Haus, Gewerbsleben, Kirche — kurz, in alle Arten des Zusammenlebens ein¬
gedrungen ist, doch endlich zu überwinden.

Damit soll nicht die Meinung ausgesprochen werden, daß man im Vertrauen
auf diese Kraft jenen zerstörenden Kräften nur einen passiven Widerstand ent¬
gegenzusetzen brauche. Alle kirchlichen Kreise und Richtungen sind darin einig,
daß das Nötige geschehen müsse. Nur weichen die Ansichten darüber von einander
ab, was not thue. Die gegenwärtig sich an den Namen Hammerstein an¬
schließende Bewegung, welche die kirchlich konfessionellen und Positiv-unirten Kreise
umfaßt, fordert unter anderm die Ersetzung der kaum eingerichteten synodalen
Verfassung durch die episkopale. Es handelt sich dabei, das muß man aner¬
kennen, nicht um kirchenpolitische Liebhabereien, sondern um eine nicht unberechtigte
Reaktion gegen das regierende Kollegien- und Majoritätensystem, dessen Glanz
unzweifelhaft zu verblassen beginnt. Auch auf dem Gebiete der Verwaltung
und der Justiz erheben sich Stimmen gegen die Kollektivvota zu Gunsten per¬
sönlicher Autorität und persönlicher Verantwortung. Wie wenig aber gerade
auf kirchlichem Boden die persönliche Einwirkung durch Verfügung eines Kor-


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[0013] Die Schäden der Kirche und die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums. der gegenwärtigen Mehrheit des Reichstages zu suchen haben, freilich zu einer Zeit, in der auch die Herren Windthorst und Richter sich nur den Ruhm des Herostratos werden streitig machen können. Die Schäden der Kirche und die Unzulänglichkeit des theologischen Studiums. is vor einigen Wochen der restaurirte Dom zu Merseburg in Gegenwart des deutschen Kronprinzen neu geweiht worden war und nun eine Besichtigung der Kirche stattfand, siel dem Kron¬ prinzen auf, daß dem Hauptaltare, welcher an jenem Tage nicht benutzt wurde, das Kruzifix fehlte. Er nahm ein solches aus der Sakristei, stellte es aus den Altar und fragte seine Umgebung: Glauben Sie, daß dies Kreuz hier stehen bleiben wird?— eine ganz gewiß bedeutungsvolle Frage. In welchem Sinne der Kronprinz seine Frage selbst beantwortet haben würde, können wir nicht wissen; unsre Antwort ist ein unzweifelhaftes Ja. Wir glauben wirklich, daß das Kreuz auf dem Altare stehen bleiben wird — nicht darum, weil man es stehen läßt oder weil eine mächtige Hand es daselbst auf¬ richtet, sondern weil wir die Überzeugung haben, daß unser Glaube, dessen Symbol das Krenz ist, Kraft genug hat, jene Zeitkrankheit, welche zersetzend in Staat, Haus, Gewerbsleben, Kirche — kurz, in alle Arten des Zusammenlebens ein¬ gedrungen ist, doch endlich zu überwinden. Damit soll nicht die Meinung ausgesprochen werden, daß man im Vertrauen auf diese Kraft jenen zerstörenden Kräften nur einen passiven Widerstand ent¬ gegenzusetzen brauche. Alle kirchlichen Kreise und Richtungen sind darin einig, daß das Nötige geschehen müsse. Nur weichen die Ansichten darüber von einander ab, was not thue. Die gegenwärtig sich an den Namen Hammerstein an¬ schließende Bewegung, welche die kirchlich konfessionellen und Positiv-unirten Kreise umfaßt, fordert unter anderm die Ersetzung der kaum eingerichteten synodalen Verfassung durch die episkopale. Es handelt sich dabei, das muß man aner¬ kennen, nicht um kirchenpolitische Liebhabereien, sondern um eine nicht unberechtigte Reaktion gegen das regierende Kollegien- und Majoritätensystem, dessen Glanz unzweifelhaft zu verblassen beginnt. Auch auf dem Gebiete der Verwaltung und der Justiz erheben sich Stimmen gegen die Kollektivvota zu Gunsten per¬ sönlicher Autorität und persönlicher Verantwortung. Wie wenig aber gerade auf kirchlichem Boden die persönliche Einwirkung durch Verfügung eines Kor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/13>, abgerufen am 07.05.2024.